Anlässlich des „Welttages der Suizidprävention“ am 10.09.2021 gibt eine Beschäftigte des AlexOffice hilfreiche Informationen über Suizid und seine Prävention sowie Tipps, wo man bei Depressionen und Suizidgedanken Hilfe bekommen kann.
Da es sich um sensible Inhalte handelt, setzen wir an dieser Stelle eine ***Triggerwarnung***
Suizid und seine Prävention
Wie groß muss das Leid sein, wenn ein Mensch entgegen seinem Selbsterhaltungstrieb handelt? …
Vielleicht fehlt in unserer Gesellschaft noch der Respekt für diejenigen, die Tod-unglücklich sind. Die Betroffenen brauchen viel mehr Verständnis und Mitgefühl. Und eben Respekt. Denn wer sich nur annähernd vorstellen kann, was manch ein Mensch mit einer psychischen Krankheit, die einen auch noch in den Suizid treiben will, durchmachen kann, der stigmatisiert andere nicht, sondern akzeptiert und respektiert sie in all ihrem Leid und in all ihrer Würde.
Und: Ja, Suizidhandlungen sind oft ein Symptom einer psychischen Störung. WICHTIG aber IST: Der Impuls, sich zu suizidieren, ist nicht von Dauer.
Suizidversuche und die Unfreiheit beim Suizid
Suizidversuche sind häufiger als Suizide selbst. Vorherige Suizidversuche sind der größte Risikofaktor für vollendete Suizide. Es gibt aber auch Beispiele, wo Menschen später das Leben als große Chance sehen und Grundlegendes in ihrem Leben verändern und froh sind, am Leben zu sein.
Überlebende eines Suizidversuchs berichteten, dass sie sich zu diesem Zeitpunkt nicht frei gefühlt haben, Entscheidungen zu treffen. Das zeigt auch, dass der Begriff Freitod eigentlich fehl am Platz ist.
Ebenso unfrei mögen sich auch die Bilanzsuizidenten fühlen. Sogenannte Bilanzsuizide sind Suizide, bei denen der / die Betroffene, nach „rationaler Abwägung“ der eigenen Lebensumstände, die eingeschränkte Entscheidung gegen das eigene Leben trifft.
Kein unvermeidbarer Tod und die Hilfe in Not
90 Prozent aller Suizide entstehen durch psychische Erkrankungen. Vor allem Menschen mit Depressionen oder manisch-depressiven Erkrankungen sind von Suizidalität betroffen. Suizidalität ist also ein Symptom der Depression. Depression ist tatsächlich mit ungefähr gleich guten Erfolgsaussichten (Prognose) heilbar.
Ein Suizid ist kein unvermeidbarer Tod, und psychische Probleme sowie psychiatrische Erkrankungen sind mit Geduld auch prinzipiell überwindbar. Die Betroffenen können wegen ihrer psychischen Verfasstheit die Krise weder selbst bewältigen, noch nach Hilfe suchen oder diese annehmen.
In einer Therapie kommt oft ein sogenannter Suizidpakt (auch Anti-Suizid-Vertrag oder Non-Suizid-Vertrag bzw. -Kontrakt genannt) zwischen Therapeut und Patient zum Einsatz. Dabei macht der Patient klar, dass er sich bis zumindest dem nächsten Termin nichts antun wird. Diesen Kontrakt finde ich z. B. aus eigener Erfahrung sehr gut, da er an das Gewissen des Patienten appelliert, der ja das gegebene Versprechen an den Therapeuten einhalten und sein Wort halten will.
Oftmals wird ein Suizid vorher angekündigt. Dies ist sehr ernst zu nehmen! Der Betroffene soll beim Verdacht einer Suizidalität offen darauf angesprochen werden. So kann man dem Menschen helfen, über seine Probleme und Suizidgedanken zu reden.
Trauerarbeit der Hinterbliebenen und die Folgen eines Suizids
Ein Suizid hinterlässt immer Trauer, oft auch Gefühle von Schuld und Hilflosigkeit und Ohnmacht, vermischt mit Affekten von Ärger und Wut. Die Angehörigen sind dann selbst in enormen psychischen Ausnahmezuständen und psychischen Krisen und brauchen selber Unterstützung. Trauerprozesse nach einem Suizid können Jahre dauern.
Immer sollte man als Betroffener auch bedenken: Was wären die tatsächlichen Folgen eines Suizidversuches/Suizids? – (Weitere) Behinderungen, Schädigungen des eigenen Körpers, die weitaus dramatischer ausfallen könnten als der vorherige als unaushaltbar empfundene Zustand. … Und was wären die Folgen für die Angehörigen? Vielleicht auch: Was ginge der Welt verloren – an Einzigartigkeit, Empathie, Liebenswürdigkeit, Humor etc. …?
