Cornelia Schmitz hält ein Plädoyer für WfbM (Werkstätten für behinderte Menschen), nachdem sie uns an ihren persönlichen Erfahrungen und Gefühlen zu der immer noch bestehenden Stigmatisierung der dort Beschäftigten teilhaben lässt.


 

»schlimmer als Hartz 4«,

das sagte eine Bekannte damals zu mir, als ich anfing, in einer WfbM zu arbeiten. Ob ich mir das gut überlegt hätte? Stünde es wirklich so schlecht um mich? Ob es denn gar keinen anderen Weg gäbe? Schließlich sei das »schlimmer als Hartz 4«. Tiefer könne man doch jobtechnisch in Deutschland nicht sinken. Ob ich mir das zumuten wolle?

Das ist nun schon lange her, 13 Jahre. Diese Zeit habe ich der Behindertenwerkstatt zugebracht. Nicht die ganze Zeit, ich habe lange auf betriebsintegrierten Arbeitsplätzen gearbeitet, diverse Praktika gemacht, bin aber doch immer wieder in die Einrichtung zurückgekehrt. Meine Werkstatt ist groß und bietet viele unterschiedliche Bereiche, eine Gärtnerei, ein Café mit angeschlossener Backstube, Hauswirtschaft, Montage, EDV, eine Office-Abteilung, in der u.a. Medien gestaltet werden.

Dort bin ich und das tue ich: Ich schreibe, Beiträge für Facebook und Websites, für einen Blog, ich betreibe Öffentlichkeitsarbeit. Die Arbeit könnte schöner nicht sein, der Umgangston ist enorm höflich, ruhig und freundlich, die Lösungen für die Mitarbeiter sind passgenau, maßgeschneidert und individuell. Wir haben keinerlei Druck, Hilfe ist immer zur Stelle, Mobbing existiert nicht. Wenn die Arbeitswelt »draußen« so wäre – niemand, gar niemand, würde unter einem Burn-out leiden.

Ich schreibe sogar Bücher – es ist mir u.a. eben dank dieser passgenauen Lösungen geglückt, zwei Bücher bei einem renommierten Verlag zu veröffentlichen – ein Erfolg, der bei weitem nicht jedem »Normalo« vergönnt ist. Mein Einkommen ist klein, aber sicher. Ich bin froh, diesen Platz gefunden zu haben und möchte nichts an meiner Lage verändern.

Doch wenn ich gefragt werde, wo ich arbeite, antworte ich ausweichend. Ich verschweige »es«.

Das hat zum einen nachvollziehbare, respektable Gründe: Sage ich, dass ich in einer WfbM arbeite, ist die nächste Frage die nach dem »Warum«. Und ich habe keine Lust (und sehe es auch nicht ein), flüchtigen Bekannten oder gar neugierigen Nachbarn von den Problemen zu erzählen, die zur Arbeit in der Werkstatt geführt haben, ich will mein Innerstes nicht nach außen kehren. Umgekehrt möchte ich die Probleme der Bekannten auch erst dann genauer kennenlernen, wenn sich der Kontakt vertieft.

Die weiteren Gründe sind schon nicht mehr so respektabel. Ich schäme mich nämlich. Der Satz »Schlimmer als Hartz 4«, diese unglückliche Hierarchie, hängt mir nach.

Im Bewusstsein der Öffentlichkeit sind Werkstätten für behinderte Menschen als Orte kaum existent; vielleicht arbeitet das Kind einer Freundin dort oder der behinderte Großonkel, aber es ist kein (Arbeits)-Platz, den man für sich selbst in Betracht zieht. In einer Vorabend-Krimi-Serie hörte ich vor kurzem den abfälligen Satz: »Diesen Typ will selbst die örtliche Behindertenwerkstatt nicht mehr haben« – eine Aussage, in der das ganze Ressentiment der Gesellschaft mitschwingt.

Doch, ich schäme mich. Wäre es anders, wenn ich keine psychischen Probleme hätte, sondern, sagen wir, Parkinson? Oder eine andere gravierende Gehirnerkrankung? Würde ich dann (m)eine Webseite pflegen, beispielsweise von Kummer mit dem Pflegedienst berichten? Ja, vielleicht. Ich kann es mir jedenfalls besser vorstellen, als ewig von Pannen zu berichten, die durch das Auf und Ab der bipolaren Störung entstehen, Pannen, die mich an mir selbst zweifeln lassen, Pannen, die ich für mich behalten möchte. Zudem gehöre ich einer Generation an, für die »Clickbait« ein Fremdwort ist und gerne bleiben kann.

