Computerspiele haben immer noch mit vielen Vorurteilen zu kämpfen: Sie machen gewalttätig, führen zu einem Realitätsverlust, die Spieler flüchten aus dem Alltag…
Das Computerspiele aber auch wunderbare Geschichten erzählen können, man etwas dabei lernen kann oder man die Möglichkeit hat, Emotionen zu verarbeiten, das zeigt dieser Artikel von Pia Papadopoulos aus dem AlexOffice.
Videospiele und ihre emotionalen Geschichten
Wenn man im Gaming-bereich unterwegs ist, egal ob PC, Playstation, XBox oder Switch, kennt man diese Aussagen: Videospiele machen einen gewalttätig, führen dazu den Bezug zur Realität zu verlieren und viele andere sehr kritische Meinungen, dass aber einige genau diese Flucht nutzen um zu entspannen oder abzuschalten, glaubt kaum jemand. Oder dass Spiele genauso so gut Aufklären können, sei es über andere Kulturen, historische Ereignisse oder das Leben anderer Menschen nach Katastrophen zu lernen oder gar einem Geschichte nahe bringen, vor allem die Assassins Creed-Reihe, die mit Einträgen und Hinweisen zu historischen Bauten die Entstehungsgeschichte erzählen oder mit einem fast genauen 3D-Nachbau des Notre Dame zu dessen Wiederaufbau beigetragen hat, vergessen viele oder wissen es schlichtweg nicht. Videospiele können so viel mehr, sie erzählen wie ein Buch, bieten Verarbeitung für Trauer und Verlust, beleuchten Themen wie Transsexualität, psychische und körperliche Behinderungen und bringen diese dem Spieler näher oder klären gar auf.
Gris

Titelbild des Spiels „Gris“
Gris ist ein 2D-Spiel des spanischen Indie-Studio “Nomada Studio” und voll mit Rätseln sowie einer zunächst grauen und tristen Welt, die es zu erkunden gilt. Man schlüpft in die Rolle des jungen Mädchen Gris, die sich in eben jener grauen Welt wiederfindet, denn es ist ihre eigene. Obwohl sie durch eine schwere Zeit ihres Lebens geht, ist das junge Mädchen voller Hoffnung und versucht die Farben wieder in ihr Leben zurückzubringen, weswegen sie sich auf die Reise durch ihr Innerstes wagt und emotional über sich hinauswächst, um auch einen anderen Blick auf ihre eigene Welt zu formen. Begleitet wird das Spiel von einem anfangs melancholischen und immer fröhlicher werdenden Soundtrack, welche die Ästhetik von Gris noch mehr untermalt und sich dynamisch darauf einstellt, das Bildschirmgeschehen zu reflektieren. Die Szenerie des Anfängerfreundlichen und sehr entspannten Jump’n’Run’s sind von wasserfarbenen Hintergründen gezeichnet, die einen mit auf die Reise von Gris begleiten. Durch Springen, Klettern und Schwimmen bringt man die Spielfigur voran und löst die Rätsel, die diese Welt für das junge Mädchen und den Spieler bereithalten. Im Laufe des Spiels erhält man Fähigkeiten, wie zum Beispiel, sich in einen Steinblock zu verwandeln und bröckelnde Barrieren zu Fall zu bringen.
Das Mädchen erwacht zuerst in den Händen einer weiblichen Statue, die tiefe Risse aufweist und kurz vor dem Zerbrechen steht. Bei dem Versuch zu singen, scheitert Gris, weswegen die Statue zusammenbricht. Gris landet auf dem Boden und sieht sich verpflichtet, die Statue wieder aufzubauen, sie begibt sich durch Gebiete mit Windmühlen, alten Strukturen, einem üppigen Wald und überfluteten Höhlen auf der Suche nach kleinen Lichtern, die Sternen ähneln. Jeder Stern gibt ihr eine neue Kraft oder eine alte wieder und bringt Farbe zurück in das Grau. Sie trifft auf mehrere Wesen, die ihr auf ihrer Reise helfen, um am Ende vielleicht doch ihre Stimme wieder zu finden.
Die Geschichte von Gris gibt einen kleinen, aber sehr emotionalen Einblick in schwierige Phasen des Lebens, einige interpretieren sogar die Verarbeitung einer Depression oder depressiven Episode, die einem als Spieler nähergebracht wird. Diesbezüglich gibt das Spiel einen großen Raum für eigene Interpretationen, durch welche Erfahrungen und Lebensphase die Protagonistin geht, aber es gibt einen deutlichen Einblick, wie sie sich einen eigenen Weg sucht und über sich hinauswächst. Gris ist mehr Erlebnis als ein Spiel, was auch Kritiker sehr schätzen.

