Wer die Dichterin Sylvia Plath bisher nicht kannte, wird sie durch den ausführlich recherchierten Beitrag »Gebrochene Glasglocke« von J. T. aus dem AlexOffice kennenlernen. Ihr Leben und Werk beschreiben eine sensible Frau mit unterschiedlichen Facetten, die mit Depressionen kämpfte, was in ihrer schriftstellerischen Arbeit zum Ausdruck kommt. Die Bilder zum Beitrag hat wieder Tim-André Elstner (AlexOffice) gestaltet.


 

»Gebrochene Glasglocke« – Über die Dichterin Sylvia Plath

 

…once upon a lifetime…

Die Lyrikerin Sylvia Plath, 1932 in der Nähe Bostons in Massachusetts geboren, war eine bemerkenswerte Persönlichkeit. Vielen bekannt als Verfasserin abgründiger, schwerblütiger Lyrik, insbesondere vor dem Hintergrund ihres tragischen Endes: Sie beging nach der Trennung von Ihrem Ex-Gatten, dem Dichter Ted Hughes, Selbstmord.

Wenigen ist bewusst, wie lebhaft und aufgeweckt sie doch auch war.

Sylvia Plath wuchs in Jamaica Plain, einem Teil Bostons, in eher einfachen Verhältnissen auf, wenngleich ihre Eltern beide Akademiker waren.

Ihr Vater Otto Plath war Professor für Entomologie (Insektenkunde). Obwohl er meist in Abwesenheit glänzte, war er sehr erpicht darauf, dass seine Sylvia eine ausgezeichnete Erziehung genoss und ihr alle Liebe zukam, derer das Haus Plath fähig war. Sylvia war etwas Besonderes – das Nesthäkchen – und entwickelte früh ihren Eigensinn und Individualismus.

Rein optisch kam die junge Sylvia der Mutter Aurelia sehr nah: hervortretende Wangenknochen, großflächige Züge und ein freundlicher wacher Ausdruck.
Vom Papa hatte sie den schlanken schmalen Knochenbau, den geröteten Teint und diesen durchdringenden Blick.

Sylvia, ein aufgewecktes Kind, hatte eine blühende Phantasie und erfand gern Geschichten (was sie sich womöglich von Mama Aurelia abschaute).

Die Abwesenheit und der frühe Tod des Vaters mochte ihr späteres Aufopfern um die Gunst, die Aufmerksamkeit und Liebe ihrer männlichen Bekanntschaften, insbesondere ihres späteren Gatten, Ted Hughes, begründet haben…

Der Vater Otto war im polnischen Grabow geboren. Seine Eltern waren deutscher Herkunft. Als die Eltern, die ebenfalls in Polen lebten, nach Amerika auswanderten, nahmen sie ihren intelligenten Enkel mit nach Watertown, Wisconsin. Sylvias Vater sprach früh fließend Polnisch, Deutsch und Französisch und lernte bald Englisch in New York, wo er in einem Lebensmittel- und Schnapsladen arbeitete. Otto war gut im Land herumgekommen – von 1912 bis 1914 unterrichtete er Deutsch an der University Of California. Seinen Hochschulabschluss machte er an der University Of Washington und zog dann ostwärts, arbeitete als Lehrer für Neuere Sprachen am M.I.T. (Massachusetts Institute Of Technology), dann um 1920/21 als Assistent für Zoologie, machte dann seinen Abschluss in Entomologie in Harvard.

Auch Tochter Sylvia zeigte später die Willenskraft und das Durchhaltevermögen ihres Daddys.

Neben der Arbeit an seiner Promotion in Harvard war er weiterhin Lehrer in der Gegend um Boston. An der Boston University dozierte er in Deutsch und Biologie. Im Jahr 1918 erhielt Otto Plath seinen Dr. rer. Nat. in Entomologie und eine Festanstellung als Dozent.

