Zur Heilung oder Linderung von Symptomen seelischer oder körperlicher Erkrankungen werden heutzutage tiergestützte Therapieverfahren angeboten, bei denen Tiere als helfende Partner eingesetzt werden. Auch Cornelia Schmitz (AlexOffice) hat sich hoffnungsvoll an eine solche tiergestützte Therapie herangetraut und das »Kuscheln mit ner Kuh« namens Carmens ausprobiert. Lest hier, wie es ihr dabei erging …


 

Kuscheln mit ner Kuh

… ja, das gibt es und es heißt auch so: Kuh ku(h)scheln.

Die tiergestützte Therapie wird mittlerweile deutschlandweit auf verschiedenen Bauernhöfen angeboten, richtet sich im Prinzip an alle, vor allem aber an Menschen mit Handicap, speziell mit Diagnosen wie ADHS, Autismus, Angst.

Well. Ich bin für alles offen, um meine Ängste loszuwerden, Wallfahrten nach Lourdes, der Jakobsweg, oder nun eben: Umarmen einer Muh Muh.

Wie habe ich es mir vorgestellt?

Es sei eine reinliche Krippe, so ähnlich wie Bethlehem, Exkremente seien nicht vorhanden oder unter Stroh verborgen, es dufte nach Heu. Die Kühe seien niedlich und klein, praktisch wie große Hunde. Ich sei mit meiner Begleitung allein, mit maximal zwei klitzekleinen Kühlein, quasi Kälbchen. Wir würden knuddeln wie die Wilden, es sei wie in einer Milka-Reklame.

Und wie war es?

Die Bäuerin ist nett und jung. Aus dem Stall blickt uns ein Pferd mit einem neugeborenen Fohlen an, weiße Blesse auf der Stirn, soooo süß. Ein Pony schnuppert erwartungsvoll in die Luft, die Hauskatze streicht uns um die Beine, einen Hund gibt es auch. Alles sehr gut. Doch wo sind die Viecher, um die es heute gehen soll?

Nun, es geht auf eine Wiese. Und wir sind nicht zu zweit (wie angenommen), sondern zu sechst. Sechs Erwachsene auf einer holprigen Wiese voller Löcher. Und voller, nun ja, voller … Fladen.

Sechs ausgewachsene, RIESENGROßE Rinder, mustern uns erwartungsvoll. Ich fühle mich sehr wackelig auf den Beinen. Wieso denke ich gerade jetzt an Stierkampf und Torero? Die Bäuerin, namens Lina, versichert, dass nix Schlimmes passieren kann, gaaaar nix Schlimmes.

Doch wir sollten uns besser nicht hektisch bewegen. Denn das hätten die Tiere nicht so gern. Ich schlucke. Die Kühe seien übrigens um die 450 kg schwer, meint die stolze Besitzerin der liebevollen und ganz, ganz sanften Wesen.

Ich sage mir, dass diese immerhin schon mal keine Raubtiere sind. Sie fressen kein Fleisch, sondern Gras. Im Gegensatz zu mir. Im Grunde beschränkt sich meine Bekanntschaft mit Rind darauf, dass es als Steak auf dem Teller liegt. Die dunklen Augen der Kühe mit den dichten Wimpern sind seelenvoll. Doch wer kann in ihr Inneres schauen? Wissen sie von den Steaks? Haben sie Karma-Antennen mit ihren verstorbenen Schwestern und Brüdern?

Die Rinder und wir stehen so rum. Man solle sich von der Seite nähern, das Tier ganz umfassen, die Kruppe streicheln, sagt Lina. Ich wage es. Hm. Fühlt sich schön an. Fühlt sich an wie Geborgenheit. Doch dann erschrickt die Kuh und ich springe zur Seite. KEINE hektischen Bewegungen, ruft Lina. Man brauche keine Angst zu haben, aber doch einen gesunden Respekt. Mein Respekt ist sehr groß. Kurz schiele ich zum Auto hinüber.

Die Tiere lassen sich nieder, kennen das Programm, sind kuschelbereit. Nun heißt es Freiwillige vor. Todesmutig stürze ich mich in die Arena, will vor den Anderen nicht als Feigling dastehen. Meine Kuh – namens Carmen – sei wirklich ganz harmlos, sei von allen die Liebste, würde schnurren, wenn man sie krault. Skeptisch lasse ich mich auf meine 64jährigen Knochen nieder, versuche, eine entspannte Haltung zu finden. Komme ich im Ernstfall schnell genug hoch? Man ist nicht mehr die Jüngste.

Carmen schnurrt kein bisschen. Sie schaut in die Ferne, verdaut, scheint gänzlich desinteressiert. Ich schaue mich um. Tatsächlich haben die anderen Tiere inzwischen den Kopf in den Schoß ihrer Kuschler gelegt. Was ich neidisch beäuge.

Lina führt nun aus, dass Kühe Hunde als Wölfe empfinden und dass sie, falls sie einen Hund wittern, gerne mal zum Angriff übergehen. Man solle sich als Wanderer mit Hund auf keinen Fall zwischen die Rinder und den Hund stellen. Wie gesagt: Man brauche vor ihnen keine Angst haben, aber eben einen gesunden Respekt.

Sofort muss ich an jene Wanderung denken, bei der wir zu spät vom Berg runterkamen und eine Abkürzung über eine Viehwiese machen mussten. Mit Hund. Damals gingen wir sehr sehr schnell bergab. Und schon wieder muss ich an Stierkampf denken.

Wittern die Tiere umgekehrt die Angst der Menschen ähnlich wie Haie? frage ich Lina. Die sagt, dass Kühe im Vergleich zu Hunden und Pferden nicht auf Angst und Unsicherheit des Menschen reagieren, deswegen böte sich Kuhkuscheln ja gerade so gut als tiergestützte Therapie an. Es sei so ähnlich wie Schwimmen mit Delphinen.

Es ist ein ziemlich heißer Tag, und jetzt, wo sie es sagt, muss ich an den Wellness-Bereich im Hotel denken. In dem ich genau in diesem Moment im Naturbadeteich schwimmen könnte, eiskaltes Wasser, Seerosen überall, keine größeren Tiere als Fliegen und Libellen, Cocktails dazu wären möglich.

Doch ich sitze ich auf einer Wiese voller Kuhsch***e und kraule ein Tier, welches ungerührt vor sich hin verdaut.

Über uns kreist ein Helikopter und Carmen springt auf, sie hat sich erschrocken. Ich weiche hastig aus, komme ächzend auf die Beine. Meine Hose ist nass und ich rede mir ein, dass die Feuchtigkeit keine ‚Sie-wissen-schon-was‘ ist. Ich versuche, nicht darüber nachzudenken. Ich versuche, nicht auf die Uhr zu schauen. Ich streichele den Hund, ein ängstliches Tier, welches die Kühe ausnahmsweise in ihrer Nähe dulden. Mir scheint, der Vergleich passt.

Ich schaue mich um, die anderen strahlen um die Wette, ihre Tiere haben das Köpfchen in den Schoss der Menschen gelegt, Zufriedenheit überall.

Hm. Ich denke, vielleicht muss ich klein anfangen? Mit Meerschweinchen? Oder mit Kaninchen.

Gott, was für ein Segen, dass Elefantenkuscheln nicht im Angebot war.

Ein Beitrag von Cornelia Schmitz


Weiterführender Link: Tiergestützte Therapie – Wikipedia

Titelbild (Ausschnitt) von Daniel Quiceno M auf Unsplash


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