Gris und die zerbrochene Statue.
Ich selbst war sehr begeistert von diesem Indie-Titel und obwohl ich ungerne Jump’n’Runs spiele, da es schnell bei mir zu Frust kommt, war Gris ein wunderbares Erlebnis bei dem ich sehr entspannen und dennoch die Tiefe der Geschichte erleben konnte. Es ist auch für Menschen geeignet ist, die keine Berührungspunkte mit Videospielen oder Jump’n’Runs haben.
Der Soundtrack wurde von Berlinist, einem dreiköpfigen Musikprojekt aus Barcelona, komponiert, die sich auf Computerspiele und Filme spezialisiert haben. In den Quellenangaben dieses Artikels findet man einen Link zu dem Soundtrack auf Youtube, den man gerne auch ohne das Spiel zu spielen genießen kann, was ich auch jedem wärmstens ans Herz lege.
Das Spiel ist auf den Plattformen Android, iOS, macOS, Microsoft Windows, Nintendo Switch und der PlayStation 4 erhältlich.
Tell Me Why

Titelbild des Spiels „Tell me why“
Tell Me Why erschien 2020 und wurde von dem französischen Studio Dontnod Entertainment entwickelt, die unter anderem für Titel wie “Life is Strange” bekannt sind, sofern man in der Gaming Szene schon mal Fuß gefasst hat. Das Spiel gilt als Adventurespiel, wobei die Entwickler wie immer den Fokus mehr auf die Geschichte, die erzählt wird, legen als auf das Gameplay und dieses auch hin und wieder etwas vernachlässigen, was Personen, die noch keine Berührungspunkte mit Videospielen haben, es umso einfacher macht dort einzusteigen.
In Tell Me Why begleitet der Spieler die Zwillinge Alyson und Tyler Ronan, die in ihr Elternhaus in Alaska fahren und sich mit Erinnerungen an gewisse Situationen aus ihrer Kindheit auseinandersetzen und verarbeiten, wobei beide andere Erinnerungen und Sichtweisen auf bestimmte Geschehnisse und Situationen haben. Insbesondere Tyler setzen die Kindheitserinnerungen zu, da sich dieser schon in jungen Jahren als männlich identifiziert hat und Auseinandersetzungen mit seiner Mutter hatte. Besonders bekommt man einen Einblick darauf, welche Auswirkungen dies ebenfalls auf die Mutter der Zwillinge hatte, von der schon zu Beginn des Spiels bekannt wurde, dass sie verstorben ist und deren Tod es aufzuklären gilt.
Der Spieler erkundet die Welt und das Umfeld von Alyson und Tyler, trifft Entscheidungen in Dialogen oder auch welcher Version der vergangenen Ereignisse dieser glaubt. Durch das Sammeln von Objekten oder Gegenständen und das Lösen von Rätseln sammelt man Hintergrundinformationen, die das Spielgeschehen vorantreiben.
Tell Me Why ist eher ein Erlebnis als ein Spiel, unter anderem weil die Erzählung in Episoden aufgeteilt und die Geschichte sehr emotional und menschlich gestaltet wurde. Durch Tyler’s Transsexualität wird auch die LGBTQIA+ Szene beleuchtet, was auch dazu führte das im Juni 2021 – dem Pride Month – das Spiel auf der XBOX oder auf dem PC über Steam kostenlos erhältlich war, was ebenfalls im Jahr 2022, 2023 und auch im Jahr 2024 der Fall war. Alles in allem ist Tell Me Why ein wunderbares Spiel, welches eine berührende und mitreißende Geschichte erzählt.
Tell Me Why ist für die Plattformen Microsoft Windows und Xbox One erhältlich.
Spiritfarer

