Zu »Speedy und Gonzales«, zwei Rotkehlchen auf ihrem Balkon, hat Cornelia Schmitz (AlexOffice) eine ganz besondere Beziehung. Sie inspirieren sie zu so manchen Gedanken, zum Beispiel über die Gesetze der Natur, über die Sprache der Tiere und was sie wohl so zwitschern, über sich selbst am frühen Morgen … und über vieles mehr … Lest selbst!
Speedy und Gonzales
Mein Tag beginnt in der Früh – und zwar sehr früh, gegen vier oder fünf Uhr morgens – mit einer Tasse Kaffee auf dem Balkon. Damit bin ich Mitglied im exklusiven 5 AM Club, einer elitären Angelegenheit, zu der nur Heidi Klum und diverse Motivationstrainer Zutritt haben. Sowie alle Leute, die daran glauben, dass man in Klum‘sche Kreise aufsteigen kann, wenn man den Tag um 5 startet, sich mit einem Blaubeersmoothie auf der Yogamatte niederlässt, meditiert und sich dann aufs Fitness-Bike schwingt.
Man hört, hierin soll der Schlüssel zum Erfolg liegen. Mag sein, könnte aber auch sein, dass mit dieser Methode der Tagesverlängerung auch noch das letzte Tröpfchen Arbeitssaft aus dem gestressten Managervolk gepresst werden soll, ich weiß es nicht.
Egal. Ich stehe krankheitsbedingt so früh auf und sitze dann eben auf dem Balkon. Früher hätte ich zum Kaffee eine geraucht – ach, was war diese erste Zigarette des Tages wundervoll – aber das Rauchen habe ich drangegeben. Und sowieso – es ginge nun nicht mehr.
Denn seit einer Weile habe ich frühmorgens einen Kameraden. Oder eine Kameradin? Oder eine ganze Kameradenfamilie? Jedenfalls: Ich habe den Efeu gegossen, und da flatterte aus dem Topf etwas auf. Setzte sich auf die Brüstung und piepte empört. Ein Rotkehlchen. Schimpfte wie der sprichwörtliche Rohrspatz.
Häh?
Ey Kollege, ich dachte immer, du und deinesgleichen, ihr seid Gründungsmitglieder des 5 AM Club? Von euch haben sich die Klums das abgeguckt, Motivation, Ehrgeiz, Erfolg, der frühe Vogel fängt den Wurm, all das?
Hm. Egal. Ich habe ein Rotkehlchen. So süß. Sitzt da im Efeutopf, gut verdeckt und regengeschützt (ich gieße die Pflanze nur noch auf der nestabgewandten Seite). Nach unserer ersten Begegnung habe ich das Tierchen eine Weile nicht mehr gesehen und deswegen forschte ich eines Morgens ganz vorsichtig und hösch mal nach, bog mit den Fingern das Grün auseinander – Flatter flatter flatter PIEP PIEP PIEP. Böse Blicke. Du spinnst wohl, sagte der Vogel und tippte sich an die Stirn.
Ich schlich mich vom Platz und ab zur Tierhandlung, wo ich einen Haufen Versöhnungsfutter kaufte, Samen und Nüsschen und alles, was diese Winzlinge mögen – aber: nichts. Futter wird nicht angerührt. Wasser dito.
Nun ist es ja so, dass Vögel aufpassen, wenn sie sich zu ihrem Nest schleichen, haben Sie das schon einmal beobachtet? Bei Amseln und Krähen kann man das gut sehen, sie täuschen ihre Artgenossen und Fraßfeinde, indem sie weite Bögen um ihre Behausung machen, hin und her fliegen, sich sorgfältig nach allen Seiten umsehen und dann ganz schnell auf den eigentlichen Platz huschen. Deswegen frage ich mich, ob mein Haustier das Futter nicht annimmt, weil es die Konkurrenz nicht auf den Ort aufmerksam machen will?
