In Teil 5 der Beitragsreihe »Masters of Horror« lernen wir Jörg Buttgereit kennen, einen deutschen Autor, Film-, Theater- und Hörspiel-Regisseur, der sich besonders im deutschen Horror- und Splattergenre einen Namen gemacht hat. J. T. aus dem AlexOffice stellt ihn uns vor. Laut seinen Worten ist Buttgereits Kunst-Welt „… verbrannte Erde und fruchtbarer Boden zugleich, und sie ist einmalig in ihrer verstörenden Bildgewalt und ihrer Tiefenwirkung.“


 

»Masters of Horror« – Teil 5 – Jörg Buttgereit

 


 

Jörg Buttgereit, 2015 (Foto von Vera den Kok)Jörg Buttgereit (Jahrgang 1963) gilt nicht zu Unrecht als „Hans Dampf in allen Gassen“, denn er ist nicht nur Autor (von Hörspielen, Drehbüchern und Theaterstücken), sondern auch Produzent und Regisseur (von vermehrt Video-Clips von Punk- und Metal-Bands).

Seine düsteren, desillusionierenden, schwermütigen Horrorstreifen aus den 1980ern und 90ern markierten das Genre wie kaum ein vergleichbarer Film eines deutschen Filmemachers. Es überwogen aber die Kurzfilm-Produktionen, diese aber wirken und hallen lange nach und erfreuen sich großteils hoher Beliebtheit bei den Kritikern.

"Captain Berlin", Comic-Figur von Jörg ButtgereitButtgereits Werke stehen für ihren eigenwilligen bis brillanten Humor, so beispielsweise in seinen Captain Berlin-Comics, die seit 2013 in unregelmäßigen Abständen erscheinen. Jener Captain Berlin wurde zudem in einigen Hörspielen gewürdigt, so in „Captain Berlin vs. Dracula“ (WDR 2006) oder „Captain Berlin und die wirklich wahre Geschichte vom Mauerfall“ (WDR 2020).

Seine Theater-Inszenierungen am Theater Dortmund (2012: „Kannibale und Liebe“, 2014: „Nosferatu lebt“, 2015: „Besessen“) sind wohl eher bestenfalls intellektuelles Fastfood aus Sicht von Freund*innen Shakespeares, Brechts oder Eugene O’Neills und werden von jenen womöglich als dramaturgische wie ästhetische Zumutung aufgefasst. Aber hält man das Anspruchslevel nicht allzu hoch, kann es durchaus unterhaltsam werden. Buttgereits Debüt „Green Frankenstein und Sexmonster“ am Theater Dortmund wurde 2011 von Publikum wie Kritikern abgefeiert.

Betrachtet man seine Produktivität und die Tatsache, dass er so manch Genre-Perle im Trash-Gewand in die Welt setzte, welche einem auch dann etwas Respekt abverlangt und auch, wenn man die Machart Buttgereits und seine Liebe zu B-Movies, Exploitation, Grindhouse und Splatter verabscheut – zu entdecken gibt es bei diesem Berliner Querkopf immer was.

Lola Gave in der Episode „Final Girl“ (2014) des Episodenfilms „German Angst“ (Quelle und © 2013 KOSAKOWSKI FILMS) Einige seiner Filme atmen den Geist eines Dario Argento, Tobe Hooper und mancher Snuff-Produktionen aus der Feder Hanekes oder Michael Powells. Die Grundstimmung in Filmen wie Nekromantik oder German Angst ist derart existenzialistisch düster und trist, die Figuren ernüchtert, kalt, depressiv. Man hört Klänge von Joy Division, Skinny Puppy oder den Einstürzenden Neubauten, die den imaginären Soundtrack beitragen. Buttgereit ist unbedingt ein Ästhet. Es braucht nur den passenden Zugang. Manches Gebäude muss man eben mehrfach umlaufen, bis man den passenden Zugang gefunden hat.

Lola Gave in der Episode „Final Girl“ (2014) des Episodenfilms „German Angst“ (Quelle und © 2013 KOSAKOWSKI FILMS)

Buttgereit ist alles andere als Anachronist. Er geht aber auch nicht vollkommen mit der Zeit, verliert sich nicht in Trend-Strömungen und bleibt seinem Stil im Kern treu. Auf seinem Gebiet (im Underground) ein Fürst und mit zahlreichen Connections innerhalb der Independent-Szene, entführt uns Buttgereit immer mal wieder in ungewisse Gefilde seiner Phantasie, scheint sich dabei zu amüsieren, während seinem Publikum vor Ekel die Gesichtszüge entgleisen oder es schockiert erstarrt. Buttgereits Kunst-Welt ist verbrannte Erde und fruchtbarer Boden zugleich, und sie ist einmalig in ihrer verstörenden Bildgewalt und ihrer Tiefenwirkung.

Hier nun eine Auswahl aus Buttgereits Schaffen:

Ticket zur Premiere von "Nekromantik" am 29.01.1988 im Sputnik Kino

In Nekromantik (1988) stank der junge Filmemacher offensiv gegen die westdeutsche Zensur an und lotste aus, wie weit er gehen konnte. Und das war ziemlich weit. Tobe Hoopers Chainsaw Massacre und Charles Kaufmans Mother´s Day standen ihm ein bisschen Pate, wie Buttgereit heute gern zugibt. Besonders an Nekromantik ist die subversive Stimmung, erzeugt durch die Erzählung aus der Perspektive des psychopathischen Killers.

