In Teil 9 der Beitragsreihe »Masters of Horror« lernen wir Ryan Murphy & Brad Falchuk kennen, die Erschaffer der US-amerikanischen Horror-Fernsehserie „American Horror Story“. J. T. (AlexOffice) stellt sie uns vor.
»Masters of Horror« – Teil 9 – Ryan Murphy & Brad Falchuk
AMERICAN HORROR STORY
Murphy und Falchuk sind die Creators der Anthologie-Serie AMERICAN HORROR STORY (AHS), welche sich seit 2011 weltweit wachsenden Publikums erfreut und mittlerweile zwölf Staffeln aufweist.
Jede Staffel erzählt eine abgeschlossene Geschichte, insgesamt schafft die Serie einen Querschnitt der Geschichte des Horrorfilms, vorrangig des US-Horrorfilms. Mal religiöse Opferrituale (CULT), mal ein mörderischer Zirkus (FREAK SHOW), mal eine an die Untaten des NS-Arztes Mengele gemahnenden Experimente eines grausamen Arztes in einer Horror-Anstalt (ASYLUM).
Obwohl Anthologie, lebt diese außergewöhnliche Serie von wiederkehrenden Elementen und Darsteller*innen, wie beispielsweise Sarah Paulson, Jessica Lange, Kathy Bates und nicht zuletzt sogar Lady Gaga.
Wo in Filmen die Handlung sehr verdichtet ist, wird hier nicht unbedingt zugunsten der Spannung die Erzählung ausgeschlachtet.
American Horror Story ist eine einzige fantastische, furchteinflößende, wendungsreiche und streckenweise auch gewöhnungsbedürftige Hommage an den (US-amerikanischen) Horrorfilm. Jede Staffel lässt sich als abgeschlossene Mini-Serie sehen.
Hier werden Euch nun einige ausgewählte Staffeln vorgestellt. Einige sind großartig, andere bloß mittelmäßig. Nicht meine subjektive Meinung bloß, sondern der Spiegel der Fan-Gemeinde. Also konzentrieren wir uns hier auf die herausragendsten.
FREAK SHOW
In Freak Show (Staffel 4, 2015) wird die tragische Geschichte des Horror-Clowns Twisty und die weiterer tragischer Figuren aus seiner Zirkus-Familie quälend exzessiv/intensiv beleuchtet. Hier weicht der Horror einem psychologischen Drama. Und hier finden sich zahlreiche Zitate aus Tod Brownings Freaks aus dem Jahr 1932 wie auch aus Slasher-Filmen der 1970er wie der 1980er. Hier scheiden sich die Geister: Wie viel Horror verspricht und hält AHS hier?
Man muss eine Liebe zu großen (amerikanischen) Erzählungen und der Schauspielkunst an sich haben und sich nicht bloß mit bloßem Schockeffekten und maskenbildnerischer Finesse zufrieden geben. AHS bietet Atmosphäre, und ein facettenreiches Personal, sehr viel davon und viel Liebe zur Auserzählung und Details. In Horrorfilmen findet man Häppchen, in American Horror Story das ganze Buffet.
Freak Show ist aber unbedingt einmalig, da es Popcorn-Kino und psychologisches Drama (inkl. ein bisschen Milieu-Studie) bietet.
FUN-FACT: Die von Naomi Grossman so phantastisch verkörperte „Pepper“ basiert auf einer Zirkusattraktion Schlitze Surtess aus den 1920ern, der aufgrund von Missbildungen als Kuriosität vorgeführt wurde. Dieser diente auch Tod Browning als Vorbild für seine Freaks…
APOCALYPSE
In Apokalypse (Staffel 8, 2018) wird ein Endzeitszenario heraufbeschworen. Wieder eine hässliche Fratze Amerikas in nahezu allen Schattierungen wird uns hier präsentiert. Die US-Klassengesellschaft nach Ausbruch des Dritten Weltkriegs wird nun beleuchtet.
Joan Collins (Denver-Clan) hat gleich zu Beginn einen Auftritt. Mit ihr verbinden wir das uns altbekannte Amerika, den amerikanischen Traum, doch weicht dieser jäh einem Albtraum, ein Palast im Untergrund welcher lediglich den Priviligierten zugänglich ist. Sarah Paulson spielt kongenial die grausame Herrscherin in dieser unwirklichen (UNTER-)Welt. Heiß ersehnt wurde diese Staffel nicht zuletzt, weil hier die Charaktere aus der ersten Staffel („Murder House“) und der dritten Staffel (Coven) aufeinandertreffen. Das zu erwartende/befürchtende Machtgerangel, die morbiden Psycho-Spiele finden hier ihren Platz und lassen kaum noch so abgründige Wünsche offen. Großes, abgründiges, derbes Theater erwartet die Zuschauer hier.
Dazu ein lässiger Soundtrack – mitunter „Gold Dust Woman“ von Fleetwood Mac. Dieser Song war schon in Coven Teil des Soundtracks.
