In Teil 1 der neuen Beitragsreihe »Masters of Horror« stellt uns J. T. (AlexOffice) den US-amerikanischen Schriftsteller Stephen King vor, der vor allem für seine (zum Teil verfilmten) Horrorromane bekannt ist. Diese machten ihn zu einem der meistgelesenen und kommerziell erfolgreichsten Autoren der Gegenwart.   


 

»Masters of Horror« – Teil 1 – Stephen King

 


 

Stephen King 2007 auf der New York Comic Con„Meine Mutter hat mir einst gesagt, wenn ich mich vor etwas fürchte, muss ich es nur laut aussprechen, dann würde es nicht eintreten.“ (Stephen King)

In aller Kürze…

  • Er ist der einzig lebende Autor (nicht nur seines Fachs), dessen Romane, Novellen und Short Storys derart oft verfilmt wurden.
  • Am 1. September 1947 kam Stephen King als zweites Kind von Donald und Nellie Ruth Pillsbury King in Portland, Maine zur Welt. Im selben Monat wütete der Fort Lauderdale Hurricane über Florida und die Golfküste hinweg und forderte 51 Opfer.
  • King war gerade zwei Jahre alt, als sein Vater plötzlich die Familie auf Nimmer-wiedersehen verließ. Fortan schlug sich seine Mutter mit Gelegenheitsjobs durch und die Kings mussten häufig umziehen…

Jede/r von uns kennt wohl zumindest eine seiner Geschichten – oder die verfilmte Version. Meist werden wir in ihnen in ein Kleinstadt-Idyll (nicht selten in Kings heimischen Bundesstaat Maine) entführt, in welches schleichend oder urplötzlich das Grauen einbricht. Dieses Konzept erscheint uns heute altbewährt oder gar öde, doch Stephen King hatte es – nicht unmaßgeblich – eingeführt. Als seine literarischen Haupteinflüsse nennt King immer wieder gern Ray Bradbury („Fahrenheit 451“) und Richard Matheson („I Am Legend“). Auch für Poe und Lovecraft hat er einiges übrig und auch schätzt er viele seiner Kollegen, wie z. B. Clive Barker, John Saul, Dan Simmons…

Es wirkt manchmal etwas jovial und gönnerhaft, wenn ein Kommentar des Meisters auf dem Buchrücken steht wie „Ich kann nicht sagen, wie sehr ich diesen Autor beneide.“ oder „XY ist so gut, dass mir die Spucke weg bleibt.“

Eine gewaltige Bandbreite

King legt eine enorme Bandbreite vor, von der Gattung des Psychothrillers („Misery“), des Horror-Romans („Friedhof der Kuscheltiere“) bis hin zum Fantasy-Epos (die „Dark Tower“-Saga, Stephen Kings „Herr der Ringe“).

Der Literaturkritiker Denis Scheck bezeichnete ihn einst als den ‚Charles Dickens unserer Zeit‘.

In „ES“ schreibt Stephen so episch und literarisch hochwertig, dass man niederknien möchte. Doch schrieb er auch über eine lange Strecke, in den 1980ern nämlich, eher platt und in Anbetracht seines Potenzials, ziemlich schlampig. In dieser Phase war King alkoholabhängig. Noch heute sucht er regelmäßig Treffen für anonyme Alkoholiker auf.

Carrie – oder: Wie alles begann

Eine beinahe klassische Racheschichte: Carrie (im Film von Sissy Spacek verkörpert) ist ein unscheinbares, stark verschüchtertes Mädchen, eine Außenseiterin (King hat für jene ganz besonders viel Sympathie!), die nach dem Sportunterricht offenbar ihrer erste Menstruationsblutung bekommt und zum Gespött ihrer Mitschülerinnen wird. Die Film-Szene, in der Spacek nackt im Waschraum steht, ist heute so legendär wie die Dusch-Szene in Hitchcocks Psycho mit Anthony Perkins oder die „Bettszene“ in Friedkins Der Exorzist mit Linda Blair oder eben auch die Axt-Szene mit Jack Nicholson in Shining, von Stanley Kubrick verfilmt. Carrie wird von ihrer Mutter Margret strengst religiös erzogen. Ein gesundes Verhältnis zu ihrem eigenen Körper und insbesondere die Entwicklung einer eigenen Sexualität ist Carrie unmöglich. Der religiöse Wahn ihrer Mutter liegt in einer Vergewaltigung von Carries leiblichem Vater. Niemand ahnt etwas von Carries besonderer Gabe, offenbar nicht einmal sie selbst…