Aurelia (geb. Schober) war ein Kind österreichischer Einwanderer. Die Schobers arbeiteten hart, kamen jedoch nie zu viel Geld. Als Aurelia in die Grundschule kam, sprach sie nur Deutsch und wurde so zum Gespött ihrer Mitschüler*innen. Zuhause erwartete sie ein strenges Elternhaus: Wenn sie etwa umgangssprachliche Ausdrücke wie „shut up“ gebrauchte, wurde sie umgehend hart gerügt. Sylvias Mutter lernte den zu jener Zeit verheirateten Otto Plath zunächst als ihren Lehrer an der John Hopkins University kennen. Aurelia, die streng katholisch erzogen wurde, brach an der Uni mit der Kirche. Und als sie Otto kennenlernte, war sie praktizierende Methodistin. Beide interessierten sich für Sprache und Naturwissenschaften. Da gab es wohl genügend Gesprächsstoff, wenn sie gemeinsam im Blue Hills Reservat oder im Fells Reservat spazieren gingen…

…die Gedichte…

Um nun schonmal einen Blick auf ihr eigentliches Tun zu werfen: ihre Gedichte. Ein charakteristisches Merkmal ist (ihrem damaligen Gatten Ted Hughes nicht unähnlich) der elaborierte Symbolismus und die bittere Ironie/ der beißende Sarkasmus, mittels derer sie unerfreuliche Ereignisse in ihrem Leben kommentierte/ankündigte. So in „Tulips“ etwa:

Tulips

The tulips are too excitable, it is winter here.
Look how white everything is, how quiet, how snowed-in.
I am learning peacefulness, lying by myself quietly
As the light lies on these white walls, this bed, these hands.
I am nobody; I have nothing to do with explosions.
I have given my name and my day-clothes up to the nurses
And my history to the anesthetist and my body to surgeons.

They have propped my head between the pillow and the sheet-cuff
Like an eye between two white lids that will not shut.
Stupid pupil, it has to take everything in.
The nurses pass and pass, they are no trouble,
They pass the way gulls pass inland in their white caps,
Doing things with their hands, one just the same as another,
So it is impossible to tell how many there are.

My body is a pebble to them, they tend it as water
Tends to the pebbles it must run over, smoothing them gently.
They bring me numbness in their bright needles, they bring me sleep.
Now I have lost myself I am sick of baggage ——
My patent leather overnight case like a black pillbox,
My husband and child smiling out of the family photo;
Their smiles catch onto my skin, little smiling hooks.

I have let things slip, a thirty-year-old cargo boat
stubbornly hanging on to my name and address.
They have swabbed me clear of my loving associations.
Scared and bare on the green plastic-pillowed trolley
I watched my teaset, my bureaus of linen, my books
Sink out of sight, and the water went over my head.
I am a nun now, I have never been so pure.

I didn’t want any flowers, I only wanted
To lie with my hands turned up and be utterly empty.
How free it is, you have no idea how free ——
The peacefulness is so big it dazes you,
And it asks nothing, a name tag, a few trinkets.
It is what the dead close on, finally; I imagine them
Shutting their mouths on it, like a Communion tablet.

The tulips are too red in the first place, they hurt me.
Even through the gift paper I could hear them breathe
Lightly, through their white swaddlings, like an awful baby.
Their redness talks to my wound, it corresponds.
They are subtle : they seem to float, though they weigh me down,
Upsetting me with their sudden tongues and their color,
A dozen red lead sinkers round my neck.

Nobody watched me before, now I am watched.
The tulips turn to me, and the window behind me
Where once a day the light slowly widens and slowly thins,
And I see myself, flat, ridiculous, a cut-paper shadow
Between the eye of the sun and the eyes of the tulips,
And I have no face, I have wanted to efface myself.
The vivid tulips eat my oxygen.

Before they came the air was calm enough,
Coming and going, breath by breath, without any fuss.
Then the tulips filled it up like a loud noise.
Now the air snags and eddies round them the way a river.
Snags and eddies round a sunken rust-red engine.
They concentrate my attention, that was happy
Playing and resting without committing itself.

The walls, also, seem to be warming themselves.
The tulips should be behind bars like dangerous animals;
They are opening like the mouth of some great African cat,
And I am aware of my heart: it opens and closes
Its bowl of red blooms out of sheer love of me.
The water I taste is warm and salt, like the sea,
And comes from a country far away as health.

