Im Monat Juli feiern unsere Musikbegeisterten aus dem AlexOffice die Rockmusik. Auch unser Kollege J. T. ist hier wieder mit von der Partie. In seiner Erzählung »VELVET PURPLE« lest ihr die Geschichte von Johnny, der loszieht, um die Bühnen der Welt zu rocken – zuerst allein, dann zusammen mit seiner Freundin Paula.


 

»VELVET PURPLE« – Eine Erzählung aus der Welt der Rockmusik

Im hübschen, zarten Alter von grad mal Vierzehn wurd Yannis zu Johnny – und Johnny stieg nicht nur hin zu ihm auf, er selbst wurd zum…: R e g e n b o g e n…
Johnnys tragische, wenn auch erfüllende Reise begann mit folgenden Platten:

„Sticky Fingers“ von den Stones (obwohl „Sympathy For The Devil“ mit einigem Abstand eine Offenbarung für den noch heranwachsenden Johnny war und ein ganzes hübsches Weilchen noch blieb),
„They Only Come Out At Night” der Edgar Winter Group (mit der instrumentalen Erhebung „Frankenstein“),
„We’re Only In It For The Money“ von Frank Zappa und den Mothers Of Invention,
Steve Vais „Sex & Religion“ (wenngleich „Teeth Of The Hydra“ früh ein für Johnny wegwei-sendes Stück wurde,
„This Is Spinal Tap“ von Spinal Tap mit der so stupiden wie eingängigen Single „Tonight I’m Gonna Rock You Tonight“,
„British Steel“ von Judas Priest (deren Single „Breaking The Law“ ne Art Game-Changer wurd),
„Down With Mirrors“ von Aerosmith – und natürlich so ziemlich fast alles von Hendrix, Led Zep, T. Rex, Rush u.s.v.v.v.m. …

Johnny startete seine luftige Rocker-Karriere mit einer „Fender Clapton“, die er vom Freund eines Freundes eines Freundes bekam, einer Lederkutte mit Lederfransen mit der Nietenaufschrift ROCK ’n‘ ROLL NEVER GONNA DIE, ’nem purpurfarbenen Stirnband und ’ner Mähne bis zum A****…

Johnnys Spiel war – bestenfalls – extravagant. Innerhalb seiner eignen vier Wände glich sein Spiel dem eines jungen Gitarrengottes – in seinem Zimmer beherrschte er alle Riffs und Soli, auch jene von Hendrix und Ritchie Blackmore…

Falls es je mit Leuten aus seiner Gegend zum Jammen kam, so wurd vorsorglich der Stecker zu Johnnys Verstärker rausgezogen – was Johnny jedoch garnicht störte, denn in seinem Kopf  war alles p e r f e k t. Sein eigensinniger Stil, seine eigenwilligen Einsätze, sein Tempo, sein Rhythmus, seine neuartigen Barrés und die Overdubs in seinem Kopf – alles passte, jedes Mosaikstückchen schien in sich vollkommen und keinerlei ergänzenden Beiwerks bedürftig. Johnny sang und brüllte in ein stumm gestelltes Mikro, ganz ohne verständnisvoll blinzelndes, vielmehr schmachtend unter sich starrendes bzw. zutiefst peinlich berührtes Publikum….

Johnny fühlte sich gut, denn er wusste (ganz tief in seinem Innern…)  dass er ein Genie ohne-Gleichen war. Und Johnny sah sich die Metropolen der Welt rocken, den Herzen der Ladies beim Dahinschmelzen zusehen – es gab für Johnny keinen erdenklichen Grund sich ’nen Kopp zu machen…

Und tatsächlich: Ein einziges Mal schaffte es Johnny auf ’ne größere Bühne: Als Solokünstler im Vorprogramm zu ’ner lokalen Szenegröße – eine volle Stunde hatte Johnny zu füllen.

Johnny gab, was er hatte und das war keineswegs wenig. Hunderte standen vor der Bühne, aufm Rasen, im Matsch und johlten und grölten, als Johnny – vollends eingenommen von sich und seinem Ur-Talent – dies provinzielle Festival zu rocken versuchte….

Johnny hüpfte, stolzierte und sprang in die Knie – dies Mal wahrhaftig hörbar schmetterte er seine Power-Akkorde und seinen einzigen anbetungswürdigen Riff (in Endlos-Wiederholungsschleife) durch den Äther in die Menge… sein Publikum reagierte…: GEMISCHT!

Eine relative Mehrheit lachte lauthals, manche zeigten sich latent mitfühlend, schienen bei sich zu denken: „Ach, was ’n armer Kerl!“ Die Meisten aber kannten ihn wohl noch vom Stadtbrunnen, wo er da mit seiner ungestimmten Klampfe als hoffnungslos unbegabter Kleinstadttrottel sich in Selbstversuchen erging, in die Fußstapfen Dylans oder zumindest Arlo Guthries zu treten…

Johnny zog sein Programm eisern durch, seine Mähne flog  durch den Wind, die Lederfransen ebenso und er röhrte ins Mikro: „ARE YOU ALIVE?…THEN SCREAM FOR ME…SCREAM FOR JOHNNY DEE…!…!!…!!!“

