Alt werden mit einer psychischen Erkrankung ist nicht gerade einfach – dass das so ist, erzählt uns Cornelia Schmitz (AlexOffice). Aus eigener Sicht, mit Ideen, wie wir unser Alter dennoch nutzen können und uns das Leben trotz oder gerade deswegen schön machen können.
Denn graue Haare und Zipperlein stellen noch lange kein Hindernis dar, das Leben zu genießen…


 

Alt werden mit einer psychischen Erkrankung

In jungen Jahren habe ich mir immer vorgestellt, dass ich mein „Problem“ – die bipolare Störung – im Laufe des Lebens schon irgendwie lösen würde. Mit zunehmendem Alter, so dachte ich, würde sich mein Gefühlszustand ausgeglichen haben oder ich hätte gelernt, damit zu leben. Oder es gäbe mich nicht mehr. Jedenfalls habe ich keinen Gedanken an die Bipolarität in späteren Jahren verschwendet; im Grunde habe ich gar nicht ans Alt werden gedacht, schon allein, weil ich durch die Erkrankung gelernt habe, vor allem den Augenblick wahrzunehmen.

Es ist da, das Alter!

Doch nun ist es da, das Alter. Die Erkrankung ist auch immer noch da.

Und wie verhält es sich nun mit dem „manisch-depressiven Irresein“ wie man die Störung früher (nicht abwertend gemeint) nannte? Wie verhält es sich mit der Schizophrenie, der zweiten „klassischen“ Wahnerkrankung?

Ich beziehe mich mit dem folgenden Text nur auf diese beiden Formen einer psychischen Erkrankung; es ist mir selbstverständlich bewusst, dass es viele andere seelische Störungen gibt, es ist mir auch bewusst, dass in der Gerontopsychiatrie altersspezifische Störungsbilder neu auftauchen können, wie Depression oder Demenz, doch darum soll es hier nicht gehen.

Chroniker mit grauen Haaren und Zipperlein

Vielmehr untersuche ich im Folgenden, wie es um die „Chroniker“ (schlimmes Wort) bestellt ist –, wenn die grauen Haare und die Zipperlein da sind. Die bipolare Störung und die Schizophrenie sind insofern vergleichbar, als man durchaus eine körperliche Ursache zugrunde legen kann. Eine Störung im Neurotransmitterhaushalt nämlich, vergleichbar der Parkinson Erkrankung (die im Verlauf der Erkrankung mit einem Dopaminmangel einhergeht). Zugleich sind diese beiden og. Krankheitsbilder vergleichbar, was das Stigma, das Schweigen, die Isolation angeht.

Da ist schon ein zentrales Problem im höheren Lebensalter: die Isolation.

Die kann sich deutlich mit höheren Lebensjahren verstärken, da viele Erkrankte keine Kinder, keine eigene Familie, keine Partner und vielleicht auch zu wenig oder gar keine Freunde haben. Die Herkunftsfamilie fällt weg, die Eltern versterben, die Geschwister haben keinen Kontakt usw.

Dann bleiben oft nur noch staatliche Stellen. In der Stadt gibt es Anlaufstellen wie die Sozialpsychiatrischen Zentren oder andere Hilfsangebote, gut, dass es sie gibt, doch diesen Angeboten ist gemein, dass man immer „nur“ auf seinesgleichen trifft. Viele „Betroffene“ (noch so ein schlimmes Wort) wünschen sich allerdings Normalität, ein bürgerliches Leben, bürgerliche Freunde.

Medikamente, Nebenwirkungen und viele andere Faktoren

Psychisch Kranke sterben früher, so heißt es. Und zwar viel früher. Im Schnitt rechnet man 15 Lebensjahre weniger, ich beziehe mich wieder auf eine Wahnerkrankung. Eine beängstigende Zahl. Wie kommt sie zustande und kann man gegensteuern?