Castle Rock

In der Anthologie-Serie „Castle Rock“ (2018-2019) versammeln sich unzählige Motive aus zahlreichen Erzählungen Kings – hier wird Fan-Service vom Feinsten geboten, Easter-Eggs überall und dazu eine überzeugende Dramaturgie inklusive subtilen Grusels, den wir aus dem erzählerischen Werk dieses vielseitigen Schriftstellers kennen. Diese Serie richtet sich jedoch nicht nur an Fans, sie überzeugt auf vielen Ebenen und weckt Neugier auf die Welten dahinter, welche hier als Vorlage dienen. So nimmt sie Bezug auf Geschichten und Charaktere aus Kings erzählerischem Multiversum. Castle Rock ist eine fiktive Kleinstadt, die in Maine angesiedelt ist. Ähnlichkeiten zu Kings wohlvertrauten Orten Maines wie Portland und Bangor lassen sich natürlich nicht leugnen.

Da gibt es z. B. Sheriff Alan Pangborn, der in den Romanen „Stark“ sowie in „Needful Things – In einer kleinen Stadt“ auftaucht. Sissy Spacek („Carrie“) und Bill Skarsgård („Pennywise“ im Remake von „ES“) treten hier ebenfalls in Erscheinung.

Castle Rock bot zudem für King-Klassiker wie „Cujo“ und „Stand By Me“ die Kulisse für unheimliche Begebenheiten und blanken Horror. Ausführender Produzent dieser (…leider…) Mini-Serie war J. J. Abrahams, bekennender King-Fan und verantwortlich für eine Reihe an Filmproduktionen aus dem Sci-Fi und der Mistery-Ecke, wie „Star Trek“, „Star Wars – Das Erwachen der Macht“ (Regie), die Cloverfield“-Trilogie (Produzent) sowie Executive Producer bei Serien wie „Lost“, „Fringe“, „Almost Human“ und „Lovecraft Country“.

Die Serie „Castle Rock“ spielt gekonnt mit den Erwartungen und Ängsten des Publikums. Ob Protagonist oder Antagonist, jede Figur hier scheint etwas zu verbergen, jede(r) hat ihr/sein Päckchen zu tragen – welche davon geöffnet werden, soll an dieser Stelle aber keinesfalls verraten werden…

Dark Tower

Schwarz (1981)
Der Mann in Schwarz floh durch die Wüste und der Revolvermann folgte ihm…
So beginnt der erste Band „Schwarz“ der „Dark Tower“-Saga. Ein Fantasy-Zyklus in acht Bänden, der nicht nur die Herzen von Fans des Genres höher schlagen lässt, denn King bedient sich hier zudem Motiven aus Science Fiction, Western und natürlich des Horrors. Laut eigener Aussage brauchte er dreißig Jahre, um diese wirklich epische Geschichte zu vollenden. Ihm war bewusst, dass er niemals in Tolkiens Fußstapfen treten würde, doch musste er dem Drang nachgeben, dieses umfang- und einfallsreiche Werk zu schaffen. Und tatsächlich scheint dieses Epos nach besagten acht Bänden nicht enden zu wollen: In weiteren Fortsetzungsgeschichten („The Green Mile“ / „The Plant“ wird die Story auf einigen Ebenen weitererzählt…
Dieser Dunkle Turm bildet den Mittelpunkt des Multiversums, welchen es aus den Fängen des Scharlachroten Königs(!) für Revolvermann Roland zu befreien gilt. Seine Mittwelt befindet sich in postapokalyptischem Verfall. Doch King brilliert an zahlreichen Stellen mit seinem Humor, so dass man nicht fürchten muss, in ein trostloses Szenario abzutauchen, das verstimmt, nein – es wird äußerst unterhaltsam und kurzweilig.