Nachdem der Leser in eine verschneite Landschaft eingeführt wird, in denen von zu leicht erregbaren Tulpen die Rede ist, kommt der harte Einschnitt bzw. wird das Anfangsbild als Metapher für die folgende Szene deutlich:

…ich bin Niemand; ich habe nichts zu tun mit Explosionen, ich habe meinen Namen und meine Tagkleider den Krankenschwestern hergegeben und meine Geschichte dem Anästhesisten und meinen Körper den Chirurgen…“.
Wie so oft bei Plath werden auch hier äußere Bedrohungen des Inneren Friedens beklagt.

Ein unbeschwertes Innenleben war ein ewiger Sehnsuchtsort der Dichterin. Sie strebte ihn Zeit ihres Lebens an, erreichte ihn jedoch nie vollkommen, das belegen ihre Depressionsphasen und der innere Zwang, den Erwartungen ihrer Mutter, ihres Vaters, ihres Gatten zu entsprechen. In diesem Gedicht zeigen sich bereits einige Facetten von Plaths Hypersensibilität und seelischen Abgründen. Selbstzerstörerische Tendenzen offenbart Plath hier ebenso wie ein Misstrauen gegenüber Institutionen, hier konkret: Hospitälern. Intim(st)e Innenansichten finden sich in überall in ihrer Lyrik, nicht ganz unähnlich ihrer engen Freundin und Dichterin Anne Sexton. Einflüsse auf ihren Schreibstil kamen gewiss auch von Sexton wie von ihrem späteren Ex-Gatten Hughes, auch von Theodore Roethke (mit dem sie und Ted in den 1960ern befreundet waren), auch D.H. Lawrence (Autor v. Lady Chatterley) und auch Robert Lowell zählten hierunter. Für einen George Starbucks hatte Plath jedoch nichts weiter als Verachtung übrig, bezeichnete ihn gar als „arg unreifen Imitator“.

Das Gedicht „Tulips“ ist im Grunde eine Fortsetzung zu „A life“:

A life

Touch it: it won’t shrink like an eyeball,
This egg-shaped bailiwick, clear as a tear.
Here’s yesterday, last year ——
Palm-spear and lily distinct as flora in the vast
Windless threadwork of a tapestry.

Flick the glass with your fingernail:
It will ping like a Chinese chime in the slightest air stir
Though nobody in there looks up or bothers to answer.
The inhabitants are light as cork,
Every one of them permanently busy.

At their feet, the sea waves bow in single file.
Never trespassing in bad temper:
Stalling in midair,
Short-reined, pawing like paradeground horses.
Overhead, the clouds sit tasseled and fancy

As Victorian cushions. This family
Of valentine faces might please a collector:
They ring true, like good china.

Elsewhere the landscape is more frank.
The light falls without letup, blindingly.

A woman is dragging her shadow in a circle
About a bald hospital saucer.
It resembles the moon, or a sheet of blank paper
And appears to have suffered a sort of private blitzkrieg.
She lives quietly

With no attachments, like a foetus in a bottle,
The obsolete house, the sea, flattened to a picture
She has one too many dimensions to enter.
Grief and anger, exorcised,
Leave her alone now.

The future is a grey seagull
Tattling in its cat-voice of departure.
Age and terror, like nurses, attend her,
And a drowned man, complaining of the great cold,
Crawls up out of the sea.

„A life“ ist ein gutes Beispiel für Sylvia Plaths eigensinnige Metaphorik in ihren Gedichten. Diese zu entschlüsseln und zu übersetzen, bedeutet ein bisschen mehr Aufwand als bei den vorherigen Beispieltexten.

Es lohnt aber, sich selbst auf Entdeckungstour zu begeben.

Eines aus dem Band „Ariel“ ist das nachfolgende „The Munich Mannequins“ (hier in der Übersetzung von Erich Fried):

Die Models von München (dt. v. Erich Fried)

Vollendung ist furchtbar, sie kann keine Kinder haben.
Kalt wie Schneehauch tamponiert sie den Schoß

Wo die Eibenbäume aufblühen wie Hydren,
Der Baum des Lebens und der Baum des Lebens

Ihre Monde loslösen, Monat um Monat, zwecklos.
Die Blutflut ist die Flut der Liebe,

Das absolute Opfer.
Es heißt: Keine Götzen als mich mehr,

Mich und dich.
So, in ihrem Schwefelliebreiz, in ihrem Lächeln

Lehnen diese Mannequins heute nacht
In München, dem Leichenschauhaus zwischen Paris und Rom,

Nackt und kahl in ihren Pelzen,
Organgenlutschstangen auf Silberstäben,

Unerträglich, ohne Gedanken.
Der Schnee lässt seine Stücke von Finsternis fallen,

Niemand ist da. In den Hotels
Werden Hände die Türen öffnen und Schuhe

Hinstellen zum Polieren mit schwarzem Wachs,
Dass breite Zehen morgen in sie gehen.

