In ihrem neuen Artikel stellt Cornelia Schmitz (AlexOffice) die große Frage »Wie kommen psychisch erkrankte Menschen in Lohn und Brot?«. Um Antworten darauf zu finden, hat sie detaillierte Überlegungen und Infos zusammengestellt und sie in Zusammenhang mit ihren eigenen Erfahrungen gebracht.
Wie kommen psychisch erkrankte Menschen in Lohn und Brot?
Im Folgenden geht es vor allem um sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze für Menschen mit psychiatrischen Diagnosen. Danach spreche ich über die Instrumente des zweiten Arbeitsmarktes, wie etwa Werkstätten, BiAp*, Trainingszentren. All das kenne ich aus eigener Erfahrung.
Wie also schafft man es, als psychisch kranker Mensch entweder 1. sein Arbeitsverhältnis zu behalten oder 2. ein neues zu finden?
Zu 1.: Das Arbeitsverhältnis behalten
Psychisch krank – schon der Begriff ist stigmatisierend. Carsten Linnemanns Vorschlag, psychisch kranke Gewalttäter in einem Register zu erfassen, steht derzeit im Raum. Daher meine folgenden Überlegungen hinsichtlich Diagnose und Outing, bzw. Umgang mit der Erkrankung:
Während Störungsbilder wie ADHS, Autismus, Angst, Burnout, leichte Depressionen oder Zwangsstörungen, unter dem Stichwort „neurodivers“ allmählich salonfähig werden, haben es Menschen mit Psychosen immer noch (und immer wieder) sehr schwer.
Autisten etwa, werden vielleicht als versponnene, aber hochbegabte Sonderlinge freundlich wahr- und angenommen. Eine Wahnerkrankung macht dagegen den Leuten Angst, zumal momentan gefühlt jeden Tag ein Messerangriff eines psychisch kranken Asylbewerbers durch die Presse geht. Es hat auch gar keinen Sinn, in dieser Hinsicht etwas beschweigen zu wollen, so etwas spricht sich herum. Diese Problematik muss man offen diskutieren können, ohne sich Populismusvorwürfen ausgesetzt zu sehen. Verschweigen oder verdrängen spielt nur der AfD in die Hände.
Es ist also je nach Diagnose, und vor allem auch nach dem dadurch bedingten Krankenstand einfacher oder schwieriger, sich zu outen. Für das Outing gilt:
➤ Erstmal abwarten
Es ist selbstverständlich besser, wenn man sich in der Firma schon ein Standing erworben, vielleicht sogar eine jahrelange Betriebszugehörigkeit vorweisen kann, schon als „ganz normaler“ Mensch gilt, Freundschaften, Netzwerke aufgebaut hat, bevor man dann mit der Sprache rausrückt. Zudem ist eine Erkrankung grundsätzlich Privatsache.
➤ Sehr gut überlegen, gerade bei einer Wahnerkrankung
Für diesen Fall lautet mein Rat: So lange verschweigen, bis es nicht mehr geht. (Indem man etwa zu oft krank ist, oder auffällig wurde.)
➤ Firmengröße und Art
Arbeitet man in der freien Wirtschaft oder bei einer Behörde? Ist es ein großer Betrieb oder eine kleine Firma? Hat die Firma einen Betriebsrat oder Vertrauensleute? Kann ein Grad der Behinderung helfen, oder ist das im Gegenteil schlecht?
Für unsere Sache ist natürlich ein kleiner oder mittelständischer Betrieb auf dem freien Markt am ungünstigsten, es ist ja auch dem Betrieb gegenüber vielleicht unfair, nicht mit offenen Karten zu spielen (und einen hohen Krankenstand zu verursachen). Bei einem großen kommunalen Arbeitgeber allerdings, stehen die Chancen für ein Outing auch bei einer Psychose-Erkrankung ganz gut, vor allem MIT einem Grad der Behinderung.
Wenn man bei einer solchen Behörde arbeitet, tackert man sich selbstverständlich an diesen Arbeitgeber fest, so lange die Kraft reicht.
