Teil 10 der Beitragsreihe »Masters of Horror« entführt uns in die schaurige und oft dystopische Welt des John Carpenter. In diesem Artikel stellt uns J. T. (AlexOffice) den Schöpfer wegweisender Horrorfilme und einen Teil seiner Werke vor.
»Masters of Horror« – Teil 10 – John Carpenter
Diese Folge, gerade noch pünktlich zum Halloween-Fest, soll sich mit dem Regisseur und Drehbuch-Autor John Carpenter und einer Auswahl seiner filmischen Perlen befassen. Carpenter ist der Schöpfer des Genre-prägenden Slashers „Halloween“ in Gestalt des unbarmherzigen Michael Myers aus dem erfolgreichen Franchise…
Halloween – Die Nacht des Grauens
(„Halloween“ | 91min | 1978)
John Carpenters wegweisender Straßenfeger von 1978 führt uns in das fiktive Haddonfield (Drehort: Charleston, South Carolina). Wir werden Zeugen des Mords eines Kindes an seiner Schwester und den eigenen Eltern. Das besonders Perfide: Wir beobachten als Zeugen aus seiner Perspektive.
Das Kind ist Michael Myers. Seine einzig verbliebene Verwandte: seine sanftmütige, empathische und doch abgeklärte Schwester Laurie, hier zum ersten Mal dargestellt von der wunderbaren Jamie Lee Curtis.
Laurie ist natürlich zwiegespalten – einerseits geschwisterlich mitfühlend zu ihrem Bruder, andererseits hat dieser ihre massive Traumatisierung zu verantworten.
Dann taucht noch Michaels Psychiater Dr. Sam Loomis (Donald Pleasance) aus der Nervenheilanstalt auf. Aus dieser ist Michael nach anderthalb Jahrzehnten entflohen, in der Vornacht zum Halloween-Fest. Loomis redet von seinem Patienten Myers nicht als Menschen, sondern von dem ultimativen Bösen, in dessen Augen nichts als Leere zu finden sei.
Michael Myers schien sich mit seiner Gräueltat von seiner menschlichen Herkunft vollends emanzipiert zu haben.
Er erscheint durchgehend in schwarzer Uniform und weißer Maske. Keine Anzeichen menschlicher Regungen. Und nichts und niemand scheint dieses Monster aufhalten zu können. Hintergründe erfahren wir nicht.
Erst in einem knapp 30 Jahre später folgenden Remake von Berufs-Freak Rob Zombie wird Michael Myers als Opfer eines verwahrlosten, gewaltvollen Elternhauses gezeigt. Doch Carpenter liefert im Original nichts an nachvollziehbaren psychischen Deformationen.
… Carpenteresque …
„Halloween“ – Das Original und die Fortsetzungen
Dass mit „Halloween – Die Nacht des Grauens“ der Grundstein für ein über vier Jahrzehnte andauerndes Franchise gelegt würde, war damals Ende der 1970er nicht absehbar. Die Produktion von 1978 kostete gerade mal 325.000 Dollar.
Der radikale Verzicht auf Special Effects, der Einzug des schier unaufhaltsamen Horrors in ein friedfertiges Idyll einer durchschnittlichen US-Kleinstadt, heben den Wirkungsgrad des Nervenkitzels nicht selten enorm.
Donald Pleasance und Jamie Lee Curtis blieben der Filmreihe lang erhalten. Pleasance bis zum sechsten Halloween-Streifen von 1995, Curtis bis zum jüngsten „Halloween Ends“ von 2022.
John Carpenters früherer Filmstil wechselte von dem poppigen, bunten zu klarem, nüchternen. – Mit „Escape from New York“ (dt.: „Die Klapperschlange“ mit Kurt Russel) verabschiedete sich Carpenter von seiner Independent-Phase mit Filmen wie „Dark Star“ und „Assault“.
Im Gegensatz zu anderen Filmen seiner Zeit blieb Carpenters musikalische Untermalung minimalistisch, synthetisch. Eine Lehrstunde für Hans Zimmer und Danny Elfman!?
Der Pionier des neueren Slashers liest sich unverändert als modernes Märchen.
Laurie, die Schwester des gesichtslosen Killers, hat die Rolle des sogenannten „Final Girls“ gegen den Killer mit ödipalem Komplex und bleibt als solche im neueren Slasher bis zum evtl. letzten Teil „Halloween Ends“ ein gewichtiges Element. Sie wirkt im direkten Vergleich zu ihren Altersgenossen eher steif und verhalten. Ihre Entwicklung im Laufe der Film-Reihe ist gewaltig, ihr Kampf gegen das Trauma wird ihr Lebenskampf und für diesen gibt sie ALLES!