Keine Ahnung. Ich wünschte so oft, Menschen und Tiere würden die gleiche Sprache sprechen, alle miteinander eine Art Esperanto. Vor langer Zeit habe ich einen Beitrag im damaligen WDR-Format „Montalk“ gehört, eine Talksendung mit wechselnden Gästen. Da hatten sie einen Ornithologen, also einen Vogelkundler eingeladen, und das war eine Sternstunde der Sendung. Dieser Mann hat so kenntnisreich und informativ, so leidenschaftlich und begeistert über seine gefiederten Freunde gesprochen, er konnte Vogelstimmen nachahmen, wusste über die Flugrouten Bescheid, über die Nistplätze und darüber, welche Arten gefährdet sind, etc. etc. – es war eine Sternstunde des Formats. Schade, ich habe die Sendung nicht mehr finden können.
Jedenfalls würde ich so gerne einen kleinen Talk mit meinem Rotkehlchen machen. Inzwischen lässt es sich oft tagsüber blicken, hüpft auf der Brüstung hin und her und piepst. Mittlerweile sind es zwei, und nun ist die große Frage: Ist das zweite Tier Konkurrenz „meines“ heimischen Vögelchens? Oder sind es Mama und Papa Rotkehl, verwandt mit Familie Schmitz?
Hm. Beide kommen angeflattert, setzen sich aufs Geländer und gucken durch die Gegend, gucken auch mich von allen Seiten an. Als gehorsame Dienerin der jungen Familie stehe ich natürlich sofort auf, damit sie in ihr Nest schlüpfen können.
So oft habe ich mir selbst schon gewünscht, ein Tier der Lüfte zu sein. Ich möchte ein Adler sein und eine Amsel heiraten, glücklich werden für immer. Frei wie ein Vogel, sagt man nicht so? Diese Freiheit, die wünsche ich mir, über den Wolken, grenzenlos.
Doch Tiere, sind sie frei? Sie sind den Gesetzen der Natur unterworfen. Die Natur ist nicht gut oder böse, die Natur IST. In ihr überlebt der, der sich am besten anpassen kann. Die anderen machens nicht lang. Genauer betrachtet bin ich ganz froh über Rente, Krankenversicherung und Regel-Zahnersatz. Ich bin froh über Menschen, die winzigen und schrägen Vögeln ein Obdach bieten.
Und warum schreibe ich nun so gerne über mein Rotkehlchen? Hat bei mir schon die „Brigitte Bardotisierung“ eingesetzt, also die Bevorzugung von Tieren, da man im Alter von Menschen enttäuscht ist?
Oder ist es so, dass man mit den Jahren anfängt, die Piepmätze zu füttern? Ist das ein Zeichen von Altersmilde und mein frühes Aufstehen ein Signal für die „senile Bettflucht“ des hohen Lebensalters?
Diese Fragen kommen mir in den Sinn, wenn ich die Rotkehlchen angucke. Und was denken die lieben Kleinen wohl über mich? Wissen sie, dass wir eines gemeinsam haben? Wir sind Mitglieder im exklusiven 5 AM Club, dem Club der Frühaufsteher, und gehören damit definitiv zur Oberschicht.
Zugegeben, es ist schön, den Tag so früh zu starten, die Welt für sich zu haben, seinen Gedanken in aller Stille nachhängen zu können, während ringsum alles schläft. Es ist schön, dem Vogelgezwitscher zu lauschen. Es ist die Stunde für Ideen.
Doch als ich noch keine Lerche, sondern eine Nachtigall war – also eine Langschläferin – da war mir die fünfte Stunde am Nachmittag die liebste. Die blaue Stunde. Mit einer Zigarette auf den Balkon, entspannen, den Abend planen, Ideen haben…
Wie auch immer. Ich habe einen Vogel. Vielleicht auch zwei. Das ist gut so.
Die Menschen und die Tiere beginnen nun ihr Tagwerk.
Zunächst taufe ich meine neuen Freunde: Sie heißen Speedy und Gonzales. Speedy ist das Weibchen.
Und nun habe ich einen Text zu schreiben.
Ein Beitrag von Cornelia Schmitz
Titelbild: Barbara Minnich (AlexOffice) mit einem Foto von sharkolot auf Pixabay
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