Eine Rolle spielen die Medikamente, bzw. deren Nebenwirkungen. Ein gesteigerter Appetit, dazu Antriebslosigkeit. Diese Klasse von Wirkstoffen können- müssen aber nicht – das sogenannte metabolische Syndrom auslösen, mit erhöhten Blutfettwerten und Übergewicht. Das kann Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes begünstigen. Klingt ziemlich fies, nicht?  Man weiß aber nicht so ganz genau, ob es an den Pillen liegt, und/oder/auch am Lebensstil der wahnerkrankten Menschen.

Denn wenn Perspektivlosigkeit, Armut, Antrieblosigkeit, Mangel an Beschäftigung, Mangel an Freundschaften und Beziehungen zusammentreffen – tja, dann hat man keinen Bock mehr. Kauft sich Zigaretten. Oder Alkohol. Vernachlässigt sich und sein Äußeres. Greift erst recht zu Süßem. Und so fort.

Eine schlimme Spirale. Doch man kann aussteigen.

Zunächst einmal kommen Faktoren wie Arbeit, soziale Beziehungen und eine eigene Wohnung ins Spiel. Wir, die wir in einer Werkstatt arbeiten, haben diesbezüglich schon mal Vorteile. Viele Kollegen verabreden sich, machen was zusammen, haben Kontakte, haben Gesprächsthemen. Sie haben auch soziale Betreuung, leben in der eigenen Wohnung, vielleicht mit einem BeWo Betreuer. Sie verfügen neuerdings über ein 49€ Ticket, können verreisen, und etliche meiner Kollegen tun das auch.

Motivation ist ein Stichwort.

Wer keine Lust auf nichts hat, der geht nicht schwimmen oder walken. Hier könnte ein Hund helfen – es ist erwiesen, dass es (alten) Menschen mit Haustieren besser geht, ob psychisch krank oder nicht.

Geselligkeit könnte helfen. Unsereiner hat Anspruch auf Rehasport und/ oder Ergotherapie. Hier hat man – neben Sport oder künstlerischer Tätigkeit – wieder die Möglichkeit, Kontakte zu knüpfen.

Ganz wichtig auch: wer einigermaßen noch an Bord ist, wer noch mitmacht im Rennen der „Normalos“, der achtet auf seine Optik. Bei manchen psychisch kranken Menschen denkt man, sie hätten sich auch optisch aufgegeben, sie achteten nicht mehr auf den äußeren Eindruck. Das ist aber wichtig, wenn man wieder unter Leute will.

Immer vorausgesetzt, man kann sich zu etwas aufraffen, gibt es eine tolle Sache, um Anschluss zu finden: Man kann (in der Rente, aber auch schon vorher) als Ehrenamtler in Schulen gehen und dort von sich und den Erfahrungen mit der Erkrankung berichten. Ich glaube, die sozialpsychiatrischen Zentren sind hier Ansprechpartner. Ich habe mir das vorgemerkt, für meine Zeit in der Altersrente.

Stichwort Ehrenamt

Das betrifft alle alten Menschen, nicht nur die mit einer Erkrankung. Denn auch die bisher nicht erkrankten Menschen haben im Alter plötzlich mit „unseren“ Erscheinungen zu kämpfen: die Kinder sind aus dem Haus, die Beziehung bröckelt, erste Freunde versterben, und so fort. Da ist die Depression nicht weit.

Ehrenamt also. Eine schöne Sache ist es, Lesepate, Lesepatin zu werden, also Kindern beim Lesenlernen zu helfen. Oder man hilft im Tierheim. Oder man wird Peer-Berater. Und so weiter, die Möglichkeiten sind vielfältig.

Etwas neues lernen, ein Hobby zulegen – gerade im Alter!

Oder man legt sich ein Hobby zu, auch eine Aufgabe für ALLE alten Menschen, die plötzlich viel Zeit haben. Da gibt es die VHS, es gibt auch die Möglichkeit, sich in der Stadtbibliothek ein Musikinstrument auszuleihen. Mit dem „Nabu“ kann man Vögel beobachten. Oder man geht in eine Senioreneinrichtung und lernt Skat. Oder verabredet sich zum Boulespielen. Eine wirklich gute Sache für alle Senioren ist das Tanzen, das Paartanzen. Eine ideale Möglichkeit in jeder Hinsicht: Man macht Sport, man lernt Leute kennen, es macht Spaß.