Zu 2.: Ein neues Arbeitsverhältnis finden
Es ist passiert, Sie haben Ihre Stelle verloren. Muss man „es“ bei einem neuen Arbeitgeber angeben? Nein, es sei denn, Sie hätten einen Grad der Behinderung – den muss man angeben.
Oder:
Es ist passiert, man konnte oder wollte die Erkrankung nicht länger verschweigen. Oder man ist in einer Maßnahme für psychisch erkrankte Zeitgenossen gelandet und jeder Arbeitgeber weiß sofort, woher der Wind weht. Jedenfalls, die Katze ist aus dem Sack. Das hat den Vorteil, dass man mit offenen Karten spielen kann (und muss). Es kann sehr entlastend sein, wenn man schließlich ehrlich zu sich steht. Ist man allerdings gelabelt, muss man mit dem Stigma umgehen.
Wie aber kommt man nun wieder zurück in ein reguläres Verhältnis?
Jetzt komme ich zu den Instrumenten des zweiten Arbeitsmarktes, als da wären:
Berufsausbildung oder Umschulung in Einrichtungen eigens für psychisch kranke Menschen, weiter Berufstrainingszentren, WfbM** mit Praktika oder BiAp, virtuelle Werkstatt, persönliches Budget.
➤ Berufsausbildung
Bitte NUR in solche Berufe, die am Markt auch eine Chance haben; Handwerk, Soziales und Pflege, EDV. Bloß keine Bürokaufleute oder Mediengestalter etc. Keine Steuergeldverschwendung.
➤ BTZ mit Praktika
Im Prinzip eine gute Idee, wenn die Vermittlungsquote stimmt und das Training tatsächlich qualifiziert. Bei mir war der Verlauf allerdings schlecht, weil ich zuerst eine manische Phase hatte und dann depressiv wurde. In den Augen der Vermittler war ich damit chronisch krank und sie legten mir die WfbM nah. Im Jahr 2007 landete ich folglich als frischgebackene Übersetzerin in einer Gärtnerei und bepflanzte Blumenkörbe – das war tödlich. Zumal in meinem Hinterkopf noch immer der Traum von einer journalistischen Karriere war. Nun standen also einfache Hilfstätigkeiten auf dem Programm und ich hatte meinen sozialen Status um 100 Prozent geschrottet.
Ich habe mich da irgendwie wieder herausgewunden, indem ich mir sehr schnell ein Praktikum gesucht habe, das schafft aber nicht jeder.
➤ WfbM mit Praktika und BiAp
Die Vermittlungsquote von WfbM MUSS wesentlich höher sein, mindestens 30 Prozent. So kuschelig das Nest auch für viele meiner Kollegen und Kolleginnen auch sei, aber sie müssen flügge werden, vor allem die jungen Menschen – so viel Potenzial darf nicht verschwendet werden.
Oftmals sind die jungen Leute nach einer ersten Psychose demoralisiert und trauen sich gar nichts mehr zu, finden sich mit ihrem Schicksal ab.
Hier hilft:
❚ ein sehr gutes Training (Englisch, EDV, KI, Bewerbungstraining etc.)
❚ Zwang zu Praktika, Einfordern von regelmäßigen Praktika mit sehr guter Betreuung (vielleicht ein Tag in der WfbM, monatliche Besuche seitens der WfbM).
❚ Werkstätten sollten sich der Evaluierung stellen, daran gemessen werden, wie gut sie vermitteln.
❚ Ein BiAp sollte spätestens nach sechs Monaten in ein reguläres Arbeitsverhältnis münden, es sei denn, zwingende Gründe seitens der Praktikanten stünden dagegen. Bitte keine Ausbeutung des behinderten Menschen oder des Steuerzahlers (ich habe sechs Jahre in einem BiAp bei einer NGO*** verschwendet, die mich ihrem Anspruch gemäß hätten einstellen MÜSSEN, dazu später).
❚ Förderung bei Übernahme ins Arbeitsverhältnis.
Zu meiner Zeit (um 2010) zahlte der Gesetzgeber fünf Jahre lang 80 Prozent der Lohnkosten. Das persönliche Budget habe ich nie in Anspruch genommen, dazu kann ich leider nichts sagen.
