Anlässlich des „Weltgeschichtentages“ am 20. März nimmt uns unser Kollege J. T. aus dem AlexOffice in seiner Geschichte »Frame of Bones« mit auf eine humoristische Reise in das ferne Land „Hyazinthien“ – zu Königen, Prinzen und durchtriebenen Schurken.
»Frame of Bones«
Im Tal der Hyazinthen
Es versprach ein weiterer erfreulicher Tag in Hyacinth Valley im Königreich Hyazinthien zu werden. Die Königin Rigorosa war satt und zufrieden, froh über mehr als hundert Jahre sog. Wohlstand und Frieden, schickte nach einer weiteren bärtigen Mätresse aus, welche ihr ein klein wenig Erleichterung, mitunter in der großzügig von Rüschen bedeckten Region ihres gewiss edlen Leibes, verschaffen sollte. Der König Rimunkulus war vor ein paar Sonnenwenden an einer zu spät behandelten Entzündung hässlicher Ausstülpungen seiner Dickdarmschleimhaut verstorben. Ihr Sohnemann war ein verträumter Tunichtgut, der den lieben langen Tag im Schlossgarten lustwandelte, von den süßesten Früchten kostete, Schmetterlingen nachspürte und lauthals dichtete, frei von Reim und Versmaß…
…der schmalbrüstige, hakennasige Prinz (ganz der Herr Papa) ertrug weder (konstruktive) Kritik, geschweige denn Widerspruch ~ sollt es aber doch eine(r) wagen, so war es gewiss, dass seine Frau Mama jenen Troll beim nächsten Probekrieg in die vorderste Schlachtreihe, oder unbewaffnet und bar jedweder Textilien ins Wildgehege zu Raubkatzen, Schlangenvieh und karnivorischen Riesenwürmern (…), entsenden würde – ein Schelm, wer BÖSES dabei denkt…
…es gab mehr als genug Brot für mehr als genug Spiele ~ das war gut, denn es diente dem Machterhalt des Königshauses, das sein Volk über hundert Winter wohlgenährt hielt. Jede Blume, jedes verstaubte Kriegsgerät, jeder Kadaver von Tier und Mensch glänzte im himmlischen Gold der Frühe…
…die Königin raunte finster über jene, die sich da nicht verbeugten, verbogen vor ihrer je unanzweifelbaren Schönheit ~ nun, diese existierte bloß in ihrem Wahn, innerhalb des Spiegelkabinetts im Nordturm ihrer hoheitlichen Festung ~ ihr kleiner Prinz besuchte sie des Abends und hatte sie bewundernd zu betrachten während sie leichthin an ihrem widergespiegelten Antlitz verzweifelnd in den gold’nen Spiegel starrte…
…die Männer da draußen schufteten hart, studierten ihrer Götter Schriften oder trieben Ablasshandel oder was sonst gerade anstand, zum Beispiel Mannschaftssport: das Ringen und Jagen waren zwei besonders geschätzte Disziplinen in Hyazinthien(!) – doch wenn der kleine Prinz über seinen Talar aus seinen unbescheidenen Gemächern stolpernd an den jungen Bediensteten vorbei latschte, murmelte und tuschelte es von neben wie hinter ihm her: Des is doch kein Mann, des is’n Wurm…
…an just diesem Tage stieg der Prinz aus seinem Zimmer, ein wenig weh ums Gemüt, hinaus in die Taghelle: teils wolkig, teils strahlend schön war’s und ihm wurd schwindelig erst, dann speiübel. Die Dienstmädchen kicherten ein bisschen als sie ihn da so umher taumeln sahen. „Ein Wicht, schau nur, welch ein Schwächling, selbst in den Beinen.“ Das schmerzte, denn auch wenn er es nicht deutlich vernahm, so spürte er ihren Spott in den Blicken, er war machtlos im direkten Gegenüber, ein lächerlicher Gnom unter dem Himmelzelt der gewiss ebenso belustigten Götter…
…von den Klatschmohnfeldern im Norden her kam Ingvar, der Bastardsohn, der, so verachtet wie gefürchtet, einst aus diesem Tal der zumeist mindestens zehn Fuß hohen Spargelgewächse vertrieben ward – ein tatkräftiger, hochgewachsener Bursche – Ingvar und der kleine Prinz. Zwei ungleiche Brüder. Ein KONFLIKT! Das kennt man…
Auch die Götter seien missgünstige Leut, so sprach die Rigorosa dunkel, einst als der optische Verfall begann bei ihr. Ja, auch die Götter sind Spötter über Wohl und Wehe ihrer Kundschaft. Doch Rigorosa war wahrhaftig eine Sünderin und der Ingvar eines jener Sünden Ergebnisse…
…vielleicht, wenn ihr Geist eines ferneren Tages durch die Ödnis der fruchtlosen Ebenen fernab ihrer Besitzungen ihrer Wege schleichen werde, wird ihr Rest Seele daran zerbersten – der kleine Prinz meinte da so eine Ahnung zu haben…
…scheußlich ist die Missgunst innerhalb des eigenen Stamms, scheußlich der Verrat, scheußlich ein gedemütigtes Ego. Ingvar stampfte munter auf sein gebrechliches, willensschwaches Brüderchen zu. „Ah, mein majestätisch erhaben in die Lande glotzendes Bruderherz!“ zischte es blöde aus Ingvars weithin ausgetrockneten Schlund.