Oh, die gezähmte Häuslichkeit dieser Fenster,
Die Babyspitzen, das grünbelaubte Backwerk,

Die dickfelligen Deutschen die schlafen in ihrem bodenlosen Stolz.
Und die schwarzen Telefone an Gabeln

Glitzernd
Glitzernd und verdauend

Stimmlosigkeit. Der Schnee hat keine Stimme.

Zu ihrem letzten Gedichtband „Ariel“ schrieb Robert Lowell im Vorwort: „Diese Gedichte sind Russisches Roulette mit sechs Patronen im Lauf.“

Der Literaturwissenschaftler Irving Howe schrieb über „Ariel“: „Das sind Gedichte, die aus einem extremen Zustand heraus geschrieben wurden, einem Bewusstseinszustand, in welchem die Sprecherin, im praktischen Sinne also Sylvia Plath selbst, die Wahrnehmung des Publikums hinter sich gelassen hat und sich um niemand anderen mehr sorgt – sogar nicht einmal mehr von dessen Anwesenheit Kenntnis erlangt – als um sich selbst. Sie schreibt mit einer halluzinatorischen, abgeschotteten Inbrunst. (…) Es liegt etwas zutiefst Monolithisches, Fixiertes in der Stimme, die in diesen Gedichten zum Vorschein kommt, einer unmodulierten und asozialen Stimme…“.

Im Besonderen kritisierte Howe den unzulässigen Holocaust-Vergleich in Plaths Gedicht „Daddy“ als etwas Ungeheuerliches, vollkommen Unangemessenes, wenn verworrene Gefühle zu seinem Vater bewusst in einen Vergleich mit dem historischen Schicksal der europäischen Juden gestellt werde…

Obwohl Howe in den Gedichten keine Großartigkeit erkannte, kam er dennoch zum Schluss, dass sie bemerkenswert seien, da sie ein neues Element von Erfahrung in die Poesie eingeführt und damit die literarische Moderne ein kleines Stück vorangebracht hätten.Die schwer zugängliche, stark elaborierte Bildsprache ihres Gatten Ted lag ihr im Grunde nicht. Man nehme Ted Hughes‘ „the thought fox“, das exemplarisch für den nüchternen kalten Stil Hughes steht, doch weckt auch dieser Interpretationslust, auch wenn manche auf den ersten Blick wie flüchtig hingekleckst erscheinen mögen, doch wahrhaftig feine Kompositionen sind und einen scharfsinnigen, sensiblen Beobachter zeigen.

Das Gedicht soll nicht exemplarisch für Plaths Gedichte stehen, denn dazu bietet das gesamte Werk eine zu große Vielfalt, von ihren Anfängen in „Der Koloss“ bis hin zu ihrem letzten und nachhaltig populärsten Zyklus „Ariel“, welches fast ausschließlich aus Fragmenten besteht. Plath war lange Jahre bei der Psychiaterin Ruth Beuscher in Behandlung, zu der sie auch eine innige Freundschaft verband. Beuscher verordnete Insulin- sowie Elektroschockbehandlungen, die bei Sylvia ambulant durchgeführt wurden und tatsächlich deutlich spürbare Erfolge erzielten.

„Tulips“ mag sinnbildlich für ihre Gefühlslage während dieser Behandlungen stehen und/oder sich auf die Zeit im Bostoner Spital beziehen.

Sylvia legte hohen Wert auf künstlerische Kontrolle, daher verbot sich für sie, reine narzisstische Introspektive auf Papier zu bringen…

„Dichten ist etwas Tyrannisches“, schrieb Plath einst. „Man muss so weit gehen auf so kleiner Fläche, dass in der Hitze des Schreibens alles Überflüssige verbrennen muss.“

Lyrik & Prosa

Es gibt weitere Erzählungen der Lyrikerin Plath, wie z. B. „Zungen aus Stein“, doch „Die Glasglocke“ ist ihr einziger Roman und auch ihre populärste Prosa. Nicht zuletzt wohl wegen der starken autobiografischen Bezüge. Die Protagonistin Esther Greenwood durchläuft und durchleidet wie Plath selbst eine psychiatrische Behandlung – einschließlich einer Elektroschockbehandlung.

