Mit seiner Erzählung »Die Krippe von Greccio« führt uns L.S. (AlexOffice) auf seine ihm eigene lyrische Weise mitten hinein in das Geschehen um die Geburt Jesu. Die Geschichte spielt hier in der Höhle eines Klosters bei Greccio (Italien), in dem Franz von Assisi (Franzikus) der Legende nach im Jahr 1223 das erste Mal das Weihnachtsevangelium in Form einer lebenden Krippe darstellen ließ.

Im 14. Jahrhundert wurde dieses Fest der Geburt Jesu auf einem Fresko abgebildet (siehe Foto). Rechts sieht man Maria und Josef mit dem Kind im Stall von Bethlehem, links Franziskus mit Würdenträgern vor der Krippe.  


 

Die Krippe von Greccio

Es war an jenem Wintertag des Jahrs Zwölfhundertdreiundzwanzig, im milderen Gefild Italiens, nah einem kleinen Dorf, das kaum nur zwei, drei Stunden Fußwegs in der Runde jemand kannte und dessen Name doch an jedem Ort der Erde, wo es nur eine Weihnachtskrippe gibt, genannt zu werden Recht wie billig ist, als es geschah. Da es das wohl Gewöhnlichste am Dörflein Greccio war, dass es nichts außer des Gewohnten gab, nur einige Gehöfte, weit ins mühevoll Gerodete gebaut − und das Kapellchen in der Grotte, von lang verstorb’nen Eremiten stammend, den Lauf der Jahreszeiten, manches Fest, Missgunst und Tratsch, wie auch, in Bauernschläue wirkend, mäßiges Betragen – erwartete wohl niemand etwas von dem Ort, denn könne Gutes von den Rändern kommen? Und es begab sich doch (da kam der heilige Francesco in den Weiler, einige Gefährten um ihn her), dass aus dem Unscheinbaren, gleichsam einem grauen Stein, der Funke jenes göttlich großen Ahnbaren geschlagen, Denkmal der Liebe, Licht der Völker wurde, (neugierig versammelte die kleine Herde sich). Ja, von diesem Armen habe man gehört, Törichtes und Wunder, vor Papst und Fürsten hatte er gesprochen und selbst den Sultan, fern im Heil’gen Land, weit übers Meer, zum Christentum bekehren wollen. Klein sei er, ach, so unscheinbar, meinte eine junge Bäuerin enttäuscht, und gar nicht kraftvoll − Antonio, der Wirt, mit dem sie einiges verband, ging gleich wieder ins Haus. Da hätte er schon mehr erwartet, machtvoll donnernde Predigten, welche so angenehm durchschauderten, doch milde lächelnd habe man von ihm nur einen Esel ausgedungen, der Ochse käme nach, hieß es; die Aufregung: vergebens. Nur die neugierigsten, gewissensbeunruhigten Alten gingen abends zur Kapellengrotte, den meisten war es dort zu kalt − und daheim, bei heißen Spezereien und gewürztem Wein Geschichten erzählend, ließ sich’s auch recht angenehm und traulich leben. Als Mitternacht nahte, erklangen aus der Eremitage die altbekannten Weisen, doch so hoffnungsvoll verlockend und erhaben, dass viele ihre Schuhe banden und innerlich bewegt mit Kerzen oder Fackeln hin zur Felsenhöhle kamen. Dort war ein Futtertrog mit Stroh gefüllt, der Esel und ein Ochse standen nahebei, doch nichts Besonderes, nur Altbekanntes, so wie eh und je.

San Francesco sprach vom Kind zu Bethlehem, dem armen König, den Missgunst und der Hass von Arrivierten bis zur Entäußerung geführt, das Leben lassend einer Liebe, die Torheit oder Anstoß jenen ist, die nicht zu hören, sehen lernten. Doch dieses Kind strecke, recht wundersam, seine kleinen Arme nach  u n s  aus. So breitete das Unerahnte ganz allmählich, leise seine Schwingen, die Menschen in der Grotte wurden Andere, träumend, sinnend, einer Feier göttlich neuen Lebens. Sie hörten von jenem Stern, der unsre Tage, Jahre mit seinem Glanz erhelle und gebaren ihn in sich, vom Frieden, der in jedem Herz beginne, das den Hörenden ganz warm und sänftiglicher wurde. Viele weinten sehr und mancher schlug sich an die Brust, die dörfliche Gemeinde hatte sich gewandelt, sie sahen einander wie Geschwister an und niemand wollte einem andern Leid. Nachbarn sprachen beisammen stehend von Versöhnung, aufklarendes Verständnis, das die Herzen leicht und sicher macht, bemächtigte sich ihrer − und dann geschah’s: die so berührten Einwohner von Greccio sahen in dem Futtertrog aus Licht gebildet, lächelnd, segnend nun ein Kind, rieben sich die Augen und staunten bebend, als Francesco ihm, dem unerwartet Anderen, ein Palmzweiglein gereicht, mit dem das kleine Wunder spielte. Bis hin zum Morgen sangen sie und lachten, weinten durcheinander, bedachten oft ihr Leben, das nun zu ändern wäre, denn aus den Übergängen der vermeintlichen Notwendigkeit in unsrer Welt zum Schöneren und Hohen wuchs ihr Mut – das Ewige und Schwache hatten sich berührt; und in die Täler drang schon gleich des folgenden Tages eine frohe Kunde: was dort, in Greccio, geschehen war.

Links das griechische „Nichts im Übermaß“, rechts „Erkenne dich selbst“(links das griechische „Nichts im Übermaß“, rechts „Erkenne dich selbst“)

Ein Beitrag von L.S. (Text und Grafik)

Titelfoto (Ausschnitt) „Die Krippe von Greccio“ von Robert Cheaib auf Pixabay


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