AHS schafft es durch sämtliche Staffeln bis dato die Schatten US-amerikanischer Geschichte abzubilden, darunter etwa die Hexenverfolgungen/-verbrennungen (Hexenprozesse von Salem Ende d. 17. Jhdts), die Sklavenhaltung, die zig Schattierungen des noch immer schwelenden bis offen ausgetragenen Rassismus, die vielschichtige Zerrissenheit, die Bigotterie, den Postfeminismus (…) ein interessantes, schillerndes, vielgestaltiges, abwechslungsreiches Portfolio legt uns diese außergewöhnliche Serie hier vor…
HOTEL
In Hotel (Staffel 5, 2015) taucht nun Stefani Germanotta aka LADY GAGA als die finstere Gräfin auf. Sie leitet das Hotel Cortez im Los Angeles der Gegenwart. Das Hotel besteht aus sechs Stockwerken, und hinter jeder Tür verbirgt sich ein neues Grauen. Dass mit dieser Countess einiges im Argen ist, wird uns gleich zu Beginn unmissverständlich klar.
Die Vielzahl an missgestalteten Kreaturen und die psychologische Finesse, die klaustrophobische Kulisse und die für AHS charakteristischen Plot-Twists machen Hotel zu einem Horror-Vergnügen der besonderen Art. Besonders schaurig ist der Abhängigkeits-Dämon, nicht nur weil er ohne Mund und Augen auskommt und aus einer wachsartigen, fettigen Gewebemasse zu bestehen scheint, sondern ausnehmend perfide (sexuell offensiv) agiert. Zunächst erscheint er als mutmaßliche Vision eines Drogenrauschs, doch bald verschwimmen die Grenzen zwischen Wahn und Wirklichkeit. Die Finessen dieses Latex-Dämons sind derbe und an Grausamkeit kaum zu überbieten. Verkörpert wird der Dämon von Alexander Ward, welcher dem Genre-Liebhaber bereits aus Army Of The Dead, Annabelle 3 und/oder auch Westworld bekannt sein mag.
Es sollen hier aber nicht durch Spoilern die evtl. noch bevorstehenden Schockeffekte genommen werden. Immer wieder tun sich hier, wie in vielen weiteren Staffeln von AHS, neue Falltüren in Abgründe auf, in die man vielleicht besser nicht hineinsehen möchte…
(FUN-FACT: Das Hotel wurde dem Winchester-House im kalifornischen San Jose nachempfunden. Die dort wohnhafte Sarah L. Winchester litt unter der Furcht, von den Geistern der durch Winchester-Gewehre getöteten Menschen heimgesucht zu werden.)
ROANOKE
In Roanoke (Staffel 6, 2016) entsteht eine fiktive Doku unter dem Titel „My Roanoke Nightmare“, welche in North Carolina gedreht wurde. Hier werden wir in ein Spukhaus entführt. Die Dramaturgie des Grauens nimmt hier äußerst unangenehm an Fahrt auf.
Diese Staffel spaltete die Fan-Gemeinde. Zwar wurden die Ideen als originell honoriert, doch schien die Umsetzung recht gewöhnungsbedürftig. Hier zeigt sich ein Manko eben auch dieser Serie: Es reicht eben nicht immer aus, wenn Rollen brilliant besetzt sind, wenn es der Erzählung an entscheidenden Ecken an Tiefe und stellenweise an dramaturgischem Geschick mangelt. Das Damokles-Schwert so mancher Macher*innen von Erfolgsserien, die unter Zeitdruck Qualitätsarbeit abliefern wollen.
Nichtsdestotrotz ist auch diese Geisterbahnfahrt den Eintritt wert. Das geschulte Publikum findet vielleicht etwas weniger Gefallen, doch Ausstattung, Personal, musikalische Klangkulisse und zahlreiche Grüße aus „TWISThausen“ laden auch hier freundlichst ein…
COVEN
In Coven (Staffel 3, 2013-14) geraten wir an einen Hexenzirkel. – Diese Staffel spielt im Hauptstrang der Erzählung in der Gegenwart und spielt die Klaviatur des Hexen-Horrors grandios und vollends aus.
Hier finden Sarah Paulson, Jessica Lange und Kathy Bates (an die wir uns noch aus der Stephen King-Verfilmung von Misery erinnern dürften) zueinander. Ein infernalisches Gespann, von dem keine vertrauenswürdig oder harmlos scheint. Bitterste Abgründe finden sich hier zwischen jeder Geste und jeder spöttischen Zeile.
Die Referenzen zu den Hexenverbrennungen in Salem sind überdeutlich.
1984
In 1984 (Staffel 9, 2019) werden wir in die 1980er entführt, eindeutige Referenzen auf die gängigen Slasher Halloween und Freitag der 13. stehen hier im Fokus. Die klischeehaften Dialoge wie alle geläufigen Stereotype der genannten Filme und eine so absolut künstliche wie doch beeindruckende Kulisse werden hier ausufernd zelebriert – irgendwo außerhalb von L.A. wurde gedreht.
