In seinem Artikel »Der „Fall” Howard Phillips Lovecraft« stellt J. T. (AlexOffice) den Schriftsteller und „Meister des Grauens“ Howard Phillips Lovecraft vor, der neben Edgar Allan Poe einer der Begründer des modernen Horrors war.


 

Howard Phillips Lovecraft – Meister des Grauens

Neben Edgar Allan Poe gilt Howard Phillips Lovecraft uns heute als Begründer des modernen Horrors. Während Poe doch mehr durch seine psychologisch ausgefeilten „Gothic Novels“ bestach und zwar auch groteske aber weniger überwältigende Vorstellungskraft in sein literarisches Werk einfließen ließ, war H. P. Lovecraft (1890 – 1937) wohl unbestreitbar sowohl Meister als auch Begründer der „Dark Fantasy“, ehe uns dieser Begriff überhaupt ins Bewusstsein drang.

In seinen Erzählungen Das Grauen von Dunwich, Die Farbe aus dem All, Die Berge des Wahnsinns oder Der Ruf des Cthulhu finden wir es immer wieder: Das Unbeschreibliche, von x Adjektiven grundiert, ausgemalt, und ausgeschmückt – die Urängste der Menschheit, insbesondere aber im Grauen von Dunwich sowie bei Schatten Über Innsmouth  wird die Xenophobie offenbar, für welche Lovecraft eben auch bedauernswerte Bekanntheit erlang.

Lovecraft war ein blasser, schmächtiger, sozial isolierter Mann, chronisch erkrankt seine Psyche – vielleicht oder wahrscheinlich der Urboden seiner Schaffenskraft – der die längste Zeit seines Lebens das Haus (seiner Eltern) nur nachts für lange Spaziergänge verließ. Neben literarischen Texten verfasste er unzählige Briefe, mittels derer er mit einer Reihe von Menschen, manche Freunde darunter, intensiv korrespondierte. Zu erwähnen ist, dass der Autor keinen Hehl aus seinen offenen rassistischen Tendenzen machte.

Portrait von H. P. Lovecraft, aufgenommen in De Land, Florida im Juni 1934 (Fotograf: Lucius B. Truesdell)

H. P. Lovecraft, Juni 1934

Odysseen durch fremde Welten

Wie lebendig diese Geschichten…, ihre Figuren, wie weitreichend die Phantastik…, beweist Lovecrafts Werk, indem er uns noch heute mitnimmt auf seine Odysseen durch fremde Welten, die nicht in fernen Galaxien, sondern in unserer Alltagswelt lauern  s l a s h  aus der uns verborgenen Unterwelt emporsteigen.

Das Necronomicon ist das essenzielle Buch, ein sog. „Grimoire“ (Buch, das magisches Wissen enthält). Laut der Legende gehe es auf einen dem Wahn verfallenen Araber namens Abdul Alhazred zurück. Das Necronomicon ist wiederum Teil des Cthulhu-Mythos, welcher wohl den populärsten Teil von Lovecrafts Gesamtwerks ausmacht.

Die in Lovecrafts Geschichten vorkommenden Charaktere sind überwiegend rationale Wissenschaftler oder zumindest Personen von akademischer Bildung, die sich Phänomenen des Übernatürlichen letztlich hilflos ausgeliefert sehen. Das Übernatürliche bzw. das Phantastische unterhalb, jenseits sowie der natürlichen Umgebung immanent ist machtvoller und komplexer als die jenen gegenüberstehenden Figuren (Pro- wie Antagonisten). Die fremdartigen Kreaturen in Dunwich oder Cthulhu werden als so abscheulich wie einfältig dargestellt.

