In der Reihe »Berühmte Persönlichkeiten mit psychischer Erkrankung« stellt das Social Media Team des AlexOffice einige betroffene Menschen vor, die in der Öffentlichkeit stehen bzw. standen. In einzelnen Beiträgen erfahrt ihr, wie die jeweiligen Persönlichkeiten selbst und wie die Gesellschaft mit dieser Art von Erkrankung umgehen.
Lest hier den Artikel zu Anton Bruckner.
»Berühmte Persönlichkeiten mit psychischer Erkrankung« – Anton Bruckner
Anton Bruckner, Genie und Idiot?
Scheiden sich an Bruckner die sprichwörtlichen Geister? Viele Jahre wurde ihm von der Wiener Musikkritik heftig zugesetzt, da Grabenkämpfern zwischen Anhängern Johannes Brahms‘ und Richard Wagners tobten, Bruckner sich auf uns heute merkwürdig erscheinende, sehr unterordnende Weise zu Wagner bekannte. Doch in der Weite seiner Komposition bietet der lange Zeit Verkannte Anklänge an Beethoven, Schumann – und Vorausdeutungen auf Gustav Mahler, schuf feingliedrig durchwirkte und mit großem Orchester besetzte Klanggebilde.
Hier zwei meiner persönlichen Favoriten zum Hineinfinden und mehrmaligen -hören:
- Bruckners 4. Symphonie (Youtube)
Anton Bruckner – Sinfonie Nr. 4 Es-Dur „Die Romantische“ | Marek Janowski | WDR Sinfonieorchester - Bruckners Te deum (Youtube)
Anton Bruckner – WAB 45 | Herbert von Karajan | Berliner Philharmoniker | Anna Tomowa-Sintow, Agnes Baltsa, Peter Schreier, José Van Dam | Vienna Singverein
Ihr Eindruck verdichtet sich m. E. beim Wiedererleben und schafft synästhetische Assoziationen von erschütternder Tiefe, beispielsweise im Te deum durch das „pleni sunt caeli et terra“ den vom Thron göttlicher Majestät in die Menge Erwählter mit wehendem Mantel schreitenden Weltenrichter.
Vielleicht können wir so mit Richard Wetzens Brief aus dem Februar 1913 bekennen: „Über Bruckner kann ich gar nicht mehr reden, weil mir jedes Wort fehlt, um zu sagen, für wie groß und erhaben ich diese Kunst halte.“
Doch nicht die Genialität Bruckners sei hier fokussiert, sondern sein von viel Einsamkeit, Angst und sozialer Auffälligkeit umspielter Lebenswandel. Der gläubige Katholik mit gewisser Furchtsamkeit vor Verarmung, abwiegelnd tapsiger Bescheidenheit und mangelnder Selbstgewissheit des ihm gewordenen und ausgebildeten Talentes gab vor allem in der zweiten Lebenshälfte mit zu groß geschnittenen Anzügen, gewisser Unbeholfenheit, der sozialen Blindheit in fein zu nuancierenden Liebesdingen (seine Heiratsanträge für weit jüngere Damen erfolgten schriftlich und recht oft überraschend für diese, weshalb er zeitlebens keine Partnerin fand), eine zu Spott und Erheiterung reizende Erscheinung, ein Wiener Original, ab. Heute könnten wir ihn wohl dem Asperger-Autismus zurechnen.
Hans von Bülow nannte den menschlich Gescheiterten, sich in die Kunst Zurückziehenden einmal: „Halb Genie, halb Trottel“. Wer kann ermessen, dass und wieviel dieser charakterlich aufrichtige, sensitive und fleißige Mensch an seiner sozial-körperlichen Ungenügendheit gelitten hat? Lassen wir uns nicht durch vorschnelles Urteil zur Ablehnung leiten.
Eine Beitragsreihe des AlexOffice Social Media Teams
Text und Grafik: L.S.
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