Johanna Plöger macht zurzeit eine Reha im AlexOffice 2 in Marsdorf und beschreibt in ihrem Artikel »Der Blick eines Seelenhundes«, wie sehr ihr ihre Hündin Neramel auf ihrem bisherigen Weg geholfen hat und was sie von ihr lernen durfte. Auch das Portrait von Neramel hat sie selbst gezeichnet.


Der Blick eines Seelenhundes

Wie eine Hündin mir beibrachte, ein bisschen mehr im Hier und Jetzt zu sein.

Die Zeit davor und das Leben danach.

Der Tag, an dem die Sheltiehündin Neramel zu mir kam,
war erst einmal ein ganz Gewöhnlicher.
Ich quälte mich aus dem Bett, hoffte auf der Busfahrt zur Arbeit wie üblich, dass uns der nächste LKW erwischen würde und kam schließlich auf dem kleinen Hof an, auf dem ich die Tiere versorgte. Nichts ahnend ging ich der Pflege der Vierbeiner nach, als mich die Chefin unerwartet ins Büro bestellte. Mein (laut ihm selbst ^^) selbstverständlich fehlerfreier innerer Kritiker nutzte die Gelegenheit direkt aus und feuerte einen Spruch nach dem anderen ab. „Natürlich hast du wieder alles falsch gemacht, wie kann man nur so blöd sein, alle hassen dich etc. etc…“ Man kennt es … das „Übliche“.

Und dann kam der Satz, mit dem ich niemals gerechnet hätte:
„Du könntest es ja mal mit Neramel probieren.“
Mein Kopf brauchte einen Moment, um zu verstehen, was dort eben gesagt worden war.
Längere Zeit schon hatte ich mich, zusammen mit einer Betreuerin meiner WG, nach einer passenden Möglichkeit für die Adoption eines Hundes umgesehen, jedoch nie Erfolg gehabt. Nun sollte es tatsächlich klappen?

Ja, es klappte. Und es klappte so gut, dass dieses wunderbare Hundemädchen mit mir im Bus fuhr, als hätte sie nie etwas anderes gemacht. Dass sie bald – trotz ihres anfänglichen Übergewichts – täglich beweglicher wurde und lernte, mir ohne Leine am Fahrrad zu folgen. Dinge, die ihr bis dahin fremd waren.

Perspektivwechsel

Doch nicht nur ich brachte ihr etwas bei.
Neramel, mit ihrer zugleich sanften und ruhigen, aber auch unbedarft vorwitzigen Art, hielt mich dazu an, gegenwärtiger zu sein.
Durch sie lernte ich, dass die Vergangenheit einen zwar prägt und verändert, aber nicht ausmacht. Sie nahm mich einfach so an, wie ich war. Mit allen Schwankungen und Launen. Ihre kleinen Pfoten wiesen mir den Weg aus selbstzerstörerischem Denken und Handeln. Wann immer ich am Leben so stark zweifelte, dass ich keinen Ausweg mehr zu wissen glaubte, stupste ihre Nase mich zurück und gab mir die Motivation weiterzumachen.

Nach langer Zeit wusste ich wieder, dass es doch etwas gab, wofür es sich lohnte, aufzustehen und zu kämpfen.
Ein Blick in die Augen dieses Seelenhundes und ich war wieder da und geerdet.

"Neramel" – Zeichnung von Johanna Plöger zu ihrem Artikel "Der Blick eines Seelenhundes"

Die Gabe eines Hundes ist es, im Hier und Jetzt zu leben.
Er verweilt weder in der Vergangenheit, noch sorgt er sich um seine Zukunft. Ein Spaziergang in der Natur zum Beispiel, ist eine gute Gelegenheit, achtsam wahrzunehmen.
Die Sinne einzusetzen.
Was kann ich hören, was riechen?
Wie fühlt sich der Boden unter meinen Füßen an, der Wind in meinem Gesicht?
Bin ich gerade ganz im Augenblick oder schweifen meine Gedanken ab?
Ich kann versuchen, die Situation so anzunehmen, wie sie in diesem Augenblick ist.
Und so Mut und Kraft schöpfen, Schritt für Schritt weiterzugehen.

Text und Illustration von Johanna Plöger


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