Drei (1987)
„Der Revolvermann erwachte aus einem wirren Traum, der nur aus einem einzigen Bild zu bestehen schien: dem des Seefahrers im Tarotblatt, aus dem der Mann in Schwarz dem Revolvermann dessen jämmerliche Zukunft vorhergesagt (oder nur so getan) hatte…“
Rund vierzig Seiten des Manuskripts zum zweiten Teil gingen Stephen King verloren. Für ihn selbst grenzt es an ein Wunder, dass er den Dreh letztlich doch noch hinbekommen hatte. Roland Deschain, der „letzte Revolvermann von Mittwelt“ findet in diesem Band seine beiden Gefährten: den Junkie Eddie und die schizophrene Susannah…

Tot (1991)
Kings Leser begegnen nun allerlei bedrohlichen Kreaturen auf der Reise durch das heimische Paralleluniversum Rolands und seiner Gefährten, etwa einem „gigantischen Cyborg-Bären“, der vom „Alten Volk“ beauftragt wurde, ein „Portal des Balkens“ zu beschützen. Unkonkreter geht’s nicht? Findet selbst heraus, was sich hierhinter verbirgt. Der Held Roland durchquert die „sterbende Welt“ auf der Suche nach dem „Schlüssel“, von dem er im Wahn träumt, dass er ihm die Geheimnisse des Dunklen Turms offenbaren möge. King führt hier durch ein schier nicht enden wollendes Abenteuer, das mehr und mehr grotesker wird, das mitfiebern und aus der Lektüre nicht leichtfertig aussteigen lässt…

Glas (1998)
Ein immenser Rechercheaufwand und die parallel laufend hohe literarische Produktivität stellten die Geduld der Leser auf die Probe. Die Fortsetzung erfüllt jedoch die keineswegs niedrigen Erwartungen. Diese Reise wird gewaltiger, weil auch emotional(er)…

Wolfsmond (2003)
Nach einem Unfall, bei welchem der Meister des literarischen Horrors beinahe sein Leben ließ und welcher sein Gangbild dauerhaft veränderte, wuchs die Ungewissheit, ob das „Dark Tower“-Projekt je abgeschlossen würde. Nun kehren Roland und seine Gefährten zurück. Und in nichts hat King nachgelassen. Jedoch wechselte der Übersetzer hierzulande (von Joachim Körber zu Wulf Bergner), was nicht auf große Begeisterung bei der deutschen Fan-Gemeinde stieß.
Noch immer mitreißend und beschwerlich bleibt der Weg für das mittlerweile sechsköpfige Team…

Susannah (2004)
Es wird nicht weniger komplex und nicht minder spannend. Die Brücken in unsere Welt mehren sich. Man spürt als Leser nun aber, dass man sich auf der Zielgeraden befindet…

Der dunkle Turm (2004)
Der siebte Band erscheint im selben Jahr wie sein Vorgänger. Alle Suchscheinwerfer beleuchten nun auch Rolands Kindheit…

Wind (2012)
Das große Finale wartet auf mit allem, was das Fan-Herz begehrt.
Nach dem Verlust seiner Mutter wird der junge Roland auf eine Mission geschickt. Der junge Roland hat seine Mutter verloren, die durch seine Hand starb und wird nun von seinem Vater auf eine Revolvermann-Mission geschickt, da er selbst keine Zeit dafür findet. Roland reist also mit nur einem Gefährten aus seinem Ka-Tet in die ferne Stadt um dort einen Gestaltwandler zu erlegen.

