J. T. aus dem AlexOffice hat sich ausführlich mit dem Leben und Werk von Edgar Allan Poe befasst. In seinem umfassenden Artikel »POE POE POE …« bringt er uns den US-amerikanischen Schriftsteller ein Stück näher. Die Titelgrafik zum Beitrag gestaltete Tim-André Elstner (AlexOffice).
POE POE POE …
Edgar Allan Poe, amerikanischer Schriftsteller mit irischen wie englischen Wurzeln, derjenige, der die American Short Story begründete und der Gothic Novel zu internationaler Beliebtheit verhalf und selbst zum Phänomen wurde, einem seltenen literarischen Urgestein, einer Legende.
Auch wenn Frühling und Sommer jetzt nicht direkt die Zeit des Jahres sein mögen, um sich in die verschlungenen, düsteren Geschichten dieser Ausnahmeerscheinung am literarischen Firmament zu vertiefen, bleibt es doch die grundlegende Faszination seiner verschachtelten, geheimnisvollen, oft morbiden und nicht selten grotesken Erzählungen, die bis in die Gegenwart anhält und zahllose zeitgenössische Schriftsteller*innen beeinflusst und gar entscheidend geprägt hat. Dieser Beitrag soll sich an Liebhaber*innen wie auch an potentielle Neu-Leser*innen richten.
Poe zum Ersten …
Um einen deutlicheren Blick auf Autor und Werk zu bekommen, soll sich dieser kurze Beitrag auch mit der Biografie Poes befassen: Sein Vater David Poe litt bereits unter dem Zwangskorsett seiner Zeit, der Bigotterie und Borniertheit der puritanischen Gesellschaft der Vereinigten Staaten. David Poe brannte für die Darstellende Kunst, wurde aber in die Juristerei gedrängt, lernte eine Schauspielerin kennen (Elizabeth Arnold) und ehelichte sie. Doch schon der Papa war dem Alkohol zugeneigt und wurde nicht selten im Vollrausch aufgegriffen. Auch er hatte Geldprobleme (der Sohnemann Edgar sollte Zeit seines Lebens, bis auf wenige Ausnahmen, am Hungertuch nagen…) und verschwand urplötzlich, auf Nimmerwiedersehen. Elizabeth blieb mit ihrem Jungen allein zurück. Im Jahr 1810 folgte noch eine Tochter (Rosalie), die jedoch geistig behindert war – zu jener Zeit war es üblich, in Gin getunktes Brot an Säuglinge zu verabreichen, damit sie stille hielten. Im Jahr 1811 verstarb Elizabeth an Tuberkulose. Die Geschwister wurden getrennt.
Edgar kam in wesentlich besseren Verhältnissen unter und wurde, ganz besonders vom weiblichen Personal dort, über die Maßen verwöhnt. Der frühe Verlust der Mutter bedeutete ein Trauma, das Poes späteres Werk ganz wesentlich prägte.
Der aus Schottland stammende Ziehvater, John Allan, wird als Vorzeige-Amerikaner beschrieben: ehrgeizig, fleißig, selbstbewusst, zuversichtlich sowie als raffinierter Geschäftsmann.
Von den Erfahrungen der Schulzeit in Schottland und England berichtet die frühe Erzählung „William Wilson“ und ein Gedicht mit dem Titel „Allein“ – hier ein Auszug daraus:
„…von klein an ging ich eig’ne Bahn, ich sah nicht so wie and’re sah‘n…was mich ergriff, Lust und Pein, das musst ungewöhnlich sein, ich schöpfte Leid aus andrer Quell, war‘s Klang den nie ein andrer gibt, ich liebte nur was mich geliebt…;“
Poe wurde später vor allem in Europa erfolgreich. Man glaubte den Außenseiter zu erkennen, doch einen der in vielen literarischen Gattungen zuhause war, der jene virtuos beherrschte und sie nicht unwesentlich prägte:
Der Detektivgeschichte, der Kurzgeschichte, der l‘art pour l’art-Ästhetik, dem literarischen Horror stand er als Großmeister vor. Poe war Revolutionär seiner Zeit. Es ist nicht die Fülle seines Werks, vielmehr die Wirkungskraft einzelner Texte, die so nachhaltig beeindruckt und weltweit zahllose Nachwuchsliteraten prägt.