Der Schmetterlingseffekt gilt also auch im Leben der Mitmenschen, weshalb niemand seinen eigenen Wert im Leben und im Leben anderer unterschätzen sollte.
Von Goethes Werther und Papageno, dem Vogelmenschen
Nach der Veröffentlichung von Goethes Roman „Die Leiden des jungen Werthers“ war es 1774 zu einer Suizidwelle gekommen, wobei zahlreiche Tode deutlich als Nachahmung der Romanvorlage erkennbar waren. Die meisten Leute, die sich mit dem Thema Suizid beschäftigen, kennen also den „Werther-Effekt“. Aber die meisten kennen nicht den umgekehrten, eher unbekannteren „Papageno-Effekt“. Papageno ist eine Figur aus Mozarts Zauberflöte. Er ist der sogenannte Vogelmensch. Dieser spricht über seine Suizidalität und lässt es dann. Er lebt weiter. Und sollten nicht alle, die im Leben straucheln, es ihm gleichtun?
Welcome to hard life
Probleme und Sinnkrisen kann es in jedem Leben und jeder Lebensphase geben. Und ja, das Leben kann echt hart sein. Doch da stecken wir alle mit drin. Manche mehr, manche weniger. Und dann gilt es um so mehr, einander zu unterstützen. Die Harten – die Zarten. Die Alten – die Jungen. Die Gesunden – die Kranken (etc. und umgekehrt). Und selbst die toughsten Sisyphose haben auch oft Momente, an denen sie an sich selbst und dem Leben verzweifeln. Daher sollten wir aufmerksam aufeinander zugehen, gut zuhören und wenn nötig: präventiv und hilfreich handeln.
Der Rat an alle persönlich Betroffenen: sich die Sorgen von der Seele zu reden.
Abschließend möchte ich noch einige persönliche Worte zu dem Thema sagen:
Mir ist im Laufe meiner Recherchen auch die Wichtigkeit der Art der Berichterstattung klargeworden. Ich habe so bei meinen Recherchen zu dem Thema auch erfahren, dass der Deutsche Presserat 1997 eine Richtlinie veröffentlicht hat, die eine Zurückhaltung bzw. Nüchternheit bei der Berichterstattung über Suizidenten empfiehlt. Dies geschieht vor allem aus dem bereits genannten Werther-Effekt, den Nachahmungstaten. Darum möchte ich auch für mehr Sensibilität mit diesem Thema plädieren und um mehr Vorsicht mit diesem Thema bitten. Es soll mehr in den Bereich der Öffentlichkeit kommen und besprochen werden, aber eben sensibel und mit Blick auf die Würde und Freiheit des Menschen.
Und wie ich es nun auch, nach Jahrzehnten des eigenen Leids sehe: Das Leben ist ein Geschenk – und dieses Geschenk würde der Mensch mit einem Suizid zurückweisen.
Menschliches Leben ist somit nicht nur „heilig“, sondern auch einzigartig und kostbar sowie wertvoll.
Wertvolle Links und Tipps folgen nun hier:
- Die Telefonseelsorge ist für Jede*n da. Also sowohl für alte und junge Menschen, für Berufstätige, für Hausfrauen, Auszubildende oder Rentner, für Menschen jeder Glaubensgemeinschaft oder ohne Kirchenzugehörigkeit. Jedes Jahr werden rund 1 Million Gespräche geführt.
Telefonseelsorge, 24 Stunden erreichbar (und kostenfrei): 0800 – 111 0 111 oder 0800 – 111 0 222
Mailseelsorge/Chatberatung über www.telefonseelsorge.de ist auch möglich. - die Arche (Beratungsstelle für Jugendliche und Erwachsene zur Suizidprävention in München)
- überLebenswert (Kölner Netzwerk für Suizidprävention)
- treesofmemory-ev.com (für die Hinterbliebenen)
- Freunde fürs Leben (Verein)
- AGUS (Angehörige um Suizid) e. V.
- #rededarueber
- #suizideverhindern
- Der Caritasverband für das Erzbistum Berlin e. V. hat zum Welttag der Suizidprävention einen Hashtag dazu kreiert: #dubistmirwichtig (Lied von Jonas Monar: #DuBistMirWichtig)
- „Kopfsalat“ Podcast (über Depressionen)
- Podcast „Raus aus der Depression“ (mit Entertainer Harald Schmidt und Experte Prof. Ulrich Hegerl): aktiv Hilfe einfordern und die Mauer des Schweigens durchbrechen
Auch du kannst deinen Text, deine Erfahrungen, deine Tipps oder auch deinen Podcast bei uns einreichen. Unter Kontakt findest du unsere Ansprechpartner. Schick uns dein Werk, und wir veröffentlichen es.
