In ihrem aktuellen Artikel »Im Tunnel« befasst sich Jean Mertznich aus dem AlexOffice wieder mit Depressionen und Anspannung und beschreibt, wodurch sie es zuletzt geschafft hat, wieder hinaus zu gelangen aus dem Tunnel (z. B. durch Achtsamkeitsübungen und körperliche Aktivität). Schaut euch dazu auch Jeans Bilder an, mit denen sie ihre Erfahrungen veranschaulicht.
Da es sich um sensible Inhalte handelt, setzen wir an dieser Stelle eine ***Triggerwarnung***.
Im Tunnel
Ich weiß gerade nicht, wie mir geschieht, es fühlt sich alles so dunkel, trüb und bedrückend an. Es nimmt einem jegliche Hoffnung und Zuversicht auf bessere Zeiten. Man hofft eigentlich, dass der Tag und die Nacht schnell vorüberziehen und man sich gar nicht so direkt damit befassen muss. Das Gedankenkarussell gar nicht erst an Fahrt aufnimmt und diese fiesen „dunklen“ Gedanken aufkommen. Ein jeder kennt diese Gedanken, wenn man an einer psychischen Erkrankung leidet oder in einer Krise steckt. Man verliert jeden einzelnen Hoffnungsschimmer dafür, dass es irgendwann wieder bergauf geht und dass man nicht resigniert, so dass einem alles egal ist, sogar, ob man weiterleben will oder nicht. Ich selber habe in letzter Zeit häufiger diese Gedanken und es macht mich fertig, ich habe einfach Angst davor, wie es weiter gehen soll?
Ich hasse sie und kann auch kaum darüber sprechen, weil diese Gedanken mich im wahrsten Sinne des Wortes erstarren und in eine Ohnmacht fallen lassen. In meiner Vergangenheit habe ich es bereits zweimal versucht, mir das Leben zu nehmen, weil ich es nicht länger ausgehalten habe, diese ständigen Flashbacks und die Aussichtslosigkeit in vielen Situationen meines Lebens. Letztes Mal wurde mir anschließend bewusst, was ich da meinen Mitmenschen angetan haben musste, da diese sich bestimmt sehr viele Sorgen gemacht haben mussten. Im Nachhinein hatte ich ewige Schuldgefühle und mir geschworen, es nie wieder zu tun, weil mir klar wurde, es soll keiner leiden, nur weil ich diese letzte Entscheidung für mich getroffen hatte.
Mittlerweile habe ich totale Angst, wenn diese Gedanken kommen und die damit verbundenen Flashbacks und denke mir dann immer: Warum können die sich nicht einfach wieder dahin verziehen, wo sie herkamen? Es kommt dann manchmal ein Mix aus Wut, Angst und Trauer in mir hoch, was mir tief im Inneren peinlich und unangenehm ist, weil ich mich dafür schäme, überhaupt darüber nachzudenken. Es fühlt sich alles so falsch an! Ständig die Angst davor, dass diese Gedanken die Überhand gewinnen. Es ist ein ständiger Kampf, dafür zu sorgen, diese in Schach zu halten oder in etwas Positives umzuwandeln. In der letzten Zeit komme ich mir vor, wie bei einem Hindernislauf, der nicht enden will, ständig ist da irgendetwas, das sich mir in den Weg stellt.
Es wurde sogar die Therapie ausprobiert, die bei der letzten depressiven Episode so gut gewirkt hat und ich davon unglaublich profitieren konnte, aber dieses Mal scheint selbst diese sich zu weigern, mir einen neuen Pfad zu eröffnen. So langsam komme ich an den Punkt, an dem ich denke, ob das alles noch einen Sinn hat? Ich hänge ständig in einer Spirale der Hoffnungslosigkeit, Trauer, Wut und Frust. Manchmal frage ich mich einfach: Macht das alles noch einen Sinn?
Ich denke dann darüber nach, ob Aufgeben und Weglaufen vielleicht der Frieden ist, den ich mir so ersehne. Irgendwohin, an einen Ort, an dem es mich nicht gibt. Einen Ort, an dem weder meine Sorgen, noch meine Ängste oder Trauer leben. An einen Ort, der sich „Ruhe“ nennt.
Wie komme ich nur raus aus dieser Spirale? Irgendwie muss ich wieder zu mir selbst finden und mein Selbstvertrauen in mich zurückerlangen, ein ziemlich harter und anstrengender Weg den man nur Stück für Stück erreichen kann.
Und das musste ich mir erst mal eingestehen, dass das Leben nicht immer wie im „Bilderbuch“ verläuft! Sondern manchmal ziemlich hartnäckig, steinig und schwerfällig ist.
Dies zeigte mein Körper mir mal wieder auf eine nicht so schöne Art und Weise, er fing an, komplett zu streiken, um mir zu sagen „Nee, lass mich in Ruhe, ich kann und will nicht mehr!“
Plötzlich verlor ich über Nacht die Gabe des eigenständigen Gehens, was für mich natürlich nicht so toll war, dachte nur so, das kann doch nicht wahr sein, was soll der Scheiß? So landete ich für einige Tage im Rollstuhl und musste mich von dort über den Rollator wieder zum normalen „Gehen“ hoch kämpfen.
Licht am Ende des Tunnels
So hieß es für mich die letzten Tage zu versuchen, mich wieder mehr auf mich zu fokussieren und meine erlernten Skills einzusetzen, z. B. Achtsamkeitsübungen, um meine Sinne wieder zu aktivieren durch körperliche Aktivität und Barfußbaden (barfuß spazieren gehen über verschiedene Untergründe).