Buttgereit ist immer wieder überrascht über Fans, die sich seine Filmtitel tätowieren lassen. Es besorgt ihn allerdings auch etwas, da es ihm deutlich macht, welche Verantwortung er als Regisseur und/oder Produzent hat. Nekromantik 2 (1991) war für den Freund härterer und abseitigerer Filme wie Bands eher als Scherz gedacht – er stellte sich vor, wie die Erwartungen des gemeinen Horror-Fans auf die Folter gespannt werden, weil er hier einen wahrhaftig romantischen Film ablieferte. All jene wurden mit dem Nachfolge-Werk bös enttäuscht.

Buttgereit nennt John Waters als seinen ganz wesentlichen Einfluss. Und er liebt das Monster-Kino! Auf youtube.com („Monsterhaftes Kino+ Spezial“) gibt’s einen Podcast mit Oliver Kalkofe & Jörg Buttgereit zu Godzilla vs. Kong und der gesamten Entstehungsgeschichte der Filme beider Kreaturen.

Horror Heaven (1984) ist Trash-Heimkino der wohl übelsten Sorte und auf youtube.com zu haben, irgendwie dämlich aber irgendwie auch unterhaltsam.

In Todesking (1990) wird es nochmal richtig derbe, an Alltagsbanalität und Tristesse kaum zu unterbieten: Hier bricht Buttgereit ein weiteres Tabuthema: Suizid!  In sieben Episoden, jede steht für einen Wochentag, wird der Zerfall eines jungen Mannes dokumentiert. Das ist schwer auszuhalten und doch zog und zieht es nicht wenige in seinen Bann.

Schramm (1993) bietet ein „extrem morbides Schreckensszenario, das seine unverhohlene Lust an Splatter-Effekten nicht verbirgt“, schreibt die Kritik in filmdienst.de. Ja, Herr Buttgereit macht wohl weniger Filme für gehobenes Publikum als selbstreferentielles Autoren-Kino. Und geschmacklos darf oder muss es bei ihm auch sein.

Auch in Schweinchen (2020), einem Kurzfilm, produziert mit Dr. Mark Benecke, wird es wieder mal hässlich: Hier wird der Verwesungsprozess dokumentiert. Der Mehrwert: Die Erkenntnis, dass Leben und Tod unweigerlich miteinander einhergehen.

Neben Musikvideos, die Buttgereit gern und viel produziert, kommt es auch zu Kollaborationen mit internationalen Filmemachern, so auch in der kandadischen Serie Lexx – The Dark Zone (1998), einer Anthologie-Serie in vier Staffeln, die aber auf Grund geringer Zuschauerzahlen abgesetzt wurde.

In der Comic-Verfilmung Kondom des Grauens von 1996 wird es besonders grausam, weil bis auf den Hauptdarsteller hier nur Dilettanten am Werk gewesen zu sein scheinen. Buttgereit muss man hier ganz besonders mögen.

Und auch in seinen Hörspielen/Radio-Features und Theaterstücken kennt der Berliner keine Tabus und Geschmacksgrenzen. Diese tollkühne Behauptung belegen beispielsweise Sexy Sushi (WDR 2001), Ed Gein Superstar (WDR 2002), Green Frankenstein (WDR 2011) oder Captain Berlin vs. Dracula (WDR 2006).

Der Horror-Fan Buttgereit schreibt gern und viel: In Nicht Jugendfrei! Tagebuch aus West-Berlin (2023) gibt er tiefere Einblicke in sein Schaffen. Allmonatlich erscheinen Kolumnen von ihm im Film-Magazin „Deadline“ unter dem Titel Buttgereit empfiehlt.

Also, es lohnt ein Blick hinein in die horriblen Untiefen des doch so sympathisch wie smart daher kommenden Herrn, aber wie gesagt: BUTTGEREIT MUSS MAN MÖGEN… … …;*

Ein Beitrag von J. T. ( AlexOffice)

Bildquellen:

• Jörg Buttgereit, 2015; Foto von Vera de Kok (auf de.wikipedia.org)

• Titelbild und zweites Bild im Text: Comic „Captain Berlin“ von Jörg Buttgereit; Quelle: modern-graphics.de: „Captain Berlin, der einzig wahre deutsche Superheld, wurde 1944 vom antifaschistischen Widerstand geschaffen, um Adolf Hitler zu besiegen. Ein biologisch manipulierter Supermensch, der bis zum heutigen Tag weltweit einen unerschrockenen Kampf gegen fiese Schurken der Zeitgeschichte aufnimmt.“ 

• 2 Bilder mit Lola Gave in der Episode „Final Girl“ (2014) des Episodenfilms „German Angst“; Quelle und © 2013 KOSAKOWSKI FILMS (auf filmportal.de)

• Ticket zur Premiere des Films „Nekromantik“ am 29.01.1988 im Sputnik Kino (Bild von Herr Schlampe auf de.wikipedia.org)


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