Und wieder ein Grund, auf die Optik zu achten. (Ich betone die Sache mit der Optik, weil es a) für einen selbst angenehm ist, zu duschen oder zu baden, im Wasser zu sein, sich zu pflegen. Nicht umsonst bieten teure Hotels Wellness an. Je besser es mir geht, desto mehr mache ich mir meine „Wellnesstage“ – ich creme mich, lege Masken auf, usw. Geht es mir schlecht, bin ich dagegen lieblos mit meinem Körper. Und b) kommt man natürlich leichter ins Gespräch mit anderen Leuten, sie weichen einem nicht aus.)

Geldmangel ist oft ein Problem für unsereinen und es wäre schön, wenn der Staat hier ein bisschen gegensteuern würde. Ich habe allerdings bis hierhin fast nur Dinge erwähnt, die kein Geld kosten.

Vorsorge heißt das Zauberwort

Was ebenfalls ALLE alten Menschen betrifft: die Vorsorge.

Der Verstand lässt nach und man schafft auf einmal Dinge nicht mehr, die früher selbstverständlich waren. Früh genug sollte man Dinge regeln wie Vorsorgevollmacht, Patientenverfügung (z.B. auch eine psychiatrische Patientenverfügung). Wie will ich (behindertengerecht) wohnen im Alter, kann ich einen Pflegegrad beantragen? Mit einer bipolaren Störung hat man automatisch einen Pflegegrad von zwei – das dürfte bei der Schizophrenie ähnlich sein.

Und wie ist das nun?

Wie ist denn nun mein Alter mit der psychischen Erkrankung? Well, einiges geht schlechter als bei den Nicht-Erkrankten – ich fühle mich älter und gebrechlicher, als ich bin -, einiges sogar besser: Klingt blöd, aber ich bin ein Leben mit Depressionen gewöhnt (ein Vorteil gegenüber alten Menschen, die zum ersten Mal damit in Berührung kommen). Ebenso bin ich darauf trainiert, mich um mich selbst zu kümmern, Stichwort Ehrenamt und Vorsorge.

Trotzdem sind die Depressionen schlimm, auch die Angst vor einer erneuten Manie. Ich weiß nicht, was ich mache, wenn noch eine ernsthafte körperliche Erkrankung dazu kommt.

Kurz, ich bin therapiert, ich hab das Rauchen drangegeben, ich mache Sport, ich lebe in einer eigenen Wohnung. Ich konnte immer „bürgerlich“ leben, das war für mich wichtig. Die Erkrankung hat mein Leben nicht zerschossen.

Ich kenne mich aus, sehr gut sogar, ich bin auch auf Stand bei den neuesten Medikamenten – im Moment experimentiert die Medizin mit Drogen wie Ketamin und Pilzen. Vielleicht gibt es irgendwann einmal DEN medizinischen Durchbruch; es gibt immer Hoffnung auf Linderung der Depression, der Lethargie. Ich weiß auch – ein Vorteil des Alters -, dass JEDE Depression irgendwann einmal aufhört.

Es geht mir also gar nicht schlecht. Trotzdem.

Ein Letztes bleibt mir noch zu sagen. Wenn ich einmal wirklich keine Lust und keine Kraft mehr habe für den Lebenskampf, dann wünsche ich mir einen gnädigen, selbstbestimmten Tod und die ärztlichen Mittel dazu, auch und GERADE bei einer psychischen Erkrankung. Mein Leben war selbstbestimmt, mein Tod soll es auch sein. Ich möchte nicht langsam vor mich hinsterben, wie man es bei sehr alten Menschen im Pflegeheim sieht.

Für mich und mein bisheriges Leben war die Freiheit immer sehr wichtig, die Wahlfreiheit. Ich gehe davon aus, dass das mit dem zunehmenden Alter so bleibt.

Cornelia Schmitz

Fotoausschnitt von RepentAnd SeekChristJesus auf Unsplash


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