In ihrem Artikel »FFP2« informiert uns Regina Bäcker (Frauenbeauftragte der Alexianer Werkstätten) über das neue Infektionsschutzgesetz im Hinblick auf die Anwendung in Behindertenwerkstätten und äußert dazu ihre Meinung.
FFP2
Am 1. Oktober ist das neue Infektionsschutzgesetz in Kraft getreten. Maskenpflicht am Arbeitsplatz ist dort bis auf den Gesundheits- und Pflegebereich nicht vorgesehen. Dennoch müssen Menschen, die in Behindertenwerkstätten arbeiten, auch hier bei uns künftig permanent eine FFP2-Maske tragen. Ich spreche von Diskriminierung.
„Gesetz zur Stärkung des Schutzes der Bevölkerung und insbesondere vulnerabler Personengruppen“ – so wird die Änderung des Infektionsschutzgesetzes auf der Homepage des Bundesgesundheitsministeriums erläutert. Menschen mit einer Behinderung werden per Regierungsdefinition demnach als vulnerabel angesehen und müssen ab 1. Oktober genauso wie Mitarbeiter in Pflegeheimen und Krankenhäusern für ihre gesamte Arbeitsdauer eine FFP2-Maske tragen. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus anderen Berufsfeldern müssen dies nicht.
Diese Regelungen sind unwürdig und diskriminierend für mich, zudem widersprechen sie vielen Normen zur Gleichbehandlung von Menschen mit Behinderung. Das Bundesteilhabegesetz werde „konterkariert und ad absurdum geführt“. In Werkstätten erleben Menschen mit Behinderung weitgehend Arbeitsverhältnisse wie in der freien Wirtschaft. Eine Förderung der Selbstbestimmung wird meines Erachtens wieder abgeschafft.
Was ich mir wünschen würde, ist, dass sich alle Werkstatträte in NRW zusammenschließen und eine Sammelklage einreichen. Uns wird das Leben schon sehr erschwert, nur alleine durch unsere Beeinträchtigung. Wir werden unterbezahlt, bekommen nur Helferarbeiten. Können nicht entscheiden, wann und wie wir arbeiten können. Für uns gibt es noch nicht einmal Homeoffice. Jedoch bedeutet das nicht, dass wir dumm sind. Viele psyschich kranke Menschen haben keine Lernbehinderung. Viele von uns haben eine tiefe psychische Verletzung, die uns sehr oft von anderen zugeführt wurde. Viele Täter laufen frei rum, Arbeitgeber, die ausbeuten, Arbeitnehmer, die mobben, Gewalt ausüben und vieles mehr. Diese brauchten nie Verantwortung für ihr Handeln zu übernehmen. Und jetzt will man uns wieder was vorschreiben und aufzwingen. Ich fühle mich ausgegrenzt und stigmatisiert.
Regina Bäcker
Bild (Ausschnitt) von Wilfried Pohnke auf Pixabay
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Hallo Regina, ich finde es auch falsch, eine FFP2 Maske tragen zu müssen, ich habe einen Arbeitsplatz wie jeder andere „draußen“ auch. Zudem werden wir ständig getestet.
Vielen Dank für Deine Rückmeldung
Hallo, ich denke das muss man etwas differenzierter sehen. Soweit ich weiß arbeiten in den Alexianer Werkstätten Köln (fast) ausschließlich Menschen mit psychischen Erkrankungen, von denen die meisten wahrscheinlich wirklich körperlich nicht so vulnerabel sind, dass diese Maßnahme notwendig wäre, aber in den meisten WfbMs, so auch in den Alexianer Werkstätten Münster, wo ich selbst tätig bin, arbeiten auch sehr viele Menschen mit geistigen, körperlichen und Schwerstmehrfachbehinderungen. Bei einigen dieser Menschen sind die Behinderungen durch Gendefekte bedingt und können mit einer Schwäche des Immunsystems, angeborenen Herzfehlern und anderen Organfehlbildungen einher gehen. Diese Menschen gehören definitiv zur Gruppe der Risikopatienten und zu deren Schutz finde ich die FFP2 Masken-Pflicht durchaus gerecht fertigt. Ich kann allerdings auch gut verstehen, dass diese Regelung schwer nachzuvollziehen ist, wenn man an einem Standort ohne derartig Vorerkrankte arbeitet.