Die frühste Nachricht seines Todes kam ziemlich lakonisch und frei von Pathos daher:
„Edgar Allan Poe ist tot. Er starb vorgestern in Baltimore. Die Nachricht wird viele überraschen aber nur bei wenigen Trauer hervorrufen. Der Dichter war, sowohl persönlich als auch durch seinen Ruf weithin bekannt im ganzen Land. Er hatte Leser in England und vielen Staaten Europas, doch hatte er wenige Freunde. Und das Bedauern über seinen Tod wird vor allem der Einsicht entspringen, dass mit ihm einer der brillantesten und exotischsten Sterne der Dichtkunst verloren ist.“
Rufus W. Griswold, den Poe als seinen Nachlassverwalter bestimmte, kleckerte diese Zeilen dahin. Griswold selbst war mehr Geschäftsmann als Schriftsteller, war aber arg um sein literarisches Ansehen bemüht.
In seiner Zeit als Soldat in West Point (einem eher kurzen Gastspiel) zeigte Poe einerseits hohe Disziplin und Belastbarkeit, andererseits war er bald als Querulant und Schuldenmacher verschrien.
Aus der Zeit bei der Armee schrieb er seinem Ziehvater Allan:
„Jeden Tag von Vollstreckung bedroht, verließ ich das Haus und nach nahezu zwei Jahren Führung, an welcher kein Fehl gefunden werden konnte – in der Armee, als gemeiner Soldat, verdiente ich mir, aus eigener Kraft, unter den erniedrigendsten Entbehrungen ein Offiziersanwärter-Patent (…) es war damals, dass mir der Gedanke kam, ich könnte es wagen, Sie bezüglich einer Ausstattung um Ihren Beistand anzugehen. Ich kam heim, wie Sie sich erinnern werden, in der Nacht nach dem Begräbnis – wenn sie nicht gestorben wäre, während ich fort war, hätte es nichts für mich zu bedauern gegeben.: Ihre Vaterliebe habe ich niemals hoch veranschlagt, doch Sie, glaube ich, liebten mich wie Ihr eigenes Kind. Sie versprachen mir, alles zu vergeben doch vergaßen Ihr Versprechen bald wieder. Sie schickten mich nach West Point wie einen Bettler. Die nämlichen Schwierigkeiten bedrückten mich nun wie zuvor in Charlottesville – ich muss quittieren. Ich habe nichts zu sagen außer nur, dass mein zukünftiges Leben (das Gott sei Dank nicht mehr lange dauern wird) nun in Dürftigkeit und Krankheit verbracht werden muss. Ich habe nicht Energie mehr noch Gesundheit um, sollte es überhaupt möglich sein, mit den Strapazen dieser Stätte und den Unannehmlichkeiten fertig zu werden, welchen ich durch meinen absoluten Mangel an allem Notwendigen unterworfen bin und es ist, wie ich zuvor schon erwähnte, meine Absicht zu quittieren…“
Hieraus lässt sich Enttäuschung und Verbitterung und eine wohl durch sie gefestigte Entschlossenheit sowie verlorener Lebensmut lesen. Poe wurde unehrenhaft aus dem Militärdienst entlassen. Zu den Gründen zählen „Grobe Pflichtverletzung“ wie bspw. Nichterscheinen bei Truppenparaden, Frühappellen und Kirchgängen, außerdem: Befehlsverweigerung!
POE zum Zweiten …
Entgegen dem unvorbildhaften Betragen beim Militär steht die äußerste Disziplin des Schreibens. Nicht zu übersehen sei aber auch die Neigung zum Schabernack in seinen Texten. Manche lesen sich offenkundig satirisch, bei anderen fragt man sich, wie konnte es zu derart verheerenden Logikfehlern kommen? Man spricht in der Poe-Forschung von der sogenannten Traum-Logik. Diese kann auch in einer abwehrenden Haltung gegenüber den straffen Gesetzmäßigkeiten und Vorschriften der Gesellschaft des 19. Jahrhunderts und womöglich auch des Alltags beim Militär begründet liegen. Dass sich Poe mit der Welt der Konventionen schwertat, ist z. B. an seiner ablehnenden Haltung gegenüber einer kaufmännischen Lehre, die ihm sein Ziehvater versuchte aufzuzwängen, abzulesen.
