Eine Beschäftigte des AlexOffice setzt sich in diesem Artikel mit Sprache im therapeutischen Milieu auseinander. Ihr Text stammt aus dem Jahr 2007 und wurde nach einem langen Tag in einer therapeutischen Einrichtung geschrieben.


 

Am Anfang war das Wort und das Wort war gut. Theoretisch jedenfalls.

Denn in der weiten, weiten Welt der Psychotherapie geistert ein Begriffspaar herum, das einfach jeder kennt, von dem aber irgendwie keiner weiß, was es bedeutet.

Einfach.

»Gucken sie einfach gut, dass Sie für sich sorgen.« – »Gehen Sie einfach mit Ihrer Aufmerksamkeit in Ihre Fußballen.« – »Spüren Sie einfach hin, wie Ihr Körper zur Ruhe kommt.«

»Einfach« ist eindeutig das Adjektiv der Therapeuten, die alles dafür tun würden, ihren Schäfchen zu verklickern, dass alles gut ist oder jedenfalls gut würde, wenn man die Dinge nur vereinfachte. Nun aber kommen wir ins Spiel, die Klienten, die wir schon lange spitzgekriegt haben, dass nichts im Leben einfach ist – vor allem nicht in unserem eigenen Leben.

Wir rächen uns für die Simplifizierung unserer Angelegenheiten, indem wir den wolkigen Begriff »irgendwie« in die Debatte bringen; dies ein Wort, das rein gar nichts besagt, den Therapeuten aber dennoch in Schwulitäten bringt:

Therapeut: »Willkommen in der Morgenrunde. Erzählen Sie doch einfach mal von Ihrer Nacht…es wäre schön, wenn einfach jemand den Anfang machen könnte…«

Klient: »Ja…ich hab irgendwie nicht gut geschlafen…ich merk da irgendwie so eine Anspannung, aber ich weiß irgendwie nicht, wo das herkommt, irgendwie war die Nacht schon gut, aber…« Und so weiter.

Gewiefte Therapeuten wissen, dass die Verwendung des Adverbs »irgendwie« zwei Möglichkeiten beinhaltet, nämlich die direkte Verneinung: »Irgendwie nicht« und eine Quasibejahung: »Irgendwie schon, aber…«, die aber so nebulös und nirwanamäßig daherkommt, dass sie praktisch eine Verneinung ist.

Gewiefte Klienten wiederum wissen, dass sie den Therapeuten mit der Quasibejahung eher aushebeln können als mit der Verneinung, denn vor allem junge und unverbrauchte Therapeuten stürzen sich begeistert auf das Fünkchen Hoffnung (»Irgendwie schon, aber…«), das von der Quasibejahung ausgeht. Natürlich nur am Anfang der Karriere, denn sehr bald lernen sie, wie man ein bekümmertes Gesicht macht, in Gedanken bei der Ballettaufführung der Tochter ist und therapeutische Misserfolge auf den Widerstand der Klienten schiebt.

Das dualistische Begriffspaar »einfach/irgendwie« bildet aber nur den Grundwortschatz für »Therapiesprech«.

Therapiesprech ist, wie man an folgendem Beispiel sieht, eine Sprache, die eigentlich keiner verstehen dürfte, die aber von »den Betroffenen« (schönes Wort) rund um den Globus gesprochen wird, und bei der Eingeweihte genau wissen, wovon die Rede ist.

Hier unser Beispielsatz: »Kommen Sie einfach mit Ihrem Atem ganz entspannt im Hier und Jetzt an.« Analysieren wir das Beispiel.

Wir waren also weg, sonst könnten wir nicht ankommen. Schlimmer noch, wir müssen im Dort und Später (oder Früher?) gewesen sein, ohne dass wir davon gewusst haben. Jetzt sollen wir ankommen. Ganz entspannt, obwohl wir Gott wie-wo gewesen sind. Und zwar mit unserem Atem. Ergo waren wir ohne Luft sonstwo, sollen aber total  entspannt sein. Und so weiter.

Wie wir bei unseren obigen Begriffen »einfach/irgendwie« gesehen haben, tanzt man im therapeutischen Milieu einen bizarren Tanz, der wie bei einem Menuett genau festgelegten Regeln folgt und durch den eine Besserung der Lage geradezu vermasselt wird. Therapeut wie Klient erfasst im Grunde Verzweiflung, wenn auf diese Weise um den heißen Brei herumgeredet wird, denn durch diese Art von Spiegelfechterei weiß am Ende niemand mehr, wo der (unbestreitbare) Widerstand des Klienten anfängt, wo die (unbestreitbare) Unfähigkeit des Therapeuten aufhört und was das Ganze eigentlich soll.

Wir alle wissen – oder hoffen zumindest – dass das Wort heilt, wenigstens lindert. Und doch verwenden wir statt klarem Deutsch eine obskure Sprache, die denjenigen, der zum ersten Mal mit diesem Jargon konfrontiert wird, nach dem Dolmetscher rufen lässt.

Erfahrene Klienten hingegen lassen sich von Therapiesprech nicht aus der Ruhe bringen, sondern füttern den Therapeuten mit beliebigen Floskeln (»Ich merke irgendwie, dass mir die Atemtherapie irgendwie nicht guttut«) signalisieren oberflächlich Mitarbeit (»Das ist jetzt irgendwie gut bei mir angekommen«), spüren auf Kommando ihr Sonnengeflecht und gucken schockiert, wenn eine ihrer Mitstreiter die dritte Person Einzahl gebraucht.

Und so lenken wir Atem in unsere Füße (ein Vorgang, der aus einer simplen Körperfunktion einen umständlichen esoterischen Akt macht), versöhnen uns mit unserem inneren Kind (eine Person, von der ich gar nicht wusste, dass sie existiert) und bemühen uns verzweifelt, ins Hier und Jetzt zu kommen (das Credo der Therapie! Sei im Hier und Jetzt und du bist geheilt). Wir grübeln uns ʼnen Wolf, wie man in diesen Zustand gerät, haben aber nach einer Weile den dringenden Verdacht, dass man – Pardon, ich! – über diese Gegenwartsbeschreibung besser nicht nachdenkt, will man nicht in eine Grübelspirale kommen.

Kurz: Wir schlucken all dieses Kauderwelsch, »finden unsere Mitte« und versuchen nach Kräften unsere Krankheit »einfach loszulassen« (kein Kommentar) Und zu guter Letzt fragen wir uns, was das alles mit uns macht.

Ich kann es Ihnen sagen. Es macht mich einfach wütend. Irgendwie.

 


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