»Von der missbrauchten Phrase des Respektes« handeln die „einzelnen Gedanken“, die sich L.S. (AlexOffice) im Erleben seines Alltags gemacht hat und uns hier anvertraut. Lest selbst.


 

Von der missbrauchten Phrase des Respektes

Einzelne Gedanken

Vor drei Jahren warb der nunmehrig deutsche Bundeskanzler auf Plakaten zur Wahl mit verheißungsvollem mehr „Respekt für dich“, was mitunter auch erheiternd wirkte, da des Bürgers liebster Zeitvertreib zuweilen darin bestehen kann, strahlende Zahnreihen der Beworbenen stückchenweise schwarz einzufärben, kurios gezwirbelte Bärte, runde Brillen oder Sprechblasen des Inhaltes: „Ich labere gern herum“, bzw. beinah epimenideisch anmutenden Paradoxa nachempfundenem: „Traut keinem Politiker“ aufzumalen.

Heute bemäntelt sich die Kürzung der Humanitären und Entwicklungshilfe von 3,14 Mrd. in 2022 auf 1,8 Mrd. Euro für 2025 als „globale Minderausgabe“ – und zeugt doch eher von „weniger Respekt“ gegenüber Menschen außerhalb des eigenen Tellerrandes; auch die Halbierung des Etats für Integrationskurse von Menschen mit Migrationshintergrund in der Bundesrepublik selbst, von bislang 1,1 Mrd. auf 500 Mio. Euro für 2025, sagt tatsächlich Ähnliches aus – sind diese etwa nicht Teil des gemeinten „Du“, sondern verfangen sich im Ressentiment – oder ist Respekt mit anderen Inhalten gefüllt als den vermuteten?

Als ich nachdenklich über die Schildergasse hinunter zum Rhein flaniere, rempelt mich ein großgewachsener, bärtiger Mann von hinten mit dem Ellenbogen an und raunzt: „Ey, pass’ doch auf. Kein Respekt, Alter.“ Da wir am Hinterkopf keine Augen besitzen, verwundert das schon sehr. Weitergehend fallen mir durchtrainierte Typen mit Security-Schriftzügen auf schwarzen Shirts ins Auge, welche bei den Ein- und Ausgängen der Ladengeschäfte auf Smartphones schauen oder die Muskeln spielen lassen. Unangenehme Gefühle beschleichen mich: Übellaunigkeit, Gereiztheit, Aggression im Alltag, die Notwendigkeit von Schutzmaßnahmen scheinen sich stets weiter auszubreiten – dort kicken Jugendliche den Almosenbecher eines bedürftigen Mitmenschen um, dem ich daraufhin zwei Dinkelbrötchen und eine Flasche Wasser kaufe. Am Rhein ist freieres Atmen – beinhaltet Respekt ein Recht des Stärkeren, Anderen, die Forderung, mich unterzuordnen und wäre nicht mehr das auf Augenhöhe, achtsam sorgend, tolerante Miteinander-Leben? Sollten wir uns nicht ergänzen, kulturell bereichern, Perspektiven wie Horizonte weiten?

Wäre es nach Voltaire nicht angemessener, einander mit gutem Willen zu begegnen: „Wir sind alle aus Fehlern und Schwächen gemacht, darum sei es ein Naturgesetz, dass wir uns wechselseitig unsere Dummheiten verzeihen.“

Sind wir in einfordernde Kämpfe vermeintlich nicht gegebenen Respekts verstrickt? Lehrer stehen mit respektarm agierenden Schulklassen vor dem Burnout, müssen sich vor Gewaltandrohungen durch Eltern fürchten; Hate Speech im Netz, Übergriffe in Arztpraxen, Messerattacken auf Feiermeilen, am Boden Liegende werden, in übertragendem Sinne wie auch ganz konkret, mit Füßen getreten. Unsere Gesellschaften zerfasern, während zeitgleich unsägliche Extremismen fröhliche Urstände feiern – doch die Antwort Vieler ist Ermüdung, Desinteresse, Lethargie; nur eine Zahl: die Europawahl-Beteiligung lag bei 50,74 %.

Wuchernden Egoismen als cantus firmus Menschenfreundlichkeit und Güte entgegenzustellen, wäre ein mitleidend-notwendendes, ja dringliches Gebot der Stunde – und vielleicht auch die Ergänzung des Respektes, hin zur Zwillingsformel, um ein angestaubtes Wörtlein: Nächstenliebe.

Ein Beitrag von L.S. (Text und Titelbild)

Quellenmaterial und weiterführende Literatur:
• Artikel „Rekordkürzungen in der Entwicklungszusammenarbeit“ (Cornelia Möhring, Andreas Bohne | 15.07.2024) auf www.rosalux.de
• Artikel „Bundesregierung halbiert Geld für Integrationskurse“ (Haushalt 2025 | 10.07.2024) auf www.migazin.de
• Artikel „Verbale und körperliche Angriffe – Kassenärzte beklagen mehr Gewalt in Praxen“ (Rubrik Gesundheit | 13.08.2024) auf www.spiegel.de
Wahlergebnisse (Europäische Union) der Europawahl 2024 auf results.elections.europa.eu


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