Kaufmann und Künstler. Das ließ sich für den Dichterfürsten nicht vereinbaren, also verlegte er sich auf den gewagten Versuch, seinen Lebensunterhalt mit der Schriftstellerei zu bestreiten. Was ihm überwiegend nur dürftig gelang. Vielleicht aus dieser Verzweiflung heraus entfleuchte ihm folgende Äußerung zu jener Zeit über den Begriff des Genies: „Wenn es nur irgend etwas auf Erden gibt, das ich hasse, so ist es ein Genie. Diese Genies sind allesamt abgefeimte Esel – und für diese Regel gibt es keinerlei Ausnahme. In Sonderheit kann man aus einem Genie keinen Geschäftsmann machen, so wenig wie Geld aus einem Juden oder aus Muskatnüssen Piniolen. Diese Kreaturen lassen sich dauernd auf irgendwelche Beschäftigungen oder lächerliche Spekulationen ein, welche vollkommen im Widerspruch zur Zwecklichkeit aller Dinge stehen und betreiben keinerlei Geschäft, das man überhaupt als ein solches bezeichnen dürfte.“
Zumindest hatte es Poe, nach einer Verpflichtung auf fünf Jahre, auf ganze vier Jahre beim Militär gebracht – und zwar unter dem schicken Decknamen Edgar A. Perry. Bei dem ihm vorauseilenden Ruf der Verschrobenheit und Unzulänglichkeit eine nicht unbeachtliche Dauer. Aber nein, Poe war gesellschaftsfähig und besaß Humor, Charme und eben einen messerscharfen Verstand.
Sein Privatleben schien Poe ziemlich abgeschirmt gehalten zu haben, denn bis auf manch Eskapaden unter Alkoholeinfluss weiß man von Zeitzeugen wenig. Doch hatten jene Ausschweifungen zumindest keinen allzu negativen Einfluss auf sein immenses Arbeitspensum – ein Output, bei welchem sich Rückschlüsse auf ausgeprägte Selbstdisziplin aufdrängen müssen.
Unter dem vielversprechenden Titel Tales of the Grotesque and Arabesque erschienen seine bis dato (1839) gesammelten Erzählungen in zwei Bänden beim Lea & Blandard-Verlag in Philadelphia. Das Grotesque bezog sich auf die satirischen, burlesken und das Arabesque eher auf die phantastischen Geschichten.
Poes eigener Entwurf des Titelblatts macht einen nicht nur aberwitzigen Eindruck: Fantasy-Pieces by Edgar Allen Poe steht da und darunter: Including all the author‘s late tales with a new edition of the Grotesque and Arabesque – und weiter unten: Seltsamen tochter Jovis, seinem Schosskinde, der Phantasie. Göthe. Welcher Verleger wäre da abgeneigt, sich in die nachstehende Lektüre mit allen Sinnen zu stürzen…(!?)
Zeigte Poe hier eine eigenwillige Form der Selbstironie oder war er zu jenem Zeitpunkt nicht ganz Herr seiner Sinne?
Im Vorwort zum ersten Band schrieb er: „Das Schrecken kommt nicht aus Deutschland, sondern aus der Seele.“ Der Titel Fantasy Pieces mochte an E.T.A. Hoffmanns „Phantasiestücke“ angelehnt gewesen sein. Von deren Erscheinungsjahr her ein möglicher Klau.
Unter den Geschichten tummeln sich auch die späteren Klassiker Murders In The Rue Morgue, sowie A Descent Into The Maelstrom und The Masque Of The Red Death.