Titelbild des Spiels „Spiritfarer“
Spiritfarer ist ein Indie-Spiel und sogenannter Management Simulator, welcher 2020 auf den Plattformen Microsoft Windows, MacOS, Linux, PlayStation 4, Nintendo Switch, Xbox One, Android und der Stadia erschien und ist damit erst das dritte Spiel des kleinen kanadischen Studios Thunder Lotus Games. Auch wenn das Spiel belastende und schwere Themen behandelt, nämlich das Sterben, Tod und Verarbeitung sowie Verabschiedung, tut es das in einer sehr stil- und vor allem respektvoll verpackten Atmosphäre, die auch sehr zum Nachdenken anregt.
Man spielt Stella, ein junges Mädchen, welches auf dem Boot des Fährmanns aufwacht in Begleitung ihrer Katze Daffodil. In einer kurzen aber schönen Szene erklärt der Fährmann, dass es nun an der Zeit gekommen ist und er selbst gehen muss, da es aber immer jemanden geben muss, der die Seelen in das Jenseits begleitet, hat er Stella dafür ausgewählt, seinen Platz zu übernehmen. Er bringt sie zu einem leicht baufälligen Schiff, welches sie kurz darauf ihr Eigen nennen darf. Ihre Aufgabe ist es, ihr neues Schiff wieder in Schuss zu kriegen, damit sie die Welt erkunden, sich mit den verlorenen Seelen anfreunden und sie in den letzten Momenten ihres Todes begleiten kann. Jeder der elf Charaktere hat eine unerfüllte Aufgabe im Leben, die ihn oder sie daran hindert, Abschied zu nehmen und es ist an Stella, diese zu erfüllen. Die Geisterpassagiere ziehen bis zur Erfüllung ihres letzten Wunsches auf das Schiff von Stella, das dadurch ständig ausgebaut werden muss, damit jede Seele ihren eigenen Zufluchtsort hat, außerdem tauchen diese Personen in Form von Tieren auf wie zum Beispiel die Löwin Astrid oder den Eulenherrn Gustav. Zu Beginn sind die Geschichten hinter den Charakteren nicht sofort ersichtlich und man erfährt erst nach und nach, was sie bedrückt und hemmt, sich von dem Leben zu verabschieden.

Beispiel wie das Design eines Schiffes in Spiritfarer aussehen kann.
Die Welt von Spiritfarer erkundet man mit Fähigkeiten, die man nach und nach freischaltet wie Seilrutschen oder das Gleiten und das Bereisen erleichtert, wodurch man auch angeregt ist bereits erkundete Inseln erneut zu betreten um an Bereiche zu kommen, die davor nicht zu erreichen waren, um an Blaupausen oder Rezepte zu gelangen. Man findet Ressourcen, baut Felder an, betreibt Minen, fischt, erntet und kocht, damit findet man einen Weg durch die mystische Welt und versucht natürlich auch den Geistern auf dem Schiff, was stetig wächst, den Aufenthalt so gemütlich wie möglich zu machen und ihre Bedürfnisse zu erfüllen, während man ihnen ein leckeres Gericht kocht oder einfach zuhört und manchmal sogar das sehr viel wert ist. Dieser grundlegende Ablauf ist während der Spielzeit sehr motivierend und befriedigend. Im Kern macht man eigentlich immer das Gleiche, aber der Loop fühlt sich dennoch jedes Mal erfrischend an und durch mehrere kleine Aufgaben zwischendurch entsteht kein Leerlauf, dazu wird das Spiel von einer wunderschönen Optik untermalt. Alles in allem ist Spiritfarer eine emotionale Reise, die mehrere Geschichten gefühlvoll verpackt.
Mit der etwa 30 stündigen Kampagne bekommt man ein sehr herzzerreißendes aber wundervolles Spiel, welches auch für Spielanfänger gut geeignet ist.
To The Moon