Toller Text!
Danke Dir, Nadine.
Danke für den Text, doch ich sehe vieles ganz anders als du und ärgere mich z.B. darüber, dass der Gesetzgeber gegen den erklärten Willen der großen Mehrheit der Bevölkerung den selbstbestimmten, nicht schmerzbehafteten, Tod nicht ermöglicht/freigibt.
Hallo, liebe Cornelia.
Ich habe sehr lange darüber nachgedacht, was ich Dir auf Deine Antwort schreiben soll. Was kann man schon zu so einem entkräftigenden Eintrag sagen? Ich bin mir immer noch nicht im Klaren darüber. Vielleicht kommt es beim Schreiben….
Ich finde es traurig, dass Du das gerade so siehst. Aber früher hätte ich vermutlich auch so geantwortet. (Ich hatte früher auch schon mal gewisse schweizerische Adressen recherchiert…)
Da ich selber mal im Wachkoma lag (unverschuldet) und wiederbelebt wurde, war ich sehr enttäuscht darüber, wieder zu erwachen und weiter leben zu müssen. Ich fragte mich immer wieder, was den Menschen das Recht gab, über mein Leben zu entscheiden, wenn sie doch wussten, dass ich nicht gerne lebte, jahrelang litt und es auch nicht als sinnvoll empfand. Ich machte danach viele verschiedene Phasen durch. Diese reichten von allmählicher Akzeptanz, zu Dankbarkeit, Freude, wieder Gleichgültigkeit und sogar Verdrossenheit… bis hin zu momentan: Erkennen mannigfaltiger Möglichkeiten und Würdigung des Lebens.
Wenn einer nicht weiter kann oder weiß, dann ist es doch gut, wenn Jemand anders ihn trägt.. auch wenn Du selbst am Leiden und Verdursten bist. Später kann es anders kommen. Und so… muss es vielleicht auch so etwas wie den Gesetzgeber geben, der, wie es Eltern sollten, über seine Kinder wacht und Ihnen hilft im Leben. (Ja, ich weiß.. der Vergleich hinkt. Bitte, fallt deswegen nicht über mich her…)
Nichts ist endgültig. Ja, nicht einmal der Tod. (Meiner Meinung nach.) Und so… können sich auch feste Meinungen im Laufe der Zeit ändern. Das hoffe ich für Dich. Auch wenn wir uns nicht kennen.
Mit den besten Wünschen.
Liebe Grüße.
D.
Es gibt Fälle, da ist ein Freitod absolut sinnvoll und berechtigt, zum Beispiel wenn man nicht künstlich am Leben gehalten und nicht mehr leiden möchte. In solchen Fällen bin ich auch für aktive Sterbehilfe. Bei der schweren Depression sieht es jedoch anders an. Die Selbstmordgedanken sind ein Symptom einer schweren Krankheit. Einer erlernten Hilflosigkeit und Hoffnungslosigkeit. Menschen, die so verzweifelt sind, brauchen Verständnis, Mitgefühl, Achtsamkeit und Wärme. Einsamkeit, das Gefühl von Abgeschnittensein von anderen Menschen und den Anforderungen nicht zu genügen führen beispielsweise in die Depression. Das Gegenteil wieder aus sie heraus. Sobald sich der Nebel der Krankheit lichtet, sieht man alles wieder in einem anderen Licht. Daher müssen schwer Depressive mit suizidalen Absichten vor sich selbst geschützt werden.
Danke für diesen wundervollen Text liebe/r D.
Liebe D.
entschuldige, ich habe deine Erwiderung auf meinen Kommentar gerade erst gelesen. Ich freue mich für dich, dass du momentan mannigfaltige Möglichkeiten erkennst und das Leben würdigst – wirklich, dass ist klasse und ich gratuliere dir.
Doch jeder Mensch ist anders, lebt anders und für mich ist die – nahezu grenzenlose – persönliche Freiheit wichtig.
Es kann einmal eine Zeit geben, da wünschte ich vielleicht, mir weiteres Leid zu ersparen und da könnte es ein Akt der Gnade mir selbst gegenüber sein, selbstbestimmt zu sterben. Für diesen Fall hoffe ich, dass mir der Gesetzgeber einen schmerzfreien Tod ermöglicht.
Ich möchte diesbezüglich auch nicht vor mir selbst geschützt werden, wie du liebe/r I. Prinz schreibst. Ich sehe deinen Punkt, doch ICH möchte entscheiden, auch und gerade in einer Depression.
Danke euch für die Diskussion 🙂