Die neu aufgelegten Werke vom Heyne-Verlag

Friedhof der Kuscheltiere (624 Seiten) – unheimlich
Dieser Roman von 1983 bietet Horror in Reinkultur. King selbst hält es für sein grausigstes. Ein Meisterstück in Sachen „Wie lehrt man seine Leser das Gruseln“…

Fairy Tale (800 Seiten) – magisch
Da gibt es den 17jährigen Charlie Reade, der kein leichtes Leben hat. Seine Mutter verstorben, der Vater dem Alkohol verfallen. Durch einen Nachbarn wird er in eine mystische Welt entführt. Mächtige Kreaturen treiben dort ihr Unwesen. Die unterdrückten Bewohner erhoffen sich Charlies Hilfe…

Joyland (368 Seiten) – spannend
Jugenderinnerung und Spannungsroman in einem. Eine „aus der Hand geschüttelte Schönheit“, wie Dietmar Dath einmal treffend bemerkte. Hier zeigt King einmal mehr, wie man virtuos mit den Erwartungen der Leserschaft spielen und den Spannungsbogen überdehnen und grausam Cliffhanger ans Ende des jeweiligen Kapitels setzen kann…

Christine (896 Seiten) – sozialkritisch
In diesem Roman vereint King so ziemlich all seine herausragenden Genres: Horror, Coming Of Age, Love Story und eben Sozialkritik. Oberflächlich betrachtet ein simpler Horror-Plot: Ein uncooler Außenseiter verliebt sich in einen 1959er Plymouth Fury und restauriert ihn. Mit der Zeit verändert er sich gravierend UND: Der Wagen versucht jede(n) zu vernichten, der/die/das sich zwischen die beiden stellen könnte.
Das Besondere aber: Der Wagen funktioniert als Vehikel für Kings sozialkritische Beleuchtung der US-Gesellschaft…

SIE (528 Seiten) – biographisch
Paul Sheldon ist ein Schriftsteller, der in einen Unfall gerät und in Obhut bzw. in den Fängen seines größten Fans landet. Paul muss nun als Vollinvalide seine Geschichte weiterschreiben, in der er die Serienheldin Annie jedoch sterben lässt, worauf die Herbergsmutter durchdreht…

Der Anschlag (1072 Seiten) – politisch
Diesen Roman von 2011 kürte die New York Times zu einem der zehn besten Bücher des Jahres. King beweist, dass er auch Zeitreisen beherrscht, vielleicht eine kleine Reminiszenz an einen seiner Lehrmeister H. G. Wells („Die Zeitmaschine“ von 1904)? Die Zeit zeigt sich hier als störrisches eigenmächtiges Wesen, welches hier äußerste Widerstandsfähigkeit zeigt. Im Fokus der Handlung steht die Verhinderung des Attentats auf John F. Kennedy…

Puls (576 Seiten) – apokalyptisch
Die Idee war geboren, bevor The Walking Dead“ zur Kultserie wurde. Ein Virus verbreitet sich via Handy. Als King den Roman 2005 schrieb, gab es noch kein Smartphone. Amazon war noch bloß ein Buchhändler. Facebook hatte nur ein paar Millionen Nutzer. Mit „Pulse“ blicken wir in eine Zukunft, die (bald) unsere Gegenwart sein könnte…

Schluss mit King

Stephen King hat ein gewaltiges Werk geschaffen, und bis heute gewinnt er weltweit viele neue Leser. Als Einstieg empfehlen sich auch seine Kurzgeschichten, jeweils versammelt in den Bänden „Nachtschicht“ und „Blut und Rauch“. Die Hörbücher, meist eingelesen von David Nathan, sind ebenfalls ein Genuss. Von den Verfilmungen sind „Shining“ mit Jack Nicholson in der Hauptrolle (auch wenn King selbst unglücklich war mit der Interpretation des Jack Torrance von Regisseur Stanley Kubrick, da dieser kaum eine merkliche Entwicklung zum Wahnsinn durchmacht, stattdessen von Anfang an als Irrer gezeigt wird), „Stand By Me – Geheimnis eines Sommers“ aus dem Jahr 1986 mit u. a. Will Wheaton, Corey Feldman und dem weit zu früh verstorbenen River Phoenix sowie „ES“, im Original mit Tim Curry von 1990 und im Remake von 2017 mit Bill Skarsgård als Killerclown Pennywise, quasi für jeden Freund des gepflegten Grusels…:
P F L I C H T…*!*

Ein Beitrag von J. T.

Titelfoto mit „Pennywise“ (Ausschnitt) von Nong auf Unsplash


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