Diese Elektroschockbehandlung wirkt sich traumatisierend auf Esther aus. Ein Suizidversuch folgt. Das Sinnbild der „Glasglocke“ wird in der Beschreibung „Wie eine Glasglocke von ihrer Umwelt abgeschottet“ entschlüsselt. Auch kommt hier dem frühen Verlust des Vaters eine prägende Bedeutung zu. Plath rebelliert in dieser Geschichte gegen die Oberflächlichkeit der amerikanischen Kultur und der gesellschaftlichen Zwänge und insbesondere der Rolle der Frau. Esther ist intelligent, erfolgreich…, doch ihre Konzentration nimmt ab (erstes Anzeichen einer Depression?). Manche Männerbekanntschaften werden bald als Heuchler entlarvt und früh verworfen. Niemand scheint den hohen Kriterien des väterlichen Vorbilds gerecht zu werden. Esther denkt über verschiedene Suizidmethoden nach, hinzu kommen zahlreiche wirre Exkursionen ihres Geistes.

Das Verhältnis zu ihrem Vater war gewiss nicht weniger komplex als jenes zu ihrem späteren Gatten (dem zumindest in der offiziellen Wahrnehmung Lügner und Betrüger): Ted Hughes. In ihrem Gedicht „Daddy“ offenbart sich ungefiltert ihr Zorn und ihre tiefste Verachtung gegenüber ihrem meist abwesenden und früh verblichenen Erzeuger Otto Plath – hierin schreibt sie davon, dass jede Frau einen Faschisten verehre, und dann wagt sie sich weit hinaus zu derben Holocaust-Vergleichen… Das weckte den Unmut der Kritiker*innen.

In „Die Glasglocke“ beschrieb sie allzu eindringlich den Abstieg in den Wahnsinn. Man ist geneigt, eine krankhaften Untergangswahn aus ihren Texten zu lesen – entweder alles gerät zu vollkommener Harmonie oder es liegt alles in Schutt und Asche. Die Idealisierung ihres Gatten Hughes wird ihr finales Verhängnis. Doch bereits im Jahr 1953 beging Plath einen Suizidversuch. Wie deutlich Plath in „Daddy“ wurde, zeigt sich in diesem Auszug:

[…]
Ich dachte, jener Deutsche seist du,
Und die Sprache obszön,

Ein ratterndes Knattern, ein Zug,
Der mich forttrug, als wär ich ein Jud.
Ein Jud nach Dachau, Auschwitz, Belsen.
Ich fing zu reden an wie ein Jud.
Ich denke, ich bin vielleicht ein Jud.
[…]

Kritiker warfen ihr nun vor, den Holocaust für private Zwecke zu missbrauchen.

Ted Hughes musste hohen Ansprüchen genügen, viele davon erfüllte er wohl, da die Beziehung zu seiner Sylvia einige Jahre hielt. Hughes‘ Freiheitsdrang überwog vermutlich gegenüber seiner Liebe zu Plath. Sylvia war offenbar recht häuslich und vereinnahmend.

Ob andere Frauen für Hughes nur eine Flucht aus Verzweiflung bedeuteten, wird in der Biografie „Du wolltest deine Sterne“ von Diane Middlebrook beleuchtet. Zumindest steht fest, dass Hughes, nach Plaths Freitod, zur Zielscheibe von Vorwürfen und Schuldzusprüchen wurde.