Im Jahr 1840 war das „Penn-Projekt“ geboren. Poe war besessen von der Idee, ein Magazin herauszubringen, in Pennsylvania – darum „Penn“, eines für satte 5 Dollar im Halbjahr und ohne das schmückende Beiwerk der preislich weit unterbietenden Konkurrenten. Das Vorhaben scheiterte. Poe erklärte den unglücklichen Umstand mit der damaligen Bankenkrise. Poe war nie um Erklärungsversuche verlegen, um sich rasch von jeglicher Verantwortung (oder gar Schuld) an eigenen Verfehlungen reinzuwaschen und vor sich selbst weiterhin als kühner, genialer Kopf und eben nicht als großspuriger Tölpel entlarvt zu werden. Poe war wohl beides – was das Interesse an sowohl seiner Person wie seinem Werk umso mehr entfacht.
In Bezug auf sein dichterisches Werk lag Poe die reine Schönheit („pure beauty“) ganz besonders am Herzen. Die Prosa diente ihm als Vehikel der Wahrheit. Trotz seines hohen Anspruchs und seines strengen formalistischen Korsetts kamen auch literarische Unfälle zustande, zumindest gemessen an seinen klassischen Erzählungen wie der Goldkäfer (Orig.: „Gold Bug“) oder auch Die Insel der Fee (Orig.: „Island of the Fay“). In letzterer beginnt er nach einer philosophischen Einleitung von einer langen Wanderschaft zu erzählen, die an einem Gewässer mündet, an welchem er in der Abenddämmerung eine Insel zu sehen meint, welche auf der einen Seite hell erleuchtet, die andere indes im Dunkeln zu versinken scheint. Und dann eine feenartige Gestalt, die in einem Kanu ebenjene Insel umkreist, auf der hellen Seite auftaucht und in die dunkle hinein entschwindet. Das weckt Interpretationsfreude. Und tatsächlich kam es bei Poe zu einem tragischen Verlust: Virginia, die er dreizehnjährig heiratete! Ob Poe aber pädophile Neigungen hatte, bleibt im Bereich des Spekulativen. Dieser Verlust trieb ihn jedoch wieder in die Fänge des Alkohols. Der Teufelskreis aus Alk und Geldnöten schloss sich wieder!
Mit Vorträgen und vereinzelten Publikationen hielt sich der Herr Literat über Wasser, außerdem schrieb er auch Rezensionen zu einigen literarischen Neuerscheinungen. Poe gab auch große Stücke auf sich, quasi der Entdecker von Charles Dickens‘ Genie gewesen zu sein.
Poe balancierte immer auf dem Spagat zwischen zurückgezogenem Jahrhundertgenie und bedauerlichem Zeitgenossen, dem scheinbar nichts zu blöd war, um sich ins Gespräch zu bringen.
Sein Untergang des Hauses Usher (Orig.: „The Fall of the House of Usher“) war aber schon publik geworden und sicherte ihm bereits eine über die Vereinigten Staaten hinaus solide Reputation als eben das Genie, als das Poe seit jeher angesehen sein wollte/musste.
Die Furcht vor dem Verlust eines geliebten Menschen steckt in zahlreichen Geschichten und Gedichten aus Poes Feder. Ein früher Verlust im Leben, wie der der Mutter, droht sich später wieder und wieder zu wiederholen. Für die Literaturwelt womöglich ein Glück, dass der junge Edgar nicht in kompetente therapeutische Obhut geriet…
Einige Fehden hatte Poe, der große Denker und Literaturtheoretiker (sein Essay: Composition of Poetry trug er auf Vorträgen, arg von sich eingenommen, vor und begeisterte die Mehrheit des Publikums), wenn auch vielleicht vermehrt durch unfreiwillige Komik seiner Gebärden.
Mit manchen seiner Zeitgenossen, insbesondere auch mit dem Dichter Henry Wadsworth Longfellow, ohne allzu sehr ins Detail zu gehen, blieb Poe – wie eigentlich immer – in seinen unanzweifelbaren Ansichten verharrt und setzte eine persönlich diffamierende Salve an die nächste.
Männern in mächtigen Positionen begegnete Poe gern mit ebenbürtiger Machtattitüde, bei Frauen suchte und fand er meist Verständnis und Empathie.