Viele Arbeitgeber fürchten allerdings (zu Recht), dass man den Menschen mit Behinderung „nicht mehr los“ wird, oder sie fürchten lange Krankheitszeiten, vielleicht wird der psychisch kranke Mensch sogar auffällig – in diesem Fall sollte man den Arbeitsausfall z.B. seitens des Gesetzgebers besser kompensieren können, der Arbeitgeber sollte kündigen dürfen, man sollte unbürokratisch in die WfbM zurückkehren können. Also müssen wir über Lockerung des Kündigungsschutzes nachdenken – ich weiß, dass das strittig ist, aber das ist oft ein Vermittlungshemmnis.
Evtl. sollte man Behörden, kommunale Arbeitgeber dazu zwingen, reguläre Arbeitsplätze für Betroffene vorzuhalten und sie mit „durchzufüttern“. Dies (Zwang) sollte aber nicht in der freien Wirtschaft geschehen, dort herrscht eh zu viel Druck, die kleinen und mittelständischen Firmen sind ohnehin bis zum Kragen belastet.
➤ Wichtig:
In der Werkstatt sollten die Profis unbedingt darauf hinweisen, dass man sich einen spannenden, interessanten Arbeitsplatz im Praktikum oder BiAp suchen kann, die dem beruflichen Werdegang auch entspricht. Es gibt für unsereinen nicht nur anspruchslose Hilfstätigkeiten.
Leider sehen meine Kollegen und Kolleginnen nur diese unattraktiven Angebote bei der eigens eingerichteten Abteilung der WfbM. Dort sind vor allem Putzen, Kellnern, Gärtnern etc. im Angebot und die Kollegen kommen gar nicht auf die Idee, sich sonst wo zu bewerben.
➤ Wichtig:
Am regulären Arbeitsplatz sollte kein Klatsch und Tratsch stattfinden, ggfs. sollte es Vertrauensleute geben, wer über den behinderten Menschen lästert, wird abgemahnt oder gekündigt. Probleme müssen unbedingt schnell aufgearbeitet werden in regelmäßigen Supervisions-Verfahren. In Köln gibt es das sog. Projekt Router mit moderierten Gesprächskreisen, um Probleme zu erkennen.
➤ Sehr Wichtig:
Gute Anti-Stigma Arbeit. Unsereiner hat nicht nur Schwächen, sondern absolut auch störungsbedingte Stärken. So sind bipolare Menschen (in der Hypomanie) kreativer und energiegeladener, Autisten sind ggfs. detailversessen, gründlich und korrekt, depressive Menschen feinfühlig und arbeitsam etc.
Ich sage das jetzt nicht aus Gründen der politischen Korrektheit, sondern ich habe im Umfeld der Psychiatrie tatsächlich sehr, sehr viel Hilfsbereitschaft und Feinfühligkeit erfahren. Viele sind traumatisiert, verletzt, und sehen dadurch das Leid anderer Menschen besser, sind ausgesprochen empathisch, teilen sich die letzte Kippe.
Also bitte auf die ureigensten Vorzüge der psychisch kranken Menschen hinweisen, nicht nur Schwächen betonen.
Rückkehr auf den ersten Arbeitsmarkt aus meiner eigenen Erfahrung
Ich wollte unbedingt wieder in ein reguläres Arbeitsverhältnis wechseln, mich wieder „normal“ fühlen. Dafür habe ich sehr viel getan:
Ich war auf zwei betriebsintegrierten Arbeitsplätzen, plus drei Praktika, fast alles in der freien Wirtschaft. Magere Ausbeute daraus: ein 450€ Angebot zusätzlich zur EU-Rente. Meine Zeugnisse waren immer sehr gut, aber ich erhielt kein Jobangebot, trotz der deutlichen finanziellen Anreize.
