Unser Musikliebhaber J. T. aus dem AlexOffice stellt uns in seinem Artikel »Mike „The Voice“ Patton« einen Vollblutmusiker vor, der auch mit psychischen Beeinträchtigungen zu kämpfen hat, und zwar mit der Angst vor Menschenansammlungen und öffentlichen Plätzen.
Mike „The Voice“ Patton
Der aus dem nordkalifornischen Eureka stammende Sänger Mike Patton (bürgerl. Michael-Allan Patton) wurde hauptsächlich durch seinen Job als Frontmann der Crossover-Band Faith No More, insbesondere durch seinen markanten und variationsreichen Gesang, bekannt. Patton war nicht der erste Sänger der Band, zuvor liehen Courtney Love und Chuck Mosley der Band ihre Stimme. Patton war jedoch schon vor seinem Einsatz bei Faith No More musikalisch aktiv – Mr. Bungle (die ich beim Bizarre Festival im Jahr 2000 im niederrheinischen Weeze einmal live erleben durfte, leider nicht einer ihrer besten Gigs). Mr. Bungle vereinten wie Faith No More Einflüsse aus Metal, Punk und Mainstream-Pop, wohingegen Faith No More all jene verfeinerten, eleganter ineinanderfließen ließen und perfektionierten. Ihr Erfolgs-Album „Angel Dust“ (ein Meilenstein!) klingt nach einem kongenialen Mix aus den musikalischen Essenzen von (kein schlechter Scherz!) Madonna und Slayer, Public Enemy und Black Sabbath. Was zunächst aberwitzig klingen mag, wird bei Stücken wie „Epic“, „A Small Victory“, „Midlife Crises“, „Everything‘s Ruined“ oder später „Evidence“ und „Ashes To Ashes“ eindringlich bewusst.
Patton begnügte sich nie mit reiner Gesangsperformance, er ist Vollblut-Entertainer, sobald er die Bühne betritt, ein unbremsbarer Automatismus – der freundliche, sensible, im Gespräch offenherzige Mann wird zum Egomanen, Zyniker, Misanthropen und zum überspannten Psychopathen, der alle angestauten Emotionen in sein Mikro haucht, plärrt, würgt, brüllt. Er genießt es mit den Erwartungen des Publikums zu spielen, es gleichsam zu provozieren, zu verstören und es unbedingt jederzeit aus der Komfortzone zu reißen. Sein mal scharfer, mal platter Sarkasmus ätzt auch durch die Songtexte hindurch. Dazu seine extravagante Robe und der irre Blick. All das verkörpert die Klischees über den imperialen US-Amerikaner, den Supernarzissten, den selbsternannten Übermenschen (all jene, die Patton aus tiefstem Herzen verachtet). Nach Auftritten findet man ihn nicht selten in einem Pulk von Fans beim Plaudern. Der reisefreudige Europa-Fan Patton, der teils italienischer Abstammung und mit einer Italienerin verheiratet ist, spricht mitunter fließend Spanisch, was ihm auf Touren durch den hispanischen Teil Amerikas zugute kommt.
Doch hat sich Patton nie mit einem einzigen Projekt zufriedengegeben, meist tanzt er gleichzeitig auf verschiedenen Hochzeiten. Neben Faith No More und Mr. Bungle kam es zu weiteren Langzeitprojekten mit Fantomas (mit Jugendfreund Trevor Dunn am Bass, Buzz Osborne von den Melvins und Dave Lombardo von Slayer am Schlagzeug) und Tomahawk (ebenfalls mit Trevor Dunn, außerdem mit Duane Denison von Jesus Lizard sowie John Starnier, (Schlagzeuger bei Helmet und The Battles).
Die Songs jener Bands sind kompromissloser, härter, kantiger, ausufernder.
Auf dem wohl bekanntesten Album von Fantomas finden sich Themensongs, atmosphärische Stücke zu Klassikern des Horrorfilms (Rosemary‘s Baby, Night Hunter, Der Golem) sowie des Thrillers (Cape Fear, The Godfather). Die Auftritte der genannten Bands wurden hart abgefeiert, kommerziell erfolgreich waren sie als Allstar-Bands auch, worum es Patton nach eigener Aussage jedoch nie ging. Wie ganz beiläufig gründetet er ein eigenes Plattenlabel: IPECAC! Auf jenem tummeln sich Underground-Künstler aus allen Musikgenres, für die Patton seit jeher brennt!) und kollaborierte mit Legenden wie Serge Gainsbourgh, John Zorn, The Young Gods und Sepultura.
Patton liebt es experimentell, die Vermischungen der Grenzen, die Entgleisungen. Er würdigt in der Zusammenarbeit jeden einzelnen Musiker, ist weltoffen und empfänglich für Inputs aus allen Himmelsichtungen. Dabei verliert er aber nie den Fokus, bleibt Perfektionist, nimmt sich selbst stets vor dem Gemeinschaftsprojekt zurück, ist also absolut professionell.
Neben Mr. Bungle und Tomahawk ergab sich ein weiteres Langzeitprojekt: Mit The Moonchild Trio kamen bislang sieben Alben zustande. Auch mit Björk, Dillinger Escape Plan und Rammstein hat der heute in San Francisco lebende Patton gearbeitet.
In dem Trash-Movie „Firecracker” spielte Patton einen widerlichen, ziemlich infantilen Psychopathen (eine Rolle, die ihm scheinbar auf den Leib geschneidert ist), doch seine Präsenz hob nicht unbedingt die Qualität des Drehbuchs und den Erfolg an den Kinokassen.
Des Weiteren synchronisierte Patton einige Filme und produzierte Platten von Nachwuchskünstlern. Patton als kreativen Tausendsassa zu bezeichnen drängt sich im Rückblick auf die vergangenen drei Jahrzehnte unbedingt auf.
Sein Erfolgsprojekt Faith No More sollte im vergangenen Jahr auf Tour gehen, doch musste die Band aufgrund des Gesundheitszustandes ihres Sängers sämtliche Termine absagen. Mike Patton leidet an Agoraphobie (der Angst vor Menschenansammlungen und öffentlichen Plätzen…). Nach eigener Aussage soll es bereits vor Corona aufgekeimt sein, doch während der Lockdowns habe es sich wesentlich verschlimmert. Patton hatte seinerzeit auch mit Depressionen zu tun, was er mit Drogen und Alkohol kompensierte und zu jener Zeit nicht publik machte – das Schauspielern beherrscht Patton ebenfalls nicht gerade schlecht).
Wünschen wir ihm also beste Genese, auch in der Hoffnung auf weitere spannende Musikprojekte von und mit diesem eigensinnigen und herausragenden Musiker…;*
Ein Beitrag von J. T. ;*
Titelbild (Ausschnitt): „Zorn at the Barbican Mike Patton, Moonchild“ von andynew auf flickr.com
Bild im Text: „Peeping tom in Milan“ von kokuziu auf flickr.com
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Kantig, holzschnittartig, doch so interessant herausarbeitend. Herzlichen Dank für diesen Beitrag!
Danke, dass du auf ihn aufmerksam gemacht hast, war interessant.
…immer wieder GERN, ihr Lieben…*!*