Manche von uns outen sich gänzlich, sind befreit von dem Druck, sich verstecken zu wollen, leben sich stolz aus. Warum auch nicht? Eine Erkrankung ist keine Schande, ich habe »es« mir nicht ausgesucht, die Werkstatt ist definitiv der richtige Ort für mich. Denn dort stimme ich mit mir selbst überein, werde nach meinem Können und meinen Stimmungen gefördert, habe Kollegen, die sich in ähnlicher Lage befinden und mit denen ich reden kann. Vielleicht ist das Outing aller – oder vieler – der genau richtige Weg, eine psychische Erkrankung so normal werden zu lassen wie jede andere Erkrankung auch.

Von den Forderungen mancher politischen Strömungen, die Werkstätten recht zügig abzuschaffen, sie abzutun als »Segregrationseinrichtungen«, halte ich gar nichts. Selbst in einem »Inklusionsbetrieb«, einem Betrieb also, in dem Behinderte und Nichtbehinderte gleichermaßen arbeiten, könnte man wohl nicht in dem Maße auf mich oder meine Mitstreiter eingehen, wie das heute geschieht. Geschweige denn wäre das der Fall auf dem ersten Arbeitsmarkt, von dem sich gerade so viele meiner neuen Kollegen erschöpft, ausgepumpt, und an einem Burn-out leidend einen Platz in einer WfbM suchen. Man muss diesbezüglich die Welt so sehen, wie sie nun mal ist, nicht wie sie sein sollte.

Im ersten Arbeitsmarkt, ich habe es ausprobiert, empfinde ich ungleich mehr Druck, will meine Schwächen erst recht verbergen, will keine Angriffsfläche bieten. Ich versuche, mitzuhalten, soweit es eben geht, strenge mich über die Maße an. Das soziale Miteinander »draußen«, die erforderliche soziale Kompetenz, sie fehlt mir zuzeiten. Nicht immer, aber doch häufig. Zu häufig. Unter meinesgleichen hingegen kann ich mich so zeigen, wie ich eben bin.

Wäre ein regulärer Betrieb, in dem ich als »Quotenbehinderte« arbeiten würde, weniger schlimm als Hartz 4? Sicher, ich könnte allen erzählen, wo ich arbeite, es kämen keine Fragen, aber ich, ich fände es schlimm, dort vielleicht immer ein wenig am Rand stehen zu müssen, gerade als psychisch kranker Mensch die nicht ganz gleichberechtigte Mitarbeiterin zu sein.

Das Schöne an der Werkstatt

Das ist das Schöne an (m)einer Werkstatt: Wer es will, erhält jede nur erdenkliche Unterstützung auf dem Weg zurück, kann sich über Praktika und betriebsintegrierte Arbeitsplätze ausprobieren, ein dann zustande kommendes sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis wird hoch bezuschusst. Keineswegs ist die WfbM die Sackgasse von einst. Und wer dort bleiben will, in einem geschützten Arbeitsplatz, dort den richtigen Platz für sich gefunden hat, sollte das auch dürfen.

Die Werkstätten, sie verändern sich, das müssen sie auch. Sie werden durchlässiger, bieten für psychisch erkrankte Menschen anspruchsvollere Tätigkeiten an. Hier und da hört man von Teilnehmern (beschäftigten Arbeitnehmern), die innerhalb der Werkstatt in ein reguläres Arbeitsverhältnis gewechselt sind. Das ist der richtige Weg. Die strikte Trennung von beschäftigten Arbeitnehmern und sozialversicherungspflichtig angestellten Gruppenleitern sollte allmählich aufgeweicht werden, so dass immer mehr »behinderte« Arbeitnehmer/innen ihre starke Seite zeigen können, Zutrauen in ihre Führungskompetenzen fassen können. Und immer mehr »nichtbehinderte« Arbeitnehmer/innen sich auch mal fallen lassen können.

Kurz, es geht mir um die Wahlfreiheit.

Es ist schön, dass es Orte wie die WfbM gibt, es ist gut, sie verlassen oder dorthin zurückkehren zu können. Es ist gut, wenn sie durchlässig sind, wenn es wenig Hierarchien gibt, wenn die Menschen dort, gleich ob Angestellte oder Beschäftigte, viele Rollen ausprobieren können.

Schlimmer als Hartz 4 –  es ist schlimm, wenn Werkstätten, in denen Menschen mit vielen Stärken, die hochfreundlich und wertschätzend miteinander umgehen, die anspruchsvollen Tätigkeiten nachgehen, so gesehen werden.

 


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