Michael Myers ist ein beharrlicher gründlicher Stalker. Er fährt seinen Tatort in seinem rostigen Van mehrfach ab und lässt nichts in seinen Beobachtungen außer Acht. So menschlich wie in dieser flüchtigen Autosequenz erscheint er dann nicht wieder, gleichsam so unwirklich aber durch alle Teile hindurch – wie ein unwillkommener Fremdkörper in einer Welt, die ihm wohl nie so etwas wie eine Heimat bot.
Lauries erste Sichtungen von Michael, einmal hinter einer Hecke, einmal zwischen Wäschespinnen im Garten, werden von ihrer unbedarften Freundin als Hirngespinste abgetan, doch Laurie weiß es besser. Die meisten der Beobachtungen von Myers lässt Carpenter aus Myers Perspektive, durch seine Maske, geschehen.
Das Spiel mit der Identifikation mit dem Alien-Killer beherrscht Carpenter so mühelos wie virtuos. Carpenter lotet alle Möglichkeiten des Breitbild-Formats (auch „Panavision“ genannt) konsequent aus. Dr. Loomis, der sachverständige Psychiater des unaufhaltsamen Killers, ist hier quasi der moderne Van Helsing. Seine Warnungen verhallen im Raum und seine Vorahnungen werden minutiös eisern bestätigt…
Carpenter wurde, wie sollte es anders sein, mit Kriminalisierungsvorwürfen aus nahezu allen Richtungen konfrontiert. Sein „Halloween“ liefere Lehrpläne der Gewalt. Der Horrorfilm stachele kurz- oder langfristig zu Ausführungen von Gewalt an, senke die Hemmschwelle, das Spiel mit den Ängsten verhindere jegliche Reflexion etc. – so der häufige Vorwurf.
Tatsächlich wirkt bei „Halloween“ besonders verstörend, dass keinerlei Hinweise auf ein irgendwie nachvollziehbares Motiv geliefert werden. So wird Michael Myers von Beginn an alles Menschliche genommen. Carpenters frühe Faszination für das Alien mit Filmen wie „It Came From Outer Space“ mag dem zugrunde liegen.
Robert E. Ziegler schrieb einmal über Carpenters Filme:
„Der größte Horror, der in den Filmen von John Carpenter beschrieben wird, ist der, der von Menschen erfahren wird, die sich, wenn sie ihren Feind treffen müssen, nicht einem grotesken unmenschlichen Killer gegenüberstehen, sondern stattdessen einem Ebenbild von sich selbst.“
Carpenters Game-Changer von 1978 ist so erschreckend wie erfreulich gut gealtert und hat nichts von seiner ursprünglichen Wirkung verloren, und das verdanken wir Mr. Carpenters Handwerk. 1981 und 1982 folgten Fortsetzungen unter Carpenters Regie, dann ließ er ab von dem Kassenknüller und nahm erst beinahe vier Jahrzehnte später die Arbeit an einer Trilogie, die den Spuk endgültig besiegeln sollte, wieder auf. Diese wurde zwischen 2018 und 2022 mit einer nun wieder überzeugenderen Story und einem überzeugenden Cast umgesetzt. Ohne spoilern zu wollen: Das ursprünglich dem Antagonisten Myers abgehende Menschliche wird ihm nun (im Alter) doch noch verliehen. Man erkennt, dass die Jahre nicht spurlos an dem stummen Mann vorüber gegangen sind – UND (Spoiler-Alarm): Die Maske fällt im Finale. Ganz besonders stark: Jamie Lee Curtis als couragierte, leicht verbitterte aber nicht mutlose Schwester Laurie, die der Saga eine lang vermisste Authentizität zurückgibt und neues Leben einhaucht…
The Fog – Nebel des Grauens
(„The Fog“ | 90min | 1980)
Dieser Film bietet alles, was ein zeitloser Grusel-Klassiker braucht: Eine leise, intensive Dramaturgie, eine solide Besetzung, dichteste Atmosphäre… Gleich zu Beginn ein Poe-Zitat:
„Ist alles, was wir sehen oder scheinen, nichts als ein Traum im Traum?“
Gedreht wurde an einem Küstenort im nordwestlichen Oregon sowie im kanadischen Vancouver und weiteren Orten in British Columbia. Eine Nebelbank bewegt sich von See auf das verschlafene Nest zu. In diesem Nebel liegt ein Schiff, die Besatzung ein Haufen vermummter mordlüsterner Untoter. Diese jenseitigen Wesen sinnen offenbar nach Rache.