Vielen Dank für diesen Denkanstoß, ja auch das verstehe ich. Jedoch geht es mir Hauptsächlich darum, das es „Bestimmt“ wurde. Und „Bestimmt“ wurden wir in der WfbM. In ganz Deutschland leben Menschen mit körperlichen Beschwerden/Krankheiten, welche auch eine Beeinträchtigung/Behinderung haben, die nicht in einer WfbM arbeiten, sondern in der freien Marktwirtschaft tätig sind. Jedoch diese dürfen frei wählen. Und das ist genau der springende Punkt. Und wenn wir die WfbM verlassen, also Feierabend haben, sind wir dann wirklich geschützt? Wir gehen einkaufen, auf Konzerte, zu Veranstaltungen u.s.w. Ja, ich weiß, es ist nicht so einfach. Die Frage die mir stelle, habe ich nicht das Recht zu wählen, auch wenn ich in einer WfbM arbeite. Bin ich dann entmündigt?
Vielen Dank für Deine Rückmeldung
Das Argument mit dem fehlenden Selbstbestimmungsrecht kann ich gut nachvollziehen. Natürlich sind die meisten von uns psychisch Kranken und auch viele geistig behinderte Menschen durchaus in der Lage reflektierte und angemessene Entscheidungen zu treffen und sollten nicht bevormundet werden. Und ich finde es wichtig und richtig, dass auf Verletzungen dieses Selbstbestimmungsrechts immer wieder aufmerksam gemacht und für eine Verbesserung gekämpft wird, in der Hoffnung, dass dieser Kampf irgendwann nicht mehr nötig. Davor habe ich großen Respekt!
Ich kann mich einfach nur auf meine eigene Erfahrung, an dem Standort an dem ich tätig bin berufen und mir fallen auf Anhieb mehrere Kollegen ein, die wenn das Maske tragen freiwillig wäre, dies definitiv nicht mehr tun würden (selbst im engen Kontakt mit den Schwerstmehrfachbehinderten, die meist am anfälligsten sind, sich aber nicht selbst durch das Tragen einer Maske schützen können und außer der WfbM, ihrer Wohngruppe und der Familie oft auch keine sozialen Kontakte haben, sich also nicht beim Einkaufen, Konzerten etc. anstecken könnten), weil ihre geistigen Behinderungen es ihnen einfach unmöglich machen, die Konsequenzen ihres Handelns abzusehen. Was nicht heißen soll, dass ich diesen Menschen das Recht der eigenen Entscheidung aberkennen möchte, ich denke einfach, dass die ganze Angelegenheit komplizierter ist als es auf den ersten Blick erscheint.
Schön wäre in der Theorie sicherlich eine Regelung die genug Spielraum lässt um sie flexibel auf die konkreten Bedingungen des jeweiligen Betriebs/Standorts anzupassen, allerdings bin ich mir unsicher ob sich das in der Praxis zufriedenstellend umsetzen ließe oder die fehlende Einheitlichkeit nicht zu noch mehr Unmut führen würde.
Ich weiß auch nicht wie man dem Schutz der körperlich vulnerablen Personengruppen und der Wahrung des Selbstbestimmungsrechts gleichermaßen gerecht werden könnte, aber ich finde es wirklich gut, dass der XBlog die Möglichkeit bietet Themen wie diese zu diskutieren. Daher an dieser Stelle vielen Dank an das XBlog-Team!
Gerne. 😊
Vielen Dank für Deine Rückmeldung. Ja, es ist nicht alles so einfach. Jedoch komme ich wieder zur Erkenntnis, wie unterschiedlich und individuell wir Menschen sind, auch in unserer Beeinträchtigung. Ich bedanke mich auch beim Xblog-Team, dass mein Beitrag veröffentlicht wurde, sowas ist nicht selbstverständlich. Und auch dir „rina“ für deine offene und freie Meinung zu diesem Thema.