Zwar wurd Johnny bald zum Gespött des Orts, der Gemeinde, des Landkreises (…) ABER: man nahm ihn wenigstens wahr! Seine Name, seine Figur „JOHNNY DEE“ war nun Zigtausenden ein Begriff…

Johnny zog bald mit Reisetasche und Gitarrenkoffer los in die weite Welt. Zielort: L.A.! Doch Johnny kam bloß bis Dortmund – Brackel. Da angekommen, zog er ein in ’ne Kommune mit selbsternannten Künstlern und Leuten, die jedoch alle was mit Spiritualität, Schwarzer Magie, magischem Realismus und psychedelischer Mucke am Hut hatten. Vier trotzige, eigenwillige Mädels und drei tiefenentspannte Jungs. Johnny brauchte Action und ließ sich inspirieren von seinen Helden Bowie und Iggy.

Damals in seinem Zimmer mit dem Poster in Überlebensgröße von Alice Cooper (mit der Boa um des Finsterfürsten Hals) und dem jungen Neil Young und seinen „Crazy Horses“ hatte Johnny schon so ’ne Ahnung von diesem wilden unzähmbaren Leben bekommen – einem Leben im sozialen OFF, fernab von Satzungen und Paragraphen (aber definitiv kein Hippie-Dasein), mit diesem einzig wahrhaftigen Lebensgefühl, ’nem zuckersüßen Mädel im Arm und ’ne Harley wie Rob Halford oder Lemmy. Johnny hatte so ’ne Ahnung von der Ewigen Jugend, dachte aber nicht an ihren Preis…

Über seinen Walkman hörte Johnny grad „Paranoid“ von Sabbath (später entdeckte er Maiden, Venom, Mercyful Fate, Slayer…), als er SIE erblickte: PAULA hockte da im Vorgärtchen zu dieser alten Ruine an der Peripherie des Dortmunder Stadtviertels. Die Nächte zuvor hatte er in alten Geräteschuppen, unter Balkonen, in Büschen gepennt. Doch diese Art WG nahm ihn recht warmherzig auf. Paula hatte das Albumcover von Pentagrams „Day Of Reckoning“ auf ihrem Brustbein tätowiert. Johnny war hoch oben, über Wolke NEUN, mindestens…

Das war die Paula, die im sechsundzwanzigsten Semester Sonder- u. Theaterpädagogik steckte und in ihrer freien Zeit so speziell Orgel wie Xylophon spielte und zutiefst schwerblütige befindlichkeitsfixierte Caféhaus-Lyrik verfasste. Sie erinnerte Johnny gleich an Maureen Tucker, die für die legendären Velvet Underground am Schlagzeug saß. Dieser baufällige Abriss hier sollte Johnny jedoch keineswegs ans Chelsea Hotel erinnern…

Johnny und Paula. Paula und Johnny. Die beiden gründeten bald die Kapelle „VELVET PURPLE“, improvisierten, was das Zeug hielt, nahmen nie etwas auf (beide waren hierzu viel zu verpeilt…), es gab bei ihnen nie je ein festes Konzept, noch beständige Songstrukturen. Johnny liebte Paula, tief und wahrhaftig – Paula fand Johnny süß, irgendwie…

VELVET PURPLE wurden stellenweise von den Medien als schräge Parodie auf besagte Velvet Underground, den frühen Hawkwind und/oder auch Curved Air und/oder auch den Butthole Surfers gesehen.  Nicht wenige nahmen sie bestenfalls als verschrobenes Comedy-Duo wahr. Wie auch immer: Johnny und Paula rockten jeden Club, jede Party – wechselten sich spontan mit den Gesangparts ab. Paulas Orgelspiel klang mal geisterhaft, mal nervtötend bizarr – doch immer übertönte es Johnnys epische Pseudo-Riffs – was ihrem mäßigen Erfolg schon ein bisschen zugute kam…

Ein(e) Jede(r) aus ihrer Zuhörerschaft war eingeladen, die Percussions beizutragen, ein Schlagzeug fehlte in VELVET PURPLE ebenso wie der Bass…

Die Jahre zogen dahin. Bis zuletzt war diese junge wilde Liebe von Johnny zu Paula ein reißender Strom. Paula hatte viele Liebschaften neben Johnny und bei ihrem finalen Gig zog Paula den Stecker zu Johnnys Verstärker…

Paula entschied sich dann für ein bürgerliches Leben, absolvierte ihr Studium, wurde Lehrkraft in einer Sonderschule im Münsterland, heiratete einen Immobilenmakler und dachte selten, aber wenn, so mit einem flüchtig erhellenden Lächeln an ihre Zeit in VELVET PURPLE zurück…

Johnny dagegen landete nach der Trennung von Paula in Marsberg, in der Psychiatrie. Dort blieb er einige Jährchen der Star-Entertainer auf Station. Mitpatienten fanden ihn eines Morgens im Park des Klinikgeländes, mit seiner Klampfe (Marke „Fender Clapton“) fest in den Armen um-klammert – tot, weit vor seinem 27. Geburtstag! Doch wie bemerkenswert: Dies selige Grinsen in Johnnys so jugendlich gebliebenem Gesicht… … …;*

Ein Beitrag von J. T. ;*

Titelbild (bearbeitet) von Pete Linforth auf Pixabay 


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