Lovecrafts Necronomicon

Das Necronomicon („Das verbotene Buch“) ist ein Buch mit vielen Siegeln… Es soll sich bei dessen Inhalt um Wissen über sog. „Mondmagie“ handeln. Übersetzt heißt es Buch der Toten oder Buch der Schwarzen Erde, das von der Rasse der alten Götter und Dämonen erzählt und eine Sammlung ihrer uralten Lehren und Formeln enthält. Alhazred, der aus Jemen gestammt haben soll, verfasste die Schriften in seinen letzten Lebensjahren (wohl in Damaskus) und soll ebenda auch umgebracht worden sein – ob von einem Ungeheuer oder Fanatikern, die es nicht ertragen konnten, dass Alhazred streng gehütete Geheimnisse publik machen wollte. Denn ursprünglich soll Alhazred lediglich Abschriften des heiligen Originals, welches unterhalb der Stadt der Säulen (Imra) gelegen haben soll, erstellt haben.

Gewiss fällt jenes Buch unter Special Interests und soll nur den wahren Liebhabern empfohlen sein, die Zeit und Konzentration aufbringen für solch besondere Lektüre. All jenen, die sich auch für die Kartographie von Mittelerde, die historischen Referenzen der literarischen Vorlage von George R. R. Martin zu Game Of Thrones („Das Lied von Eis und Feuer“) oder die semantischen Besonderheiten im Sprachkosmos der Star-Trek-Völker erwärmen können, wird diese Forschungsreise gewiss lohnenswert…

Besagtes Necronomicon enthält bei weitem nicht alle Texte aus der ursprünglichen Überlieferung. Es gibt eine schmucke Reihe von Editionen, die Lovecrafts Necronomicon zum Inhalt haben, das Original von Alhazred / Gregor A. Gregorius (eigentlich Eugen Grosche, ein Berliner Buchhändler und Verfasser okkulter Texte) aber sei den Hardlinern ans Herz gelegt.

Biographische Einflüsse?

Lovecrafts frühe Geschichten, ob Short Stories oder Fortsetzungsromane, wurden in Weird Tales (einem Pulp-Magazin für Science-Fiction-, Fantasy- und Schauerliteratur-Liebhaber) abgedruckt. Lovecraft verfügte über eine umfangreiche Hausbibliothek und war hochgebildet, eine bürgerliche Karriere blieb ihm aber verwehrt. Dieser Umstand zehrte wohl arg an seinem Selbstwertgefühl – möglicherweise ein wesentlicher Grund seiner Zurückgezogenheit?

Solche Fragen sollten eher die Biographen adressieren, doch gibt es wahrlich zahlreiche Deutungs- und Erklärungsversuche (wie bei der gewiss nicht minder komplexen und rätselhaften Literatur Poes, Baudelaires oder Kafkas) der Persönlichkeit und seiner entsprechend geheimnisvollen Texte. Sein Elternhaus in Providence, Rhode Island ist heute kein Museum, sondern wurde bereits in den 1960ern abgerissen. Schon als 3jähriger – bereits früh mehrfach chronisch erkrankt – begann Lovecraft zu lesen. Von seiner Mutter überbehütet, wuchs er ohne das für eine gesunde Persönlichkeitsentwicklung so wichtige Spiel  mit Gleichaltrigen auf und flüchtete sich in die hinterlassenen Bücher seines früh verstorbenen Vaters. Die fehlende oder problematische Vaterfigur führt nicht selten zu Komplikationen in der Persönlichkeitsentwicklung. Lovecraft litt an Poikilothermie – der Eigenschaft des Körpers, die Innen- an die Außentemperatur anzugleichen – womöglich ein entscheidender Faktor seines Einsiedler-Daseins.

„Verzweiflung“ – ein Gedicht des jungen H. P. Lovecraft

Eines der frühen Gedichte Lovecrafts trägt den Titel Despair (dt.: „Verzweiflung“). In einer der Strophen heißt es:

„Doch der Strom der Zeit, der schnelle fließt,
birgt die Gefahr unzureichenden Wissens ­–
verschwommen hastend, blind voran,
hinter nie betretener Aue;
und der mürrische Reisende
sieht die bösen Todesfeuer glänzen,
hört des bösen Vogels Wehmut,
während er hilflos treibt ins Meer.“

Die Wirkung der Texte Lovecrafts – gestern und heute

Lovecrafts Sorgfalt und Angst vor jeglichem Ungewissen spiegeln seine Texte hervorragend wider – seine geradezu zwanghafte Akribie und die sein Denken beherrschende Furcht vor Fremdartigkeit drohen an manchen Stellen die Beschreibung des Schrecklichen ins Komische zu verkehren.