Titelbild des Spiels „To the Moon“
To The Moon rüttelte 2011 die Indie- und RPG-Maker Szene mit ihrer emotionalen, ernsten und doch humorvollen Geschichte auf, die hier und da klischeeartige Anspielungen auf Franchises wie Doctor Who, Dragonball oder Street Fighter macht ohne dabei jedoch die Geschichte aus den Augen zu verlieren. Das Spiel wurde von einem kleinen Team aus Spieleentwicklern unter dem Namen “Freebird Games” entwickelt, die seit 2007 in Kanada ansässig sind. Ihr Hauptaugenmerk geht dabei auf mit dem RPG-Maker entwickelten Spielen, die vorrangig auf Windows verfügbar sind. To The Moon wurde bisher aber auch auf Linux, Android und Nintendo Switch veröffentlicht. Der sogenannte RPG-Maker ist eine Serie einer Software, mit der man sehr vereinfachte Spiele in einem 16-Bit-Stil mithilfe eines Map Editor, einer vereinfachten Skriptsprache und einer Datenbank entwickelt, aus der man verschiedene Elemente zieht, die man auf der Karte des Spiels verteilt und somit die Welt gestalten kann.
In der Geschichte begleitet man Dr. Eva Rosalene und Dr. Neil Watts, als sie auf dem Weg zu ihrem neuen Auftrag sind, und zwar zu dem im Sterben liegenden Johnny Wyles, dessen letzten Wunsch sie erfüllen sollen. Dieser ist: Zum Mond fliegen. Die beiden Doktoren arbeiten für die Sigmund Corp., welche eine Technologie entwickelt haben, mit der es möglich ist, künstliche Erinnerungen zu kreieren. Somit ist das Spiel ein wenig futuristisch angelehnt. Dieser Service wird allerdings nur von Leuten angenommen, die auf dem Sterbebett liegen und denen nicht mehr viel Zeit bleibt. Der Grund hierfür ist, dass die künstlichen Erinnerungen im Konflikt stehen und dadurch zu einer kognitiven Dissonanz führen würden, wenn der Patient aufwachen sollte. Eine kognitive Dissonanz beschreibt einen unangenehmen Gefühlszustand, der dadurch entsteht, dass ein Mensch unvereinbare Kognitionen (z.B. Gedanken, Meinungen, Wünsche oder Absichten) hat und zwischen diesen können Konflikte (“Dissonanzen” genannt) entstehen.

Aussicht vom Leuchtturm hinter Johnnys Haus.
Dr. Eva Rosalene und Dr. Neil Watts haben also die Aufgabe, die Erinnerungen von Johnny Wyles so zu verändern, dass er zum Mond fliegen kann. Warum er genau diesen Wunsch hat, weiß er nicht. Mit Hilfe von sog. “Mementos” schließen sich die beiden Doktoren in einer interaktiven Zusammenfassung seiner Erinnerungen ein und gehen somit rückwärts durch Johnnys Leben gehen. Durch jeden wichtigen Abschnitt in den Erinnerungen lernen sie also mehr über ihren Patienten und was ihn zu seiner derzeitigen Position im Leben gebracht hat. Sie lernen seinen Zwillingsbruder Joey kennen und auch Johnnys zukünftige Frau River, bei der sich später herausstellt, dass sie das Asperger-Syndrom hat, was auch ihre Sonderheiten in ihrem Verhalten und ihrer Kommunikation im Laufe des Spiels erklärt und was es eigentlich mit den immer wieder auftauchenden Papierhasen auf sich hat. Immer wieder erscheint ein rotes Licht in den Erinnerungen, welches Dr. Rosalene und Dr. Watts zeigt, dass sich Johnnys Zustand verschlechtert und ihnen wird bewusst, dass ihnen die Zeit im Nacken sitzt.
Die vorher erwähnten “Mementos” sind kleine Puzzle und helfen dem Spieler, durch die Erinnerungen zu kommen. Zuvor muss man in der aktuellen Erinnerung farbige Kugeln sammeln, die in dem Spiel als “Links” beschrieben werden, bevor man sich dem kleinen Puzzle stellen muss. Durch den RPG-Maker hat das Spiel auch eine niedliche Retro-Grafik, was unter anderem bedeutet, dass es keine wirklich großen Systemanforderungen dafür gibt und auch an älteren Geräten/Rechnern gespielt werden kann. Alles in allem lebt To The Moon nicht von seinen spielerischen Facetten, sondern erzählt eine bewegende Geschichte. Da das Spiel auch komplett auf Kämpfe verzichtet und im Tempo des Spielers läuft, ist es in meinen Augen auch gut für Spieleanfänger geeignet, man sollte sich nur nicht von der etwas älteren Grafik des Spiels abschrecken lassen.
Ein paar kleine Worte zum Abschluss; ich hoffe, ich konnte euch ein paar Einblicke in den Bereich der Videospiele geben, die hier und da auch sehr schöne Geschichten erzählen, und ein wenig das Stigma lichten, das die Community rund um Gaming schon immer negativ behaftet. Wer weiß, vielleicht hat jemand ja auch Lust und Spaß daran, sich mit diesen Spielen den ein oder anderen Nachmittag oder Abend schön zu gestalten, um in ein paar andere Welten einzutauchen. 🙂
Ein Beitrag von Pia Papadopoulos
Quellen:
Artikel über Assassins Creed und wie der virtuelle Nachbau der Notre Dame