Neben Tom Atkins zählen auch die bewährte Jamie Lee Curtis und Janet Leigh zum Cast.
Wie so oft bei Carpenter, fehlt hier staatliche Gewalt weitestgehend vollkommen oder sie erscheint zumindest machtlos.
Im einsamen Leuchtturm befindet sich eine Radiostation, der Sender wird allein von einer Frau betrieben. Die Kirche wird von einem zutiefst schwermütigen und das nahende Ende der Menschheit beschwörenden Pater bewohnt. Die Ohnmacht der Kirche bleibt ein wiederkehrendes Motiv in Carpenters Gruselkabinett. Der Nebel hat zunächst bloß Störungen aller elektrischer Geräte zur Folge.
Wie typisch bei Carpenter, erscheint die Bedrohung wie eine Naturgewalt, die uns bewusst machen soll, wie ohnmächtig und klein unsere Spezies ihr gegenüber ist. Der Nebel dringt durch jedes Gemäuer. Nachdem die zuvor nur schemenhaften Gestalten aus dem Nebel in die Kirche eingedrungen sind und dem Pater ein goldenes Kruzifix, der ihnen dieses hergibt, nehmen, weicht der Nebel erst wieder, doch dann…
„The Fog“ ist eine eher simple, aber effektive Rachegeschichte. Das Remake von 2005 fand von der Kritik wenig Beachtung oder wurde von ihr verrissen. Zeitloser Kult bleibt nur das Original…
Das Ding aus einer anderen Welt
(„The Thing“ | 109min | 1982)
Wieder naht das unerklärliche/unergründliche Grauen aus Carpenters Phantasie. Eine Forscherstation auf der Antarktis. Das Team (Kurt Russel als Teamleiter Macready) wird auf seine Gruppendynamik/-psychologie hin beleuchtet. Wie überlebt eine Gruppe von Individuen unter extremsten Bedingungen, wie weit bewährt sich der Zusammenhalt, Carpenters „Trust-Prinzip“?
Die unvorhersehbare Entwicklung, die großartigen Trickeffekte und die durchgehend gespenstische klaustrophobische Atmosphäre machen Carpenters existentialistische Albtraumfahrt in diese eisige Hölle so grausam faszinierend. Mit der zunehmenden Bedrohung von diesem bizarren Organismus, welcher unmittelbar Einfluss auf sämtliche irdische Lebensformen ausübt (physisch wie psychisch), nimmt auch die Verrohung der Crew-Mitglieder zu.
Dies ist Carpenters wohl düsterstes wie trostlosestes Werk, ein Sci-Fi-Horrorklassiker, der nichts für Zartbesaitete ist und Ridley Scotts „Alien“ wie eine schale Vorspeise erscheinen lässt. Hier scheint sich alles perfekt arrangiert ineinander zu fügen, was an Spezialeffekten und Kameratechnik aus jener Zeit machbar war…
Fürsten der Finsternis
(„Prince Of Darkness“ | 102min | 1987)
Carpenters Hang zum Übernatürlichen (auch Okkulten) zeigt sich hier nach seinem kultigen „The Thing“ in besonderer Härte und Intensität. Dieser düstere und doch bildgewaltige Klassiker hat eine ähnliche Grundprämisse wie „The Thing“, doch legt er seinen Fokus auf das „Faith-Prinzip“, den Verlust des Glaubens und dann auch wieder das Einverleibt-Werden in einen fremdartigen Organismus. Fragen nach dessen Herkunft lässt er so offen wie all jene nach Motiven seiner Serienkiller-Ikone Myers. Donald Pleasance ist wieder mal an Bord, und sogar Alice Cooper alias „street schizo“ (!) bringt etwas Rock’n‘Roll in das beklemmende Spektakel. Ein Anti-Gott wird zelebriert. Und dessen Übermacht und Ungnade machen den wahren Horror dieser Haunted-House-Perle aus.
Der Genuss dieser derben Höllenodyssee empfiehlt sich weder auf nüchternen noch vollen Magen…
Sie leben
(„They Live“ | 93min | 1988)
Ob wirklich Horror oder doch eher dystopische, sozialkritische Satire – Carpenter kann beides.
In der Hauptrolle der kanadische Wrestler Roddy Piper, auch im wahren Leben ein Grenzgänger, der durch eine spezielle Sonnenbrille erkennt, dass Außerirdische Menschengestalt angenommen haben und die Menschheit mittels Werbebotschaften zu willenlosen Konsumenten machen, sie somit kontrollieren und beherrschen.