„Bist ja noch immer bloß’n kleiner Wegelagerer, Aushilfsedelmann und wirkst so schwach auf der Brust wie eh und je…!“ amüsierte sich wacker der Ingvar…
…der kleine Prinz, welcher derart unglücklich über seinen Namen gewesen, dass wir ihn hier nicht erwähnt haben wollen, zitterte an seinem ganzen kümmerlichen Leibe – man vernahm vermehrt deutlich das Aneinanderklacken seiner Knie. Das machte das Dienstpersonal freilich kichern und die nahende Gewalt des raubeinigen Invasoren, vom selben Mutterblut wie das fragile Prinzlein, verscheuchte die kleinen Biester zurück ans Werk…
…eine alles unter sich ermattende Wolkendecke zog großartig über die nun schier unendlich erscheinenden Hyazinthenfelder, als der verstoßene Bastard seine Machete aus dem bronzenen Schaft an seinem wildledernen Lendenschurz zog und sie unter die fliehende Kinnpartie des nunmehr allzu mickerigen Prinzen stieß. „DICH! hat sie also HIER behalten. Taugst denn wenigstens zum Bewässern der Blümchen, Knirps?“ Der kleine Prinz fror und obwohl er etwas entgegensetzen wollt, erlahmte alles in ihm…
…Rigorosa beobachtete die Beiden von ihrem Pavillon her. Sie hatte diese Szene schon vor vielen Wintern und manch dürftigen Ernten kommen sehen, doch insgeheim gehofft, dass ihr Bastard bei einem seiner unzähligen Abenteuer umgekommen sei – mitnichten! Ingvar strotzte nur so vor Kraft, trotz des langen Marsches und der vielen Rückschläge – ach, es schien gar, dass jene ihn nur umso stärker werden und ihn weiter und weiter aufblühen ließen…
…der kleine Prinz sah sein Ende gekommen – vor seinem inneren Aug sah er wie der Verstoßene beherzt in diese ihn doch versagt gebliebene Festung einziehen und sich in das kalte Mutterherz stehlen würde um sich darin wunderbar einzurichten. Ingvar erschien ihm recht eigentlich wie ein tumber Unflat, der nichts mehr genoss als dass sich der kleine Prinz fühlte wie ein trauriger Klecks in einer Welt, in die er vielleicht nie gehörte, die ihn nicht wollte und die ihn bei nächstbester Gelegenheit ausspeien würde, ganz so als sei er eigentlich derjenige der hätt‘ ausgestoßen werden sollen – er, der Prinz, Anwärter auf den Thron – er, der zig Male in tiefster Furcht vor ebendieser grausigen Begegnung schon in seine samtenen Kissen geweint…
…Ingvar zog nun in dies noch immer nicht minder vertraute Schloss aufrechten Schrittes ein. Die Wachen schob er mittels triumphalen Blickes beiseite. Der kleine Prinz sah ihm stumm nach und alles zerfiel in ihm, sackte in sich zusammen wie ein unter fiesen Brackwassern durchweichendes Kartenhäuschen. Ingvar schritt zum Südturm, dort wo der einstmalige König und Großinquisitor schlief und hurte und große Pläne schmiedete für ein tausendjähriges Wasauchimmer…
