In der Reihe »Berühmte Persönlichkeiten mit psychischer Erkrankung« stellt das Social Media Team des AlexOffice einige betroffene Menschen vor, die in der Öffentlichkeit stehen bzw. standen. In einzelnen Beiträgen erfahrt ihr, wie die jeweiligen Persönlichkeiten selbst und wie die Gesellschaft mit dieser Art von Erkrankung umgehen.
Lest hier den Artikel zu Irmgard Keun.
»Berühmte Persönlichkeiten mit psychischer Erkrankung« – Irmgard Keun
„So schlendert man durch die Tage – verspielt, verliebt, tut die tausend dummen Dinge, die Nichtstun heißen. Denkt wenig an morgen, gar nicht an übermorgen.“
Aus: Gilgi – eine von uns
Gilgi, eine von uns
– so heißt der erste Roman der Kölner Autorin Irmgard Keun, einer meiner Lieblingsschriftstellerinnen. Und „eine von uns“ ist Keun wohl leider auch im Hinblick auf eine psychische Erkrankung gewesen. Jedenfalls trank sie zu viel, wurde 1966 entmündigt und lebte von 1966 bis 1972 – ganze sechs Jahre – in einer Bonner Psychiatrie.
Die 1905 in Berlin geborene Autorin hatte zu Beginn ihrer Karriere – nach einer Ausbildung zur Stenotypistin und einem kurzen Ausflug in die Schauspielwelt – großen Erfolg, und war zeitweise die meistgelesene Schriftstellerin Deutschlands. Sie stammte aus gutbürgerlichen Verhältnissen; die Eltern ermöglichten der Tochter eine gute Schulbildung. Ihr Erstling – Gilgi – machte sie schlagartig bekannt und auch der Nachfolger Das kunstseidene Mädchen war erfolgreich.
Kurt Tucholsky war vor allem von ihrem Witz begeistert und schrieb: „Hier wächst etwas heran, was es noch niemals gegeben hat: eine deutsche Humoristin.“
Ihre Romane passten in eine Zeit – die späte Weimarer Zeit – in der Frauen erstmals unabhängig leben konnten, und auch wollten. Als dann Hitler an die Macht kam, wurden ihre Bücher verboten, wodurch sie ihre Einnahmen verlor. Dagegen klagte sie nahezu selbstmörderisch gegen die Regierung und machte so die Gestapo auf sich aufmerksam.
Es folgten das Exil 1936, Freundschaften mit Leuten wie Heinrich Mann, Stefan Zweig und Egon Erwin Kisch, sowie eine Affäre mit dem Schriftstellerkollegen Joseph Roth, mit dem sie Europa bereiste, nahezu mittellos und immer in Angst vor Nazideutschland. Dennoch entstanden in dieser Zeit drei Romane, in der sie ihre Faschismus-Erfahrungen und die Zeit im Exil verarbeitet, immer aus der Sicht der (vorgeblich naiven) unbekümmerten Frau, was den Erzählungen ihren unverwechselbaren Ton verleiht.
Im Jahr 1940 hatte es Keun nach Amsterdam verschlagen, wo sie ohne Papiere und Geld lebte; ihre Affäre mit Roth war beendet, eine Ehe mit dem 27 Jahre älteren Autor und Regisseur Johannes Tralow geschieden. In dieser Lage konnte sie einen SS-Mann überreden, ihr einen falschen Pass zu besorgen. Sie reiste damit nach Deutschland und lebte illegal bei ihren Eltern in Köln-Braunsfeld, wo sie auf das Ende des Krieges wartete.
Nach der Befreiung versuchte sie, schriftstellerisch wieder an ihre Erfolge anzuknüpfen. 1936 war im Ausland die Erzählung Das Mädchen, mit dem die Kinder nicht verkehren durften herausgekommen. Protagonistin des Werks war ein aufsässig-intelligentes Mädchen und der Roman wurde im Radio sogar wohlwollend besprochen, doch Nachkriegsdeutschland war bieder und konservativ und ihr Typ war nicht gefragt.
In den 50er Jahren ergab sich eine Freundschaft mit Heinrich Böll, gemeinsame Projekte scheiterten jedoch. Ihre Tochter Martina gebar sie 1951, den Vater verschwieg sie.
Mit der Zeit – etwa ab 1960 – arbeitete sie weniger, lebte in ärmlichen Verhältnissen, und fand wohl Trost in der Flasche. Es folgten alkoholbedingte Aufenthalte in Kliniken, schlussendlich die Entmündigung, sowie ein langer Aufenthalt in der Psychiatrie, wonach sie zurückgezogen in Köln und in Bonn lebte.
Doch dann, als die Zeiten sich geändert hatten, in den progressiven 70er Jahren, in denen die Frauen sich zu emanzipieren begannen, entdeckte man sie wieder. Das muntere, vorgeblich naive, dabei aber entlarvend-intelligente Mädchen ihrer Erzählungen, war nun das Rollenvorbild der Zeit und so kamen ihre Romane in Neuauflage heraus und sie wurde mit dem Marie-Luise-Fleißer-Preis der Stadt Ingolstadt ausgezeichnet. Auch ihre finanzielle Situation verbesserte sich.
Irmgard Keun starb 1982 an Lungenkrebs, sie wurde auf dem Melaten-Friedhof in Köln beerdigt.
…und hier noch ein Zitat über Keun, das ich auf „FemBio“ gefunden habe:
„Alle haben schreckliche Angst vor diesem jungen, im Tiefsten unsicheren und scheuen Geschöpf, weil sie im Grunde nicht den Worten, sondern den Gedanken der Menschen lauscht und es sehr unheimlich ist, auf seine Gedanken statt auf seine Worte Antworten zu bekommen, zumal von einer Humoristin.“ (Arnold Strauss über Irmgard Keun (1934, Briefe 51-52))
Eine Beitragsreihe des AlexOffice Social Media Teams
Text: Cornelia Schmitz
Titelbild (Ausschnitt): © Axel Kirch / CC BY-SA 4.0 (via Wikimedia Commons); Irmgard Keun im Mahnmal zur Bücherverbrennung auf dem Bonner Markt. In das Pflaster des Bonner Marktes sind insgesamt 60 sichtbare Buchrücken, sogenannte „Lesezeichen“, verteilt, die sich an der Rathaustreppe, dem Ort, an dem die Bücher am 10. Mai 1933 verbrannt wurden, verdichten. Zusätzlich wurde ein wetterfester Archiv-Behälter in Form einer Büchertruhe in den Platz eingelassen. Seine Inschrift benennt das Ereignis und weitere Autoren von verbrannten Büchern.
Foto im Text: © Raimond Spekking / CC BY-SA 4.0 (via Wikimedia Commons); Statue der Irmgard Keun am Kölner Rathausturm von Marieluise Schmitz-Helbig
Hier geht es zu weiteren Artikeln aus der Reihe »Berühmte Persönlichkeiten mit psychischer Erkrankung«:
Auch du kannst deinen Text, deine Erfahrung, dein Gedicht oder auch deinen Podcast bei uns einreichen. Unter Kontakt findest du unsere Ansprechpartner. Schick uns dein Werk und wir veröffentlichen es.
Danke für diesen schönen und interessanten Artikel!