Ende der 1950er schrieb Sylvia in ihr Journal: „Ich bin mittelprächtig. Und ich kann damit leben, mittelprächtig zu sein. Ich habe keine weiterführenden Abschlüsse, ich habe keine Bücher veröffentlicht. Ich habe keine Lehrererfahrung … ich muss dieses Selbstbild akzeptieren und darf nicht zu zitterndem Gelee erfrieren, weil ich kein Mr. Fisher und kein Mr. Dunn oder irgendeiner der anderen bin.“

Sie nahm in Kauf, weniger öffentliches Ansehen als Ted zu haben, doch wollte dafür den ganzen Ted für sich allein und ihr Familienidyll ausleben…

Syl, ihr Dad und Ted

„Der Baum ist mein Leben. Ein Ast ist der Mann, den ich heiraten soll. Und die Blätter sind meine Kinder. Ein anderer Ast ist meine Zukunft als Schriftstellerin und jedes Blatt daran ist ein Gedicht. Ein dritter Ast ist eine glitzernde akademische Karriere. Aber immer, wenn ich dasitze und wählen soll, färben sich die Blätter braun und wehen dahin, bis der Baum vollkommen kahl ist.“, schrieb die Literaturstudentin Plath in Cambridge in den 1950ern.

Entgegen ihrer feinsinnigen Lyrik neigte Plath in ihrer Prosa zum Illustrierten-Plauderton. Beinah wie Dorothy Parker, die allerdings etwas derber schrieb als Plath (es bei sich zuließ). Die Motivation, aus der unterwürfigen Rolle als Frau auszubrechen, wurde aber bei beiden gleichermaßen deutlich. Nicht von ungefähr stehen beide seither als Symbolfiguren des Feminismus. Näher als Parker stand Plath wohl Virginia Woolf, die ebenfalls durch Freitod aus dem Leben schied.

In ihrer Erzählung „Tongues of Stone“ heißt es: „Sie war in einem Albtraum von Körper gefangen, ohne Verstand, ohne irgendetwas, nur das seelenlose Fleisch, das vom Insulin blasser und der verblassenden Bräune gelber wurde…“.

Es ist selten, dass ein großer Dichter auch ein großer Erzähler ist – Plath brach mit diesem ungeschriebenen Gesetz. Es scheint, als korrespondierten Lyrik und Prosa auf eine einander ergänzende und uns Leser*innen bereichernde Weise.

Der Philosoph und Kritiker George Steiner verehrte den Akt der Identifikation in besagtem Gedicht Daddy“, in seinem Essay „Dying Is An Art“ von 1965 schrieb er, dass Plath eine der wenigen Schriftsteller*innen sei, die alles dafür getan habe – ohne selbst darin verwickelt gewesen zu sein – dass die Gräuel nicht in Vergessenheit gerieten.

Nach seiner Huldigung schrieb eben jener George Steiner einige Jahre später in der Cambridge Review über Plaths Daddy“: „Mit welchem außerirdischen Recht zerrt Plath – sie, ein wohlgenährtes Kind in Amerika – als die Züge tatsächlich rollten, die Reste lebendiger Schrecken aus der Asche und den Kinderschuhen … hat von uns irgendjemand das Recht, seine persönlichen Schreckenserlebnisse, mögen sie noch so massiv gewesen, in Auschwitz anzusiedeln…?“.

Diese Ambivalenz Steiners scheint beispielhaft für die Reaktionen von Plaths Leser- wie Kritikerstimmen. Denn Plath selbst war in vieler Hinsicht sehr ambivalent und stürzte von einem Extrem ins extreme Gegenteil, die Wechselbäder ihrer Gemütsverfassungen, ein Mal die Welt umarmen wollend, um dann jäh alles und jeden zu verfluchen, entweder nach vollkommener Harmonie strebend oder radikalem Vernichtungswahn verfallend.

Es scheint, wie es in dieser Weise nicht allzu häufig vorkommt, dass Plaths schriftstellerisches/ lyrisches Tun nicht nur ihre vielschichtige Psyche, auch ihren Lebensweg abbildet. Auch in Hughes‘ Lyrik finden sich manch eindeutige Verweise zu Sylvia, wie bspw. in seinem Gedicht „Schaf“:

[…]
Es war nicht so
Dass es nicht hätte gedeihen können, es hätte von Geburt an
Alles außer den Willen –
Aber der kann brechen, so wie ein Glied
Tod hat es mehr interessiert
Leben konnte seine Aufmerksamkeit nicht wecken
[…]

Der erste Suizidversuch im Jahr 1953 war ein rein appellativer, ein Hilfeschrei. Plath schien Mittelmäßigkeit/ Unvollkommenheit nicht gut zu ertragen, auch wenn sie manchmal gern das Gegenteil behauptete. Also, dass sie sich z.B. gut mit einem schlichten soliden Leben ohne Publikationen und fest etabliert im Literaturbetrieb abfinden könne. Doch stand sie in Wahrheit wohl doch in (in)direkter Konkurrenz zu ihrem Gatten Ted.

