Über »Beschäftigte ArbeitnehmER in der WfbM«, also in diesem Fall über die männlichen Kollegen, die zusammen mit ihr in der Werkstatt AlexOffice arbeiten, hat sich Cornelia Schmitz Gedanken gemacht.


 

Beschäftigte ArbeitnehmER in der WfbM

Ich spreche heute explizit nur von ArbeitnehmERn, also von den Männern in der Werkstatt. Von denen gibt es wesentlich mehr als von Frauen und sie haben oftmals mit ernsteren Problemen zu kämpfen als das weibliche Geschlecht.

Die klassische „Karriere“ für einen Mann, der wegen psychischer Probleme in einer WbfM beschäftigt ist, nennen wir ihn Ben oder Tom oder Markus, ist folgende:

  • Solides Elternhaus
  • Studium oder Ausbildung begonnen
  • Oftmals Cannabis konsumiert
  • Im vierten Semester oder zweiten Ausbildungsjahr folgt eine Psychose, darauf ein Aufenthalt in der Psychiatrie
  • Dann oftmals eine Umschulung in so sinnvolle Berufe wie Bürokaufmann oder Mediengestalter, die am Markt keine Chance haben, gerne auch in einer Akademie, die schon das Etikett „psychische Erkrankung“ im Namen führt
  • Die vergebliche Bewerbung um einen Arbeitsplatz am ersten Arbeitsmarkt oder eine Kündigung in der Probezeit
  • Der zweite Aufenthalt in der Psychiatrie
  • Eine Rehamaßnahme in der WfbM, vielleicht mit nochmaligen, erfolglosen Bewerbungen auf dem ersten Arbeitsmarkt
  • Die Arbeitsaufnahme in der Werkstatt
  • Der Sack ist zu und geht erstmal nicht mehr auf

Ben oder Tom oder Markus ist dann vielleicht 35 oder 40 Jahre alt, ist in einem  Alter, in dem Andere beruflich fest im Sattel sitzen, über ein vernünftiges Einkommen verfügen können, Kinder oder wenigstens eine/n Partner/in haben. Unser Ben hingegen lebt von der Grundsicherung und einem schmalen Werkstattlohn. Seine Mutti kauft ihm ein Jackett und eine Hose, damit er wenigstens etwas Ordentliches zum Anziehen hat.

Bewerben – das macht er nicht mehr, auch nicht für einen betriebsintegrierten Arbeitsplatz, ein Praktikum, das durchaus Chancen bietet für den ersten Arbeitsmarkt. Ich habe meine Kollegen schon oft gefragt, ob sie es nicht nochmal probieren wollen, der soziale Dienst der Einrichtung strengt sich in dieser Hinsicht auch an, doch sie winken ab; die raue Welt da draußen erscheint ihnen zu mühsam.

Ben ist demoralisiert, wer kann es ihm verdenken? Wird er gefragt, was er beruflich macht, antwortet er ausweichend.

Und die Liebe? Da liegt der Hase im Pfeffer. Allen emanzipatorischen Anstrengungen zum Trotz, ist es oft immer noch so, dass die Frauen „nach oben“ heiraten und die Männer „nach unten“. Mindestens eine Begegnung unter Gleichen sollte es sein. Ben kann keine Frau zum Essen einladen, kann kaum von der Arbeit erzählen. In unserer Abteilung – Alex Office Kalk – wird absolut anspruchsvoll gearbeitet; in der Tätigkeit von Grafik-Designern, Mediengestaltern, Journalisten, oder Web-Creatoren; wir produzieren für den ersten Arbeitsmarkt. Mit leuchtenden Augen könnte man das herzeigen, doch dann, vorher: „Äh ja, ich muss dir da noch was erzählen“.

Dazu kommt, dass Männer mit psychischen Problemen von der Öffentlichkeit anders beurteilt werden als Frauen mit dieser Art Krankheit. Vor einer Frau mit Ängsten oder Depressionen hat man keine Angst, vor einem wahnkranken Mann hingegen schon. Psychose – das ist ein Begriff, der leider – auch dank vieler schlechter Krimis – mit Psychopathie in Verbindung steht. Natürlich können auch Frauen in die Psychose rutschen, doch sie scheinen leichter handhabbar, tauchen als Sujet nicht in Psychothrillern auf.

Klingt trist? Kann es auch sein.

Es ist vor allem für diejenigen Männer trist, die in der Abteilung keine Freundschaften schließen, die nicht nach Feierabend mit den Kollegen und Kolleginnen weggehen. Wenn Ben oder Markus sich Abend für Abend vor die Spielekonsole setzt und Chips futtert, wenn er kein aktives Privatleben hat – das erscheint mir richtig traurig. Gott sei Dank sind die männlichen Kollegen in unserer Abteilung in dieser Hinsicht sehr aktiv. Das ist das große Plus der WfbM: Es ist ein Ort, an dem man(n) offen über seine Probleme reden kann, sogar dazu ermutigt wird.

Was ist noch hilfreich? Nun, die Kunst. Je mehr Leute an den Topos von Genie und Wahnsinn glauben, desto besser für uns. Und es ist ja auch so, dass unsere Arbeit sehr vorzeigbar ist. Viele meiner männlichen Kollegen haben ein Buch in der Schublade, schreiben Gedichte, musizieren, die Frauen natürlich dito. Ein Heft mit witzigen Cartoons kann durchaus ein Türöffner sein.

Ein Werkstattbeauftragter für Männer wäre auch sinnvoll, gerade, um Netzwerke unter Männern zu stärken, auch, um auf die männliche Gesundheit zu achten. Herr Mustermann achtet schon nicht so sehr auf seine Gesundheit wie seine Gattin, und unser gedachter Ben erst recht nicht. Verpartnerte Menschen leben länger, warum? Weil sie aufeinander aufpassen, sich gegenseitig zum Arzt schicken. Eine Männergruppe, die läuft oder Boule spielt oder auch Karten – das wäre gut.

Eine werkstattinterne, selbstorganisierte Partnerbörse ist auch einen Gedanken wert, warum nicht, viele Liebesbeziehungen finden sich am Arbeitsplatz, warum sollte das bei uns anders sein?

Helfen würden vor allem starke Sprungbretter in Richtung erster Arbeitsmarkt. Wenn etwa Betriebe verpflichtet wären, Menschen mit psychischer Erkrankung einzustellen bei gleichzeitiger Förderung oder staatlicher Ausgleichsabgabe.  Es würde sehr helfen, wenn Leute wie wir ihre Ideen am ersten Arbeitsmarkt einbringen könnten, am besten an einem Ort, an dem es nicht ganz so hektisch zuginge, vielleicht ein Projekt, das die Firma schon lange plant, ein Zusatzprojekt, ein Nice-to-have, wo man in Ruhe und ohne Druck vor sich hinbrasseln kann.

Ich finde es sehr gut und richtig, dass es Werkstätten gibt, für die, die sich einen solchen Ort wünschen, sich dort wohlfühlen, gerade auch unter den Kollegen und Kolleginnen, gerade auch in einer offenen, vertrauensvollen Atmosphäre. Ich fände es noch besser, wenn man psychische Erkrankungen am ersten Arbeitsmarkt nicht länger wegverschweigen müsste.

Ein anständiges Gehalt würde Ben oder Tom oder Markus sehr helfen. Ihren weiblichen Gegenstücken natürlich auch.

Ein Beitrag von Cornelia Schmitz 

Foto (Ausschnitt) von Tim Marshall auf Unsplash


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