…der Bastard brach in die prunke Stube ein wie es einem Nordmann gefiel und atmete den Odem dieser beinahe zur Gänze hin verkommenen Abstellkammer ein und stieß einen Freudenschrei aus, nahm ein paar tapfere Schritte auf die Ankleide-Ecke seines offiziell ehrenhaft verblichenen Stiefherren zu, stand vor der eigentlichen Größe seiner ureigenen Gestalt im Spiegel des ihn verschmäht habenden Herrn, hasste was er sah und konnte seinen Blick doch nicht abwenden. Dieser gold’ne Zauberspiegel, geputzt und wie ein Ehrendenkmal erhalten, jeden Widerschein in sich verjüngend, strahlte innerhalb seines so eigentümlich wie grausig sich darbietenden Rahmens, denn umrahmt von unzähligen Knochen von Knaben und deren „Kriegervätern“; all jene Bastarde, garstige Hüttenmänner, Spottgeburten aus Dreck & Feuer (es erschauderte selbst den stolzen Ingvar nun) …alles solche wie ureigens er selbst…
…der grob behauene tapfere Racker Ingvar war nun, ganz unverhohlen wie urplötzlich – niemand wusste wie’s geschah – ein zartfühlendes, ungelenkes, hilfloses Etwas. In sich zusammen fiel auch er, dieses Mal vollends. Krabbelte dann in der „väterlichen“ Stube ziellos umher. Was sollte ihm helfen, wer wollte ihn aufnehmen…(!!)…verschrien als Monstrum, als geiferndes, schürzenjagendes, in den Grundfesten verderbtes Unwohl. Wie ein babylonischer H*renbock schien er des Palastes verwiesen. „Geh zur Hölle, aber…GEH!!!“, schrien sie, lauter bildungsfernes Laufvolk, auch sie freilich nichts als Hundsfotte jenseits der Grenze von Licht und Schatten. Die meisten unter ihnen nichts als Habenichtse ohne gepökelten Schinken, herzhaft belegte Brotlaibe, Mineralien, Wolfsfelle noch irgendwas von Tauschwert im Gepäck – reinstes Lumpenpack also…
…doch dies Kollektiv an Schreihälsen stählte ihn jedoch, ließ ihn gar zu Ingvar Dem Horriblen mutieren bis er gefeit war vor jedweder Niedertracht innerhalb des hässlichen Heeres an weiteren Höhlenmenschen im Exil.
…das Fundament war nun gesetzt für ein neues Werden. Es bekam dem kleinen Prinzen nicht gut, dass er sich nun nicht mehr bloß fühlte wie ein flüchtiger Fußabdruck auf der Sandbank der Geschichte, dass er vielleicht wahrlich weit weniger war als ein Wurm, der sich vergebens durch ein Blättlein am unmessbaren Baum der Zeit zu fressen sucht…
…die Rigorosa probierte den unwillkommenen Krieger mit einem Läuten ihrer Hausglocke zu ihrem Schierlingsbecher unten im Vestibül ihres gerade farblos anmutenden Gemäuers zu locken, als dieser nun im Gewande des Königs die rot gefliesten Stufen zu ihr hinab stieg und gellte. „Ah, Mutter… will sie mit uns verfahren wie mit den andren Schandflecken dies Hohen Hauses, welche sie unerwünschterweise in diese so großartige wie grausame Welt ge**** hat!“ Und dann ergriff der horrible Ingvar den Becher, kippte ihn sich zwischen die Backen, presste seine hässlichen, aufgesprungenen, feisten Lippen auf ihre lüsternen, kalten, verlogenen … und gab ihr den schwerflüssigen Saft zu schlucken…
…nun, das Versprechen eingangs, dass dies ein erfreulicher Tag werden würde, hatten die Götter (sofern sie wahrhaft involviert gewesen und hier hinein gewirkt haben mochten…) weithin eingelöst… … …;*
Ein Beitrag von J. T. ;*
Titelbild „Bücherwurm“: AlexOffice (Tim André Elstner)
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Eine interessante Geschichte mit glücklicherweise wenig Blut.