Diese »Bahn-Erzählung zum Schmunzeln« entstand, während unser Schriftsteller-Kollege Werner Otto von Boehlen-Schneider (AlexOffice) auf eine verspätete Bahn wartete – eine in seiner Wahrnehmung „surreale Episode“.


 

Bahn-Erzählung zum Schmunzeln

Eine surreale Episode

Nachdem ich nun mit aller Mühe sehr pünktlich auf das Gleis gelangt war, an dem mein Zug nur selten fuhr, war er nicht da − wohl etwa vor der Zeit schon abgefahren?

Da hörte ich’s: „Die Bereitstellung Ihrer Bahn am Gleis verzögert sich. Vielen Dank für Ihr Verständnis.“

Verständnisarm zog ich mir einen Kaffee, schlenderte verträumt an Bahnsteigen entlang und wartete. Andere Reisende kamen und gingen, kopfschüttelnd, teils leise schimpfend, blieben; mit diesem oder jenem unterhielt ich mich zum Zeitvertreib, faltete die Morgenzeitung auf der Bank aus, bat einen Schaffner, mir Lautzeichen zu geben, wenn der Zug doch endlich komme.

So vergingen die ersten Tage und Wochen am Gleis recht abwechslungsreich. Manche Reisende kamen täglich, um nachzuschauen, ob der Zug für unsre Reise nun bereits gekommen wäre, gingen jedoch nach einigen Stunden Wartens wieder. Wir begannen, einander mit Namen zu grüßen, ich überlegte, meine Wohnung zu kündigen, da ich ja nun im Bahnhof nächtigte und die Kaffees und Müsliriegel des Kiosks doch recht teuer waren. Glücklicherweise gab es Geldautomaten in der Nähe des Gleises und die Bahnhofsmission richtete mir ein Postfach ein, über das ich behördliche Korrespondenz abwickeln konnte.

So habe ich mich nach kaum drei Monaten fast häuslich nah am Gleis gefühlt − und begann den Augenblick zu fürchten, an dem mein Zug nun endlich käme und ich das schon gelöste Ticket stempeln könnte. Doch auf die Bahn war stets Verlass: Sie kam und kam nicht. Ich machte Frauenbekanntschaften und meine Ehe mit Dorothea Thiel wurde in der mosaiküberwölbten Bahnhofsvorhalle geschlossen; der Standesbeamte sprach in bewegenden Worten von „gemeinsamer Reise“, was durchaus stimmte, da sie eine der täglich Nachschauenden, ob unser Zug wohl endlich einmal komme, gewesen war. Das Wartehäuschen wurde mithilfe recht verständiger Beamter unser trautes Heim und als die Bahn dann endlich einmal kam, machten wir mit unsren sieben Enkeln eine Reise ins noch ungeklärte Morgen.

 

Werner Otto von Boehlen-Schneider
Text und Grafik: Werner Otto von Boehlen-Schneider


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