Sechs Jahre habe ich, wie erwähnt, in einem BiAp verschwendet, bei einer NGO, die sich mit psychiatrischen Fragen beschäftigt. Dieser Arbeitgeber hätte mich, gemäß dem eigenen Anspruch und der Forderungen gegenüber anderen einstellen MÜSSEN. Doch: ich kostete nichts, sie zahlten eine sehr geringe Gebühr gegenüber den regulären Lohnkosten; sprich: ich arbeitete ja ohnehin schon für sie, es gab also keinen Anreiz für sie, mich sozialversicherungspflichtig einzustellen. Ich hätte sehr viel früher gehen müssen, fürchtete aber die Rückkehr in die Werkstatt (Gärtnerei).
➤ Daher:
Es ist gut, wenn die Werkstatt für Menschen mit psychischen Erkrankungen interessante, fordernde Arbeitsplätze in der WfbM vorhält. Das ist im Übrigen auch gut im Hinblick auf die Anti-Stigma-Arbeit. An meinem jetzigen Arbeitsplatz auf dem zweiten Arbeitsmarkt arbeite ich in der Öffentlichkeitsarbeit. Ich mache, was ich gut kann und was mir Spaß macht, schreibe, podcaste, gestalte, kann meine vielen Ideen umsetzen, habe eine freundliche Umgebung. Mein letztes Projekt wird ein Fotokalender sein, Thema: Das große kleine Glück.
Und natürlich habe ich die Krimis in einem Publikumsverlag veröffentlichen können, das ist mir gelungen. Viele meiner Kollegen, Kolleginnen aus der WfbM haben ein Buch im Kopf, oder sonstwie interessante Ideen, wir wünschen ihnen ganz viel Glück.
Mein berufliches Fazit lautet also: Es war sehr schwer, aber es ist gelungen. Einziger Wermutstropfen: All mein Fleiß und meine Disziplin bilden sich nicht in der Altersrente ab; die wird doch recht mager ausfallen.
Aber ich bin zufrieden, lebe ein unauffälliges, ruhiges, bürgerliches Leben.
➤ Vision:
Diese ganz strikte Trennung in sogenannte Betroffene und Nichtbetroffene MUSS aufgehoben werden, in den Köpfen der Erkrankten, in den Köpfen der Helfer, in der WfbM, überall. Jeder kann behindert, depressiv etc. werden, mindestens ein Viertel der Bevölkerung wird es tatsächlich. Über den Herzinfarkt oder die Darmerkrankung kann man reden, über die Wahnerkrankung nicht, das ist mein ganzes Leben so, und war schon so zu Zeiten meines ebenfalls erkrankten Vaters. Das hat mich sehr belastet.
Eine psychiatrische Diagnose (Wahn) darf einfach kein „soziales Todesurteil“ mehr sein, mit diesen äußerst schwerwiegenden Folgen für Liebe und Beruf.
Diese Denke MUSS aus den Köpfen.
In der erwähnten NGO empfand ich erstmals diese absolute Trennung: Ich erhielt lange keinen Schlüssel, es dauerte ewig, bis man mir das Du anbot, ich wurde misstrauisch beäugt etc. In diesem Umfeld bin ich mir sehr, sehr unnormal vorgekommen, ich erkannte mich selbst überhaupt nicht mehr wieder.
Doch all das ist nun vorbei.
Ende des Jahres (2025) gehe ich in die Altersrente. Ich bin dabei, mein Leben zu verdauen. Meine Arbeit, das Schreiben, war eng mit meiner Erkrankung verknüpft, das war nicht nur gut, ich habe mit sehr viel Herzblut geschrieben.
Freiwillig befasse ich mich nicht mehr mit der Thematik.
Ich werde nur noch tun, was mein Leben gerettet hat:
Tanzen, Bücher, die Kunst, Humor, natürlich die Liebe.
Ich habe mein Leben so weit geschafft, toi toi toi. Vielleicht schreibe ich noch einen allerletzten Text zum Thema. Und der heißt:
„Wie ein bipolares Leben gelingt.“
Ein Beitrag von Cornelia Schmitz
Anm. d. Red.:
* BiAp = berufsintegrierter Arbeitsplatz
** WfbM = Werkstatt für behinderte Menschen
*** NGO = Nichtregierungsorganisation, unabhängige Organisation, die nicht auf Gewinn ausgerichtet ist und sich für das Gemeinwohl einsetzt
Titelbild (Ausschnitt) von Emily Morter auf Unsplash
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