Darf man hier schon Anzeichen einer narzisstischen Störung vermuten?
Selbstironie jedenfalls, so viel gilt als belegt, lag ihm fern. Zwar konnte er satirisch und ätzend sarkastisch schreiben, doch seine eigene Person zu ironisieren, lag ihm wohl eher nicht. Und er meinte nicht selten Verschwörungen gegen ihn zu wähnen und zu durchschauen.
Poe war aber bei weitem nicht nur literarisch bewandert. Für seine Zeit hatte er sich enorme astronomische Kenntnisse angeeignet und eigene Hypothesen auf diesem Gebiet bezüglich der Urkräfte des Lebens zu Papier gebracht. Nach Poes Überzeugung gab es zwei Urkräfte, die alle Existenz im Universum bestimmten. Die Anziehungs- und die Abstoßungskraft. Am Anfang gebe es nach Poes Überzeugung also eine ungeteilte, unausgedehnte und darum immaterielle (gravitationslose) Einheit. Aus ihr würden durch einen göttlichen Willensakt alle Teilchen dem Universum ausgetrieben. Gravitation entstünde erst durch Trennung (da nur Getrenntes sich anziehen kann).
Die Anziehungskraft (sprich Gravitation) und die Abstoßungskraft (sprich Elektrizität) sind, Poes Theorie zufolge, die Urkräfte.
Solange die ursprüngliche Expansion anhalte, würden sich auseinandergetriebene Atome eben durch Gravitation zu kosmischen Wolken, Spiralnebeln, Fixsternen, Planeten und Kometen zusammenballen…;
Auf die Expansion werde irgendwann eine unaufhaltsame Kontraktion folgen, worauf die weltlichen Dinge in eine uranfängliche Einheit streben. Dies müsse dann die Vernichtung aller partikularischen Einzelwesen bedeuten, doch es bedeute auch die Rückkehr zu Gott…;
Nach Poes Überzeugung sei der Mensch nicht die höchste Vollendung der Evolution, ihm werde eine Art „Übermensch“ folgen und es werde nach der Rückkehr in die ungeteilte Einheit eine neue Schöpfung entstehen.
Poe berief sich auf Johannes Kepler („Keplersche Gesetze“). Nach Kepler hängt alles im Universum zusammen und sei wechselseitig Ursache und Wirkung zugleich. Das Universum unterliegt Kepler wie Poe zufolge einem göttlichen Plot, darin enthalten alle Dramaturgie der Menschheitsgeschichte… Es sei dem menschlichen Dichter nicht möglich, den perfekten Plot zu erreichen.
Gegen geistreiche Hirngespinste stehen immer wieder plumpe Anfeindungen, so beispielsweise gegen Aristoteles (den er als „Aries Tottle“ titulierte) oder gegen Frances Bacon (den er „Hogg“ schimpfte – „Bacon“ = Schinken und „Hogg“ = Schwein). Poe liebte nun einmal solche Wortspiele und setzte sie gern spöttisch gegen all jene Herren, die (seiner Auffassung nach zu Unrecht) zu Ruhm gekommen waren und die er für ihr Werk verachtete, ein.
In Eureka formulierte Poe die These, dass jedes Menschen Seele ihr eigener Schöpfer sei, denn ob materiell oder spirituell, breite sich über die ursprüngliche Substanz etwas Metaphysisches/Individualistisches aus. Noch in seinen mesmeric revelations hatte Poe Zweifel an der Vorstellung, dass die Seele nach dem Tode den Körper verließe.
Diese Hypothese mochte Poe aus Goethes Heureka (dt.: „Ich habe es gefunden“). Auch Goethe lehnte naturwissenschaftlich-mathematisch präzise Berechnungen ab.
Im Jahr 1848 schloss Poe Eureka ab, seine bis dato höchste Kraftanstrengung. Daraufhin behauptete er im Jahr darauf, dass er nichts Vergleichbares mehr zustande bringen würde und nicht länger leben wolle. Doch Poe hatte zuvor bereits mehrfach ähnliche Zustände von Resignation kundgetan.