Es verbietet sich natürlich, sich mit Mitteln der „Küchenpsychologie“ zu weit hinaus zu wagen, doch manche textimmanente Merkmale treten offen zutage und wirken in ihrer Häufigkeit charakteristisch für ihren Verfasser und lassen Rückschlüsse auf das Wesen des Autors zu. Lovecraft wurde nur 46 Jahre alt. Das Defizit des ungelebten Lebens hatte er wohl durch sein literarisches Schaffen auszugleichen versucht. Wenn man die Bedeutung, die seinem Gesamtwerk bis in die Gegenwart und wohl darüber hinaus zukommt, bedenkt, so hat sich dieses Bemühen offensichtlich ausgezahlt.

In seinem Essay über Lovecrafts Literatur schrieb Michel Houellebecq als Verehrer: „Wenn sich die morbiden Nebelschwaden der kraftlosen Avantgarde erst einmal verzogen haben, wird das 20. Jahrhundert vielleicht als das Goldene Zeitalter der epischen und fantastischen Literatur erscheinen.“

Ob die Avantgarde wirklich so kraftlos ist und nicht doch bedeutende Künstler der Gegenwart entscheidend beflügelt hat, müssen wir nicht tiefergehend beleuchten, um festzuhalten, dass den Texten Lovecrafts wegweisender Charakter zugeschrieben werden muss, da von ihm alle Autoren phantastischer Literatur (Stephen King, Clive Barker, Brian Lumley, Thomas Ligotti, George R. R. Martin) und Filmemacher des Fantasy- wie Horrorgenres (Jack Arnold, David Cronenberg, Sam Raimi, Dan Gildark u. v. m.) weitreichend zehr(t)en.

„Arkham“ – Schauplatz des Schreckens

Die Stadt (nach Vorbild der Städte Neuenglands – „Arkham“!) in Lovecrafts Welt nimmt überhaupt eine zentrale Bedeutung ein… Im 19. Jahrhundert stand die Stadt der Anthropologie als Inbegriff der Zivilisation, nach der Entwicklung aus   der Barbarei… Für Lovecraft aber war es insbesondere die Stadt in der Tradition Neuenglands. Die Tatsache, dass der Literat seine Heimatstadt – bis auf einen kurzen Aufenthalt in New York City – nie verließ, grundiert seinen Status als xenophoben Sonderling. In „Schatten über Innsmouth“ ist es eine merkwürdige Seuche, welche vom Meer ausgehend über den Hafen in die Stadt eindringt. Das Meer steht nicht selten metaphorisch für das Ungewisse, natürlich auch als Sehnsuchtsort, doch eben auch als nicht zu bewältigendes Phänomen, welches Urängste weckt. Vom Meer her kamen auch die Zuwanderer, die die Vorherrschaft der Angloamerikaner zumindest gefährdeten.

Für die fiktive Stadt „Arkham“ steht heute unbestritten Salem Pate, eine Stadt, die für die Hexenverbrennung grausige Bekanntheit erlangte und in Stephen Kings Roman „Salem’s Lot“ (dt.: „Brennen Muss Salem“) wiederum Schauplatz des Schreckens wurde.

Versinnbildlichte Ängste

Seit ca. 1917 brachte Lovecraft seine finsteren Visionen aus Albträumen auf Papier. In ihnen werden sinnbildlich viele seiner persönlichen und sozialen Ängste offenbar. – H. P. Lovecraft gehörte der Immigration Restriction League an, deren Anhängern der Amerikanismus als ein natürlicher Fortsatz des Angelsachsentums galt.