Alfred Alvarez erinnert sich an ihr letztes Treffen vor ihrem Tod, an ein bemitleidenswertes, reduziertes Wesen.

Die Anziehungskraft des Todes, welche in ihren Texten hinter jeder Ecke, zwischen den Zeilen lauert. Der Todestrieb (Thanatos) nährt und bekämpft den Lebenstrieb (Eros) gleichermaßen. Und der Selbstmord berührt beide Ur-Kräfte in uns.

In „Madame Lazarus“ heißt es:

[…]
Sterben
Ist eine Kunst wie alles
Ich kann es – besonders schön
Ich kann es so, dass es die Hölle ist, zuzuseh’n
Ich kann es so, dass man wirklich fühlt, es ist echt.
Sie können, glaube ich, sagen, ich bin berufen zu diesem Ziele
[…]

Sylvia Plath starb am 11. Februar 1963 in der Fitzroy Road auf dem Londoner Primrose Hill, im selben Haus, in welchem einst der irische Schriftsteller und Dichter William Butler Yeats lebte. Dieses Haus Nr. 23 stand in einer Reihe dreistöckiger Backsteinhäuser mit weißem Stuck um die Fenster. Plath hatte den ersten und zweiten Stock gemietet und dort gerade mal zwei Monate mit ihrem Nachwuchs gewohnt. Ob Ted tatsächlich Sylvias Tagebücher verloren oder gar vernichtet hatte, bleibt ungeklärt. Eine enge Vertraute Sylvias, Elizabeth Sigmund, die in North Devon lebte und Sylvia bis kurz vor ihrem Tode öfters sah, berichtet, wie Sylvia eines Tages völlig aufgelöst vor ihrer Tür stand und klagte, ihre Milch sei versiegt, sie könne ihren kleinen Spross nicht mehr stillen UND: Ted belüge sie dauernd, er sei ein so erbärmlicher Mann geworden. Was Sigmund jedoch am meisten erschütterte, war dieser später folgende Satz aus Sylvias Mund: „Wenn man jemandem sein ganzes Herz schenkt, und er will es nicht, kann man es nicht zurücknehmen. Es ist für immer verloren.“

Sylvias wohl engste Freundin Anne Sexton war meist pointierter als Sylvia in ihren Gedichten – wie z. B. hier in „Wanting to Die“:

[…]
Aber Selbstmorde haben ihre eigene Sprache
Wie Zimmerleute fragen sie nur nach dem Werkzeug
Sie fragen nie, warum bauen
[…]

Sylvia Plath (Bild von Tim André Elstner)

…Last & not least…

…diese Literatur, und sei sie noch so schwermütig oder gar sperrig, lädt zum ‚Selber-Entdecken‘ ein, darum soll hier keine umfassende Zerlegung ihres titelgebenden Prosawerks Die Glasglocke“ folgen. Stattdessen eine Einladung zum Selber-Lesen mit dem Ausblick auf eine anregende und lebhafte, wenngleich auch teils ernüchternde und fatalistische Lektüre. Auf Plaths „Glasglocke“ wird hier für den Xblog noch an anderer Stelle eingegangen werden…

… ALSO: LEST DOCH NOCH ’n BISSCHEN WEITER …;*

Youtube-Links

Buch-Tipps

Literatur über Sylvia Plath:
• Janet Malcolm: „Die schweigende Frau“ (Kellner)
• Alfred Alvarez: „Der grausame Gott“ (Hoffmann & Campe)
• Seamus Heany: „Die unermüdlichen Hufschläge“ (Hanser)
• Diane Middlebrook: „Du wolltest deine Sterne: Sylvia Plath und Ted Hughes“ (Gräfeling)

Literatur von Sylvia Plath:
„The Collossus“ (Vintage Books, Gedichte)
„Drei Frauen“ (Turret Books, Ein Gedicht in drei Stimmen)
„Die Glasglocke“ (Suhrkamp, Roman)
„Ariel“ (Harper & Row, Gedichte)

Ein Beitrag von J. T.

Bilder von Tim-André Elstner


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