Es ist zumindest gesichert, dass dieser Mutlosigkeit ein weiterer Absturz in den Alkoholismus folgte. Jener hatte wiederum Ausladungen aus sämtlichen New Yorker Salons, in denen Poe großspurig über sein Lebenswerk (Eureka) schwadronierte, zur Folge.
Poe bandelte mit der verwitweten Sarah H. Whitman an, nachdem diese ein Gedicht als Lobeshymne auf Poe auf einer Valentinsparty vortrug und er ihr mit einigen Gedichten antwortete, die er ihr zuschickte. Poe, der charmante Gentleman, der er eben auch sein konnte. Aus allen Überlieferungen weiß man, dass es sehr wohl durchaus erotische, doch nicht im eigentlichen Sinne sexuelle Anziehung zu den Damen gab, ob zu der früh verblichenen Virginia oder der fürsorglichen Muddy oder eben der Witwe Mrs. Whitman. Wurden diese Frauen mehr als Liebesidole verehrt, denn als Menschen begehrt? Hierfür spricht einiges. Zeitgleich zu seiner Verehrung für Whitman stürzte sich Poe in einen Liebestaumel für die Tochter eines Papierfabrikanten: Mrs. Nancy Locke Heymond Richmond aus Lowell, Massachusetts.
Poe idealisierte die Damen der willkürlichen Wahl seines wehen Herzens gern. Idealisierungen, die weniger mit der jeweiligen Frau zu tun hatten als mit der verlorenen Mutterfigur. Für Annie setzte er in der Geschichte Landor‘s Cottage ein Denkmal, in welcher er u. a. schrieb: „Wahrlich, in Ihnen habe ich die Vollendung von natürlicher im Gegensatz zu künstlicher Anmut gefunden.“ Zeitgleich verfasste er glühende Liebesbriefe sowohl an Helen wie auch an Annie. Noch Fragen?
Poe hatte in seiner Verzweiflung über seine emotionale Widersprüchlichkeit einen Suizidversuch begangen. Auf seine Ohnmachtsanfälle folgten stets übersteigerte Machtphantasien. Und nun wurde seine Braut von eifersüchtigen Damen aus Poes Vergangenheit inbrünstig gewarnt. Auf einem Ölporträt der jungen Whitman, vor ihrer Bekanntschaft mit Poe, sieht man eine aufgeweckte, hübsche, sensible Frau, voller Lebensmut und Zuversicht. Auf einer späten Fotografie dagegen wirkt sie resigniert, emotional verbraucht …
Nicht auszuschließen, dass Poe einen nicht unwesentlichen Beitrag zu dieser Entwicklung hatte. Den Zeitschriften, Hauptabnehmer seiner Geschichten, hatte er im Jahr nach Eureka kaum Neues anzubieten. Poe brachte im ganzen Folgejahr nur drei Gedichte zustande.
Es folgte dann eine Rachegeschichte mit dem irrwitzigen Titel „Hopp-Frosch und die acht gefesselten Orang-Utans“. So plakativ und plump wurde es bei Poe in der Titelgebung eher selten.
Darin berichtet Poe aus einer Traumfantasie: Hierin veranstaltet ein König zu seiner eigenen Belustigung und der des Hofstaats einen Maskenball. Er hält sich einen verkrüppelten Narren, Hopp-Frosch genannt, und eine Prinzessin namens Tripetta. Der Hopp-Frosch wird reichlich gedemütigt. Tripetta verbündet sich mit ihm und plant einen Racheakt. Die Würdenträger, als Orang-Utans verkleidet, kettet der„Hopp-Frosch“ an einen Kronleuchter und setzt sie in Brand…; Motive der Geschichte sind Shakespeares The Tempest (dt.: Der Sturm) entlehnt. Die Geschichte endet mit der prägnanten Aussage des Narren bzw. des Hopp-Froschs: „Was mich betrifft, so bin ich einfach bloß Hopp-Frosch, der Spaßmacher – und dies ist mein letzter Spaß…“;
POE zum Dritten …
Im letzten Teil dieses kleinen Beitrags befassen wir uns mit einer der bekanntesten und an Deutungsangeboten reichhaltigsten Erzählungen Poes: Der Untergang des Hauses Usher:
In dieser zunächst zutiefst schwermütigen Erzählung wird das Haus der Ushers und dessen Eigentümer, der Bruder des Erzählers: Roderich Usher, äußerst detailreich vorgestellt. Alles auf diesem Gut ist offenkundig dem unwiderruflichen Verfall anheimgefallen. Der Bruder ist psychisch massiv erkrankt. Anzeichen dieser Erkrankung (schwergradiger Depression und einer Zersetzung des Geistes) werden in einer Verkettung sprachlich zermürbender Präzision ausgeschlachtet. Das Gespenstische: Die Landschaft und das Anwesen scheinen mit der geistigen/seelischen Verfassung des Hausherrn deckungsgleich.