Dabei habe ich unter anderem herausgefunden, dass es sich anfühlt, als würde man schwebend/tanzend den doch sehr spitzen Steinen ausweichen, wenn man achtsam diese Übung durchführt und dabei sein Gewicht der Füße verlagert. Eine richtig tolle Erfahrung, die ich unbedingt mit meiner Bewegungstherapeutin teilen wollte und es sie auch selbst erspüren ließ. Sie war begeistert und meinte, dass ist der Wahnsinn – wie bei Elefanten, die tun das Gleiche wie wir gerade!
Darüber hinaus habe ich auch einen neuen Skill für mich entdeckt. Hier in der näheren Umgebung der Klinik gibt es einen Bach namens „Strunde“. Sie schlängelt sich hier durch die Stadt und an manchen Stellen lädt sie einen ein, sie mit den Füßen zu entdecken! Es kostet vielleicht manchen etwas Überwindung, einfach mal so mitten in der Stadt oder im Park in den Bach zu hüpfen und durchzulaufen, aber es tut wahnsinnig gut und die Anspannung fällt so ab.
Außerdem gibt es hier auch ein Naturschutzgebiet, das sogenannte „Strundetal“. Es beginnt in einem kleinen Wäldchen. Dort ist man meistens eher für sich, und man kann sich in Ruhe mit dem Bach anfreunden, ohne irgendwelche komischen Blicke der Passanten, da die Wanderer oder Spaziergänger, glaube ich, dort daran gewöhnt sind. Sie gehen meistens ihres Weges oder grüßen freundlich. Unter anderem ziehe ich mich auch gerne in den kleinen Wald an der Strunde zurück, um zu meditieren, um mich nur auf die Geräusche der Umgebung/Natur zu fokussieren. Denn dies tut mir total gut. So ich kann für einige Zeit meine Gedanken verbannen und finde wieder zu mir selbst.
Es gibt auch noch einen besonderen Ort hier, denn ich gerne aufsuche um innere Ruhe zu finden, um mich auf mich selbst zu fokussieren. Es ist der nahe am Krankenhaus liegende Friedhof, umgeben von Bäumen. Hört sich bestimmt für manch einen komisch an? Aber dort herrscht eine ganz besondere Atmosphäre, angenehme Stille und Ruhe wie auch Friedlichkeit, die einen dazu einlädt, sich zu fallen zu lassen, um zu entspannen und einfach nur den Umgebungsklängen zu lauschen. Ich habe dort schon so manch besondere Begegnungen erleben dürfen, z. B. bin ich dort letzten Herbst meinen heutigen Freunden begegnet: den fleißigen Eichhörnchen, die verblüffend nah an mich heran kamen, um zu gucken, wer da sitzt – und das nicht nur einmal.
Es gibt dort eine Bank mit einem Baum mit breitem Wurzelwerk daneben, der sich als natürlicher Sessel anbietet, worin ich gerne Platz nehme und die Seele baumeln lasse. Und dabei das Treiben der dort unterschiedlichen lebenden Bewohner beobachte und deren Lauten lausche, z. B. verschiedene Vogelarten, Schmetterlinge, Libellen und natürlich die fleißigen Eichhörnchen, wenn man Glück hat!
So vergingen die Tage und ich merkte, wie es mir wieder Stück für Stück besser ging, ich mich wieder besser auf mich fokussieren konnte. So war es dann auch möglich, verschiedene Erprobungen zu Hause zu machen, einmal über Tag und einmal für eine Nacht, um mich wieder daran zu gewöhnen. Dies hat zu meiner Verwunderung super geklappt und ich kann stolz auf mich sein, nach der langen Zeit endlich wieder eigenständig mit Selbstvertrauen meinen Alltag alleine zu meistern!
Wobei ich nicht ganz „alleine“ bin. Mein Hilfsnetzwerk steht mir immer mit Rat und Tat zur Seite und das hilft mir, nicht aufzugeben und der Depression die Stirn zu bieten und mich nicht unterkriegen zu lassen!!!
Beitrag und Illustrationen von Jean Mertznich
Weitere Xblog-Artikel von Jean zum Thema „Anspannung/Entspannung“ findet ihr hier: »Ich unter Anspannung« vom 21.06.2022 »Meine kleinen Helfer in der Not« vom 30.05.2023 |
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Ein sehr schöner, mutiger und einfühlsamer Artikel. Naturverbundenheit hilft!
Vielen Dank, und ja es stimmt ☺️!
Liebe Jean, danke, dass du deine Erfahrungen mit uns teilst. Es sind Gedanken, die viele von uns haben dürften; ich zumindest kenne auch das ganz finstere Tal, in das kein Licht mehr zu fallen scheint.
Ich freue mich, dass es dir wieder etwas besser geht und ich freue mich, dass du einen Rückzugsort, den Friedhof, gefunden hast. Es klingt auf den ersten Blick etwas makaber, aber ich bin auch sehr gerne auf Friedhöfen. Sie haben tatsächlich etwas „Friedliches“ und sie sind grüne Räume, Naturräume.
Alles Gute für dich.
Vielen Dank, ja es stimmt klingt makaber aber es wirklich sehr schön dort☺️. Und wie man sieht bin ich da nicht alleine mit meiner Meinung!