Ich arbeite bei den Alexianer Werkstätten in Köln, einer Behindertenwerkstatt, und zack! – ein Stempel wird aufgedrückt, dabei ist eine Behindertenwerkstatt keine Sackgasse. Bei vielen, die mit dieser Art der Beschäftigung keine Berührungspunkte haben, wird sich an dieser Stelle ein bestimmtes Bild aufzeigen: Menschen, die in einer Halle oder einem Raum sitzen, Briefumschläge kleben, basteln, Kugellager zusammensetzen.

Gut, an dieser Stelle sei gesagt: diese Bereiche gibt es wirklich. Manche Menschen erfüllt diese Tätigkeit. 

Aber was heißt es eigentlich in einer Behindertenwerkstatt zu arbeiten? Was mache ich den ganzen Tag? Wie bin ich hier gelandet? Ist es eine Sackgasse? 

Es gibt viele negative Beispiele für Behindertenwerkstätten, das will ich an dieser Stelle nicht bestreiten, doch es gibt auch andere Beispiele. Doch der Reihe nach.

Wie landet man in einer Behindertenwerkstatt?

In meinem Fall ist das ganz einfach: indem ich mich beworben habe. Mehr oder minder. Es war eine Email mit der Frage nach einem Praktikum. Aus dem Praktikum wurde eine berufsbildende Maßnahme, Anfang des Jahres bin ich in den sogenannten Werkstattbereich übergegangen. Heißt: ich bin fest angestellt. Mit Vertrag, Urlaubstagen und einer Taschengeld-Entlohnung. Dazu später mehr. 

Aber warum bin ich in einer Behindertenwerkstatt? Ich bin psychisch schwer erkrankt, viele Dinge in meinem Leben sind nicht so gelaufen, wie es optimal gewesen wäre und viele Erlebnisse haben mich an der Sinnhaftigkeit des Konzeptes Leben zweifeln lassen. Mehrere Selbstmordversuche und Klinikaufenthalte später gelte ich zwar stabil, habe aber mehrere Probleme, die es mir fast unmöglich machen, auf dem ersten Arbeitsmarkt Fuß zu fassen.

Zum Einen der psychische Aspekt, dass ich nicht mehr in dem Maße Belastungsfähig bin, wie ich es für den ersten Arbeitsmarkt sein müsste. Meine Konzentration lässt schneller nach, ich halte Druck und Stress nur schlecht aus und kenne meine Grenzen der persönlichen Belastung nur schlecht. Im ungünstigsten Fall reiße ich mir dermaßen für ein Unternehmen den Hintern auf, dass ich binnen weniger Monate im Burnout hänge. Doch vorher würde meine Krankheit mich ausknocken. Mehrfach passiert, was zu erneuten Klinikaufenthalten und oft genug dann auch zu Kündigungen meinerseits führte. 

Zum Anderen habe ich mit Anfang 30 eine Umschulung gemacht, habe von meinem ursprünglich erlernten Beruf der Speditionskauffrau auf Mediengestalter umgesattelt. Und natürlich kann ich da nicht wirklich Berufserfahrung vorweisen. In einem Bewerbungsmarathon von über 80 Bewerbungen binnen zwei Monaten auf ein unbezahltes Praktikum habe ich über 60 Absagen erhalten. Von den restlichen habe ich bis heute, zwei Jahre später, immer noch nichts gehört. Viele Absagen klingen heute noch in meinen Ohren nach: zu alt, zu wenig Erfahrung, aber vor allem immer wieder, dass ich nicht studiert habe, dass ich kein Student sei, man nehme nur Studentische Praktikanten.

Mit dieser geballten Ablehnung meiner Person konnte ich nur schwer umgehen und geriet in eine der berühmten Abwärtsspiralen aus Depressionen und Angstzuständen. Die Rettung war an dieser Stelle die Werkstatt für behinderte Menschen. 

Ich war in einer berufsbildenden Maßnahme, in der ich in einer gewissen Zeit ein Praktikum nachweisen musste. Ziel war es, über ein Praktikum den Wiedereinstieg zu schaffen. Die Alexianer Werkstätten boten mir auf Nachfrage das Praktikum an. Und zum ersten Mal seit Jahren fühlte ich mich beruflich und auch menschlich angenommen.

Ich konnte in meinem Beruf als Mediengestalter arbeiten ohne dass jemand meine mangelnde Erfahrung oder meine persönliche Biografie mit all den Lücken im Lebenslauf als negativ ansah. Mir wurde Vertrauen entgegengebracht. Mit einem großen Batzen Empowerment schafften die Gruppenleiter es, mich aus meinem Schneckenhaus heraus zu holen und mich wieder aufzubauen. 

Was macht man eigentlich in einer Behindertenwerkstatt?