Die Schwester Madeline, ebenfalls psychisch erkrankt, liegt in den Katakomben des Hauses aufgebahrt. Der Vorwurf liegt im Raum, dass sie bei lebendigem Leibe begraben worden sei. Das Motiv des (später) einstürzenden Hauses in einer schaurigen Umgebung fand man zuvor schon in E.T.A. Hoffmanns „Das Majorat“.
Roderich Usher leidet an einer Hypersensitivität gegenüber Lichteinfall und Geräuschen. Zur beklemmenden Finsternis im Anwesen Ushers bildet die Landschaft eben nicht im Geringsten einen Kontrast, sondern verstärkt den Eindruck von Zerrüttung, Verwesung und Niedergang. Gleich zu Beginn wird der Leser mit der unwirklichen, albtraumhaften Szenerie konfrontiert. Werfen wir mal einen ersten Blick in den Text:
„Im Benehmen meines Freundes überraschte mich sofort eine gewisse Verwirrtheit – seiner Rede fehlte der Zusammenhang; und ich erkannte dies als eine Folge seiner wiederholten kraftlosen Versuche, ein ihm innewohnendes Angstgefühl, das ihn wie Zittern überkam, zu unterdrücken – einer heftigen, nervösen Aufregung Herr zu werden. Ich war allerdings auf etwas derartiges gefasst gewesen, sowohl sein Brief als auch meine Erinnerung an bestimmte Wesenseigenheiten des Knaben hatten mich darauf vorbereitet, und auch sein Äußeres wie sein Temperament ließen dergleichen ahnen. Sein Wesen war abwechselnd lebhaft und mürrisch. Seine Stimme, die eben noch zitternd und unsicher war, wenn die Lebensgeister in tödlicher Erschlaffung ruhten, flammte plötzlich auf zu heftiger Entschiedenheit – wurde schroff und nachdrücklich – dann schwerfällig und dumpf, bleiern einfältig – wurde zu den sonderbar modulierten Kehllauten der ungeheuren Aufregung des sinnlos Betrunkenen oder des unheilbaren Opiumessers…“
Wir begegnen Roderich Usher, dessen Wesensveränderung schon deutlich geworden, doch noch nicht vollständig ausgeprägt scheint, da er sich noch in seinem Ausdruck wechselhaft zeigt. In vielen folgenden Ausführungen wird die Ausweglosigkeit der Erkrankung beschrieben, überdeutlich gemacht, wie irreversibel die Verdammnis der seelischen wie geistigen Gesundheit Roderichs augenscheinlich ist. Hier ist es Lady Madeline, deren Verlust womöglich die Ursache des inneren Verfalls ihres Bruders ist, deren Verlust das Weiterleben unerträglich werden lässt. Bei ihrem Anblick ist von kataleptischen Spuren einer schwachen Röte an Hals und Antlitz die Rede – der Sargdeckel wird bald wieder geschlossen, da beiden Herren der Anblick zu grausig ist.