Eine Persiflage auf dystopische Klassiker wie Orwells „1984“ oder Huxleys „Brave New World“ oder doch vielmehr ein eigenständiges Werk, das sich in ebenjene Klassiker finstrer Anti-Utopien einreiht!? Entscheidet selbst…
Das Dorf der Verdammten
(„Village Of The Damned“ | 95min | 1995)
Wieder so ein zeitloser Kultstreifen, der ein bisschen in die gleiche Kerbe schlägt wie Stephen Kings „Kinder des Zorns“ oder auch Robin Hardys „Wicker Man“, allerdings mehr atmosphärischer Horror ist und unterm Strich mehr Drama mit übernatürlichen Elementen. Ein Film, mit dem uns Carpenter wieder eine neue Landschaft seiner Albtraumwelt vorstellt und uns mit tiefsten Urängsten konfrontiert.
Der Film basiert auf einer Erzählung des Science-Fiction-Autors John Wyndham. Es geht hier im weiteren Sinne um den Kampf um Autonomie, um Individualität, um Freiheit. Bei Carpenter schwingen unter der Oberfläche stets größere Themen(komplexe) mit. Eine Entdeckungstour, die gewiss nicht zwingend Freude macht, aber bestimmt erhellend und bereichernd sein dürfte…
Studio 666
(„Studio 666“ | 106min | 2022)
Bei aller Düsternis und Abgründigkeit seines Werks sollte man Carpenters Sinn für Humor nicht unterschätzen (man denke zurück an seine trashige Weltraumkomödie „Dark Star“). Kurz vor dem Ableben ihres Schlagzeugers Taylor Hawkins drehte er mit den Foo Fighters einen herrlich abgedrehten „Haunted-House“-Streifen in der Nachbarschaft des Frontmanns Dave Grohl in Encino, San Fernando Valley. Zum Cast zählen auch Slayer-Gitarrist Kerry King, Comedienne Whitney Cummings und „Wednesday“-Star Jenna Ortega sowie Songwriter-Legende Lionel Ritchie.
Übertriefend vor Klischees und plattesten Stereotypen, macht dieser Film, besonders wohl den Foo Fighters-Fans, von Anfang bis Ende absolut Spaß – ein Party-Horrorfilm, der sich selbst zu keiner Sekunde ernst nimmt. Als Gegengewicht zu Carpenters vertrauter Melancholie und Apokalyptik ein erfreulicher Happen inklusive Fan-Service…
Carpenter, persönlich
John Carpenter sagte einmal über sich selbst:
„Ich bin in gewisser Weise eine wirklich zynische Person.
Ich lasse mir ungern einreden, dass auf der Welt alles rosig sei und ich glaube nicht, dass die Dinge wieder in Ordnung kommen – und dennoch, auf der anderen Seite, hoffe ich es doch…“
Ein Beitrag von J. T. (AlexOffice)
Weiterführende Links:
• John Carpenter – Wikipedia
• John Carpenter’s Favorite Movies: 10 Films the Horror Master Wants You to See – Artikel (engl.) auf www.indiewire.com von Wilson Chapman 2023
• John Carpenter names his 10 favourite movies of all time: “Brilliant and inspiring” – Artikel (engl.) auf www.faroutmagazine.org.uk von Swapnil Dhruv Bose 2024
• Jamie Lee Curtis im Interview: „Jeder trägt eine dunkle Seite in sich, wirklich jeder“ – Artikel auf www.sueddeutsche.de von David Steinitz 2021
• Kinokolumne Top Five – John Carpenter wird 70: „Unsere Ängste auf der Leinwand“ – Artikel auf www.deutschlandfunkkultur.de von Hartwig Tegeler 2018
Literatur:
• Frank Schnelle: „Suspense Schock Terror – John Carpenter und seine Filme“ (Taschenbuch 1991)
• Gerhard Hroß: „Escape To Fear – Der Horror des John Carpenter“ (Taschenbuch 2000)
Bildquellen:
• Michael Myers (Figur der “Halloween”-Reihe) – Bild von Everton (2017) via www.goodfon.com
• “Halloween” Film-Logo (1978) via the-dead-meat.fandom.com
• Halloween – Die Nacht Des Grauens – Trailer (DEUTSCH) | 1978 (YouTube screenshot)
• John Carpenter (2012) – Foto von Kyle Cassidy, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons
• John Carpenter (2010) – Foto von Nathan Hartley Maas, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons
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