Wir sehen hier John Caroll Lynch wieder, der bereits als Twisty der Clown einige Auftritte hatte. Hier spielt er einige neue Tiefen eines erneut komplexen Characters aus.
An Fan-Service mangelt es auch dieser Staffel nicht. Eine klare Empfehlung an Fans der Slasher aus dem Jahrzehnt der Horror-Ikonen Myers, Vorhees und Krueger…
ASYLUM
Eine Staffel, die hier unbedingt vorgestellt werden muss, ist Asylum (Staffel 2, 2012-13). In dieser spielt Franka Potente („Lola Rennt“) eine junge Frau, die an einer massiven Identitätsstörung leidet. Ist sie nur Charlotte Brown oder eben doch, wie sie behauptet, Anne Frank?
Diese Staffel enttäuscht keine Erwartungen an subtilem Grusel und/oder psychologischem Horror, und natürlich (wie in eigentlich jeder AHS-Staffel) wird auch an maskenbildnerischen Finessen nicht gespart.
Was ist Wahn, was real? Diese irrsinnige, zehrende Achterbahnfahrt durch die Hölle der Vexierspiele hinterlässt einen bleibenden Eindruck und setzt die Messlatte für alle nachfolgenden Staffeln sehr hoch!
FUN-Facts: Die missgebildete Pepper aus Freak Show ist bereits hier zu sehen. Die Nonne Mary und der grausame Anstaltsarzt Dr. Arden tauchen ebenfalls zwei Staffeln später wieder auf. Doch spielt Asylum chronologisch im AHS-Narrativ nach Freak Show. Ein Beleg dafür, dass diese Serie nicht in der zeitlichen Abfolge des Erscheinens ihrer Staffeln gesehen werden muss. Man kann einsteigen, wo immer man mag.
Fazit
American Horror Story lädt auf denkwürdige Odysseen des Grauens ein. Der vorbelastete Freund des Genres wird sich an vergangene Ausflüge in finstere Gefilde erinnert fühlen. Unbefleckte werden vermutlich die staffelweise jeweils intensive Expedition vorzeitig abbrechen wollen. Letzteren sei aber geraten, dabei zu bleiben und erst rückblickend ihr persönliches Resümee zu ziehen.
Jede Staffel wird an einem neuen, nicht selten geschichtsträchtigen Ort in den USA abgedreht und lenkt unsere Aufmerksamkeit auf brisante historische Themen und Anspielungen auf Schattenseiten herausragender Ereignisse in der Geschichte der Vereinigten Staaten, denn davon finden sich in dieser Serie en mass.
Alle erwartet jedenfalls eine originelle, spannende und wendungsreiche Serie, die sich von den zahlreichen zeitgenössischen Serien „von der Stange“ deutlich abhebt…;*
Ein Beitrag von J. T. (AlexOffice)
Weiterführende Links:
• American Horror Story auf Wikipedia
• Kein Überblick mehr bei American Horror Story? Staffel 1 bis 12 in der Übersicht von Janine Ebert (20.06.2024) auf vodafone.de
• „American Horror Story“: Diese wahren, grausamen Fälle stecken hinter der Horror-Serie von Andreas Engelhardt (17.08.2016) auf kino.de
Bildquellen:
• Titelbild: Logo der AMERICAN HORROR STORY von Aniol – Eigenes Werk, Gemeinfrei (via Wikimedia Commons)
• Ryan Murphy im März 2013 (beim PaleyFest 2013) für die TV Show „American Horror Story: Asylum“) – Foto von iDominick via www.flickr.com
• Brad Falchuk bei der Comic-Con im Juli 2011 – Foto von Gage Skidmore | CC BY-SA 3.0
• AHS Logo der vierten Staffel – Freak Show von Axel 99 – Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0 (via Wikimedia Commons)
• AHS Logo der achten Staffel – Apocalypse von FX Networks – Gemeinfrei (via Wikimedia Commons)
• AHS Logo der fünften Staffel – Hotel von American Horror Story – Gemeinfrei (via Wikimedia Commons)
• AHS Logo der sechsten Staffel – Roanoke von Marcdrider – Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0 (via Wikimedia Commons)
• AHS Logo der dritten Staffel – Coven von Aniol – Eigenes Werk, Gemeinfrei (via Wikimedia Commons)
• AHS Logo der neunten Staffel – 1984 von Jax MOTES (via Wikimedia Commons)
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Ich sage von mir selber, dass ich Horror-Filme nicht mag. Geschenkt. AHS ist eine meiner absoluten Lieblingsserien. Daher danke für den Beitrag.
Auch mit den Staffeln hast du viele meiner Lieblinge getroffen. Gerade Freak Show und Asylum haben es mir unglaublich angetan.
…freut mich…soll ja eben gebau das…o d e r…bestenfalls neugierig machen*!*