In einem nachfolgenden Absatz wird die Zerbrechlichkeit des Erzählers deutlicher:
Ich sah, daß er der Furcht, dem Schreck, dem Grauen sklavisch unterworfen war. »Ich werde zugrunde gehen,« sagte er, »ich muß zugrunde gehen an dieser beklagenswerten Narrheit. So, so und nicht anders wird mich der Untergang ereilen! Ich fürchte die Ereignisse der Zukunft – nicht sie selbst, aber ihre Wirkungen. Ich schaudere bei dem Gedanken, irgendein ganz geringfügiger Vorfall könne die unerträgliche Seelenerregung verschlimmern. Ich habe wirklich keinen Schauder vor der Gefahr, nur vor ihrer unvermeidlichen Wirkung – vor dem Schrecken. In diesem entnervten, in diesem bedauernswerten Zustand fühle ich, daß früher oder später die Zeit kommen wird, da ich beides, Vernunft und Leben, hingeben muss – verlieren im Kampf mit dem gräßlichen Phantom Furcht.«
Poe schrieb, wie aus diesen Zeilen sichtbar wird, nicht für jene LeserInnen, die ihre Unterhaltungsliteratur zum schnellen Weglesen wählen. Auch wenn er viele der seichteren nachfolgenden Schreiber seines Fachs geprägt hatte.
Besonders an The fall of the house of Usher ist, dass das Haus wie ein lebendiger, eigenständiger, wenngleich erkrankter Organismus beschrieben wird. Die Fenster als Augen beispielsweise. Ein tiefer Riss im Mauerwerk steht sinnbildlich für die Trennung der Geschwister. Dass hier alles dem Untergang geweiht scheint, wird durch die Info grundiert, dass die Ushers kinderlos geblieben sind, das Geschlecht ist also zum Aussterben verdammt. Bis auf den Austausch über die literarischen Vorlieben Roderichs (ausgiebig tauschen die beiden sich über einen gewissen Ethelred aus) wird wenig miteinander gesprochen, offenbar ist der Hausherr zu schwach. Auf direkte Rede verzichtet Poe hier vollständig.
Eine bloß sehr schleichende Steigerung der im Grunde ereignisarmen Dramaturgie gipfelt im letzten Absatz, der aus heutiger Sicht dermaßen komisch wie aus einem possenhaften Effekttheater rüberkommt, dass manche die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, die Augen verdrehen oder anderweitig Ermüdungssymptome zeigen mögen. Da sich aber die gesamte Geschichte von der ersten Zeile wie ein einziger Albtraumbericht liest, erscheint das Ende nur konsequent.
Spoiler Alert: Lady Madeline erscheint von den Toten auferstanden und reißt ihren Bruder mit in den Abgrund. Darauf beginnt das Haus in sich zusammen zu fallen und dessen Trümmer werden vom Schwarzen Teich umschlossen…;
Bis in die Gegenwart hinein wird der Stoff noch fürs Theater bearbeitet. Auch wurde die tragische Story mehrfach verfilmt. Ich selbst kenne nicht alle Filme, doch jener aus dem Jahr 1960 von Roger Corman, mit Vincent Price in der Rolle des Roderich Usher, scheint mir wirklich gelungen, weil sehr dicht an der literarischen Vorlage. Der deutsche Filmtitel lautet „Die Verfluchten“.
Also, Freunde des guten Buches, …
Poe lohnt sich immer, doch gerade im Frühling und Sommer greift man wohl eher zu erbaulicherer Lektüre. Man hört im Sommer ja auch eher Beach Boys und/oder Eagles als jammerselige Kammermusik…
Viel Freude beim Neuentdecken sowie beim Wiederlesen;*
Ein Beitrag von J. T. ;*
Biografie-Tipps zu Autor und Werk:
• „Edgar Allan Poe – Der schwarze Duft der Schwermut“ von Dietrich Kerlen
• „Edgar Allan Poe – Am Rande des Malstroms“ von Hans-Dieter Gelfert
Poe auf YouTube:
• Edgar Allan Poe im Film | Blow Up | ARTE
• Edgar Allan Poe – Das war mein Leben (Biografie by EAPoeProductions)
• Edgar Allan Poe: Entertainer des Entsetzens – Literatur Ist Alles
Titelbild von Tim-André Elstner
Bild im Text von OpenClipart-Vectors auf Pixabay
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