Der Feuilleton-Redakteur der „Welt“ Wieland Freund schloss in einer kompakten Betrachtung zu Autor und Werk, Lovecrafts Werk sei in seinen besten Teilen gewaltig, Lovecraft, der Mensch dagegen ein lehrreicher Idiot.

Es bleibt euch überlassen, ob und falls, wie ihr euch auf die Welt Lovecrafts einlasst. Es wäre jedoch bedauerlich, wenn der eigentliche Beweggrund lediglich darin bestünde, Motive des Fremdenhasses und der häufig im Zusammenhang mit den Texten Lovecrafts erwähnten Rassenneurose aus und zwischen den Zeilen herauszufiltern.

„Lovecraft Country”

Die in Lovecrafts Erzählungen häufig zu findende „Miskatonic Region“ / das „Lovecraft Country” gibt die Landschaft und Architektur Massachusetts wieder, eine Gegend, die wirklichkeitsgetreu mit den Vorbildern realer Städte Neuenglands übereinstimmen. Neben Arkham gilt dies auch für Innsmouth, Dunwich und Kingsport. Im Gegensatz zu den anderen Lovecraftschen Städten entwickelt sich Arkham im Laufe des erzählerischen Werks und bildet eine lebendige Stadt ab, die vielen äußeren (prägenden) Einflüssen nachgibt und zu einem interessanten Ort wird.

Der Ort Salem musste auch für einige Romantiker der US-Literatur – mitunter Nathaniel Hawthorne („The Scarlet Letter“ – dt.: „Der scharlachrote Buchstabe“) sinnbildlich als Spiegel der dunklen Seite der Vereinigten Staaten herhalten – nicht zuletzt durch seine Hexenprozesse begründet. Eine Besonderheit, die vom realen Arkham (= Salem) abweicht, ist die Miskatonic University, welche in ihrer Bibliothek das originale Necronomicon beherbergt. Außerdem werden in diesem ominösen Arkham wiederkehrend die Gesetze von Raum und Zeit aufgehoben.

Verlieren wir uns aber nicht vorauseilend in Textzerlegungen und nehmen damit den Geschichten Lovecrafts vollends ihren Zauber und empfehlen wir sie jeder und jedem, der/die offen ist für etwas außergewöhnliche Literatur. Für die Zeit des Jahres, die reich ist an finsteren Tagen und längeren Nächten empfiehlt sich diese Art gehaltvoller, atmosphärisch düsterer Literatur unbedingt.

Nachfolgend eine Auswahl an Erzählungen, die sich für Einsteiger*innen empfiehlt:

Dagon (1917)
Nyalarthotep (1920)
Stadt Ohne Namen (The Nameless City, 1921)
Herbert West – der Wiedererwecker (Herbert West – Re-Animator, 1921/22)
Das Grauen In Red Hook (Horror In Red Hook, 1925)
Cthulhus Ruf (Call Of Cthulhu, 1926)
Der Fall Charles-Dexter Ward (The Case Of Charles-Dexter Ward, 1927)
Pickmans Modell (Pickman´s Model, 1926)
Die Farbe Aus Dem All (The Colour Out Of Space, 1927)
Das Grauen Von Dunwich (Dunwich-Horror, 1928)
Der Flüsterer Im Dunkeln (Whisperer In Darkness, 1930)
Berge Des Wahnsinns (At The Mountains Of Madness, 1931)
Schatten Über Innsmouth (Shadow Over Innsmouth, 1931)
Die Ratten Im Gemäuer (The Rats In The Walls, 1923)
Das Ding Auf Der Schwelle (The Thing On The Doorstep, 1933)
Der Schatten Aus Der Zeit (Shadow Out Of Time, 1934/35)

Ein Beitrag von J. T.

Headergrafik: Werner Otto von Boehlen-Schneider


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