Das ist ganz unterschiedlich. Ich arbeite als Mediengestalter Digital und Print und ich mache genau das, was in einer handelsüblichen Stellenbeschreibung zu diesem Beruf stehen würde.

Ich gestalte Printmedien – von Visitenkarten bis zu Plakaten und Bannern, Broschüre und Flyer ist alles dabei -, erstelle Webseiten, pflege eben jene, versende Newsletter, betreue ein Email Postfach in dem meine Aufträge reinflattern. Ich rede mit meinen Kollegen, wir setzen zusammen etwas um, wir arbeiten in Gruppen, haben Projekte und Deadlines an denen alles fertig werden muss.

Der Unterschied zum allgemeinen, ersten Arbeitsmarkt? Weniger Stress, weniger Aufträge, längere Deadlines, höflicher Umgangston. Wenn es mir mal nicht gut geht, dann sag ich das meinem Gruppenleiter – der mir heute übrigens gesagt hat, dass er den Ausdruck Vorgesetzter nicht mag – und es wird akzeptiert. Nicht nur das, es wird sogar Rücksicht darauf genommen. Das ist der wundervolle Aspekt dieser Einrichtung. Der Mensch steht im Vordergrund, nicht die Zahlen am Ende des Monats. Die Bedürfnisse, die jeder Einzelne von uns hat, werden nicht in den Hintergrund geschoben.

Bei den Alexianern gibt es viele verschiedene Abteilungen – und ja, auch Kugellager werden hier zusammen gesetzt. Dazu gibt es eine Gärtnerei – “Die etwas andere Gärtnerei” -, eine Schneiderei, Büroarbeitsplätze, Logistik, Verkauf, Küchen… Wir sind ein Unternehmen, mit vielen Aspekten. Und jeder kann hier seinen Platz und seine Stärken finden. 

Es geht am Schluss immer darum, dass der Mensch einen Platz hat, ein Teil der Gemeinschaft zu sein, seinen Teil zu seinem Leben und der Gesellschaft beizutragen. Ohne daran kaputt zu gehen, wie es vielen passiert. 

Aber das ist doch eine Sackgasse! 

Ich kann mich daran erinnern, diesen Satz einmal selber gesagt zu haben, vor vielen Jahren, als ich mich mit Händen und Füßen an den Gedanken gekrallt habe, irgendwann wieder “ganz normal” arbeiten zu gehen.

Ich hätte nicht falscher liegen können. Eine Werkstatt für behinderte Menschen ist keine Sackgasse. Wenn ich will, kann ich jederzeit gehen. Ich bekäme hier sogar Unterstützung, wenn ich mich auf dem ersten Arbeitsmarkt bewerben wollen würde. Will ich aber derzeit nicht. Ich weiß, dass meine Gruppenleiter, der soziale Dienst und auch und vor allem meine Kollegen sich für jeden freuen, der von hier aus auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt Fuß fasst. Es sind wenige, und ich selber habe mir immer wieder gesagt, es ist nur eine Zwischenstation.

Im Moment denke ich eher, ich möchte bis zur Rente hier bleiben. Denn das ist das Beste: Kündigungen sind hier so selten, wie ein Eisbär in einer Innenstadt. Es kommt sicherlich vor, auch hier gibt es Verhalten die nicht erlaubt sind, oder Menschen die “nicht tragbar” sind, aber es ist selten. Jeder ist hier willkommen.

Und wenn gehen will, wird einem geholfen.

Fazit!

Eine Werkstatt für behinderte Menschen kann eine Station auf dem Weg der Arbeit sein, sie kann ein Arbeitgeber über Jahre sein, aber, wenn es die Richtige ist, ist sie hilfreich und wertvoll.

Selbstwertgefühl und Selbstverwirklichung stehen hier im Vordergrund, der Mensch wird gesehen, nicht nur seine Arbeitskraft. Und sie hilft den Menschen die hier sind, sich selber als Teil der Gesellschaft zu sehen.

Wir sind genauso ein Motor für die Wirtschaft, wie jede andere Firma auch. Nur, dass wir eben besonders sind, einen Tick anders aber mindestens genauso wertvoll. 

Eine Behindertenwerkstatt ist keine Sackgasse.

Eine Bitte zum Schluss:

Wir sind nicht plemplem, wir sind nicht irre, wir sind einfach anders. Wir sind besonders, haben andere Bedürfnisse und andere Ansprüche. Aber auch wir leisten unseren Teil, sind ein Teil und gehören zu euch dazu. 

Die Werkstätten sind für uns wichtig, auch für euch! Abwertend und abstoßend sind wir nicht, und wir möchten auch nicht so behandelt werden.

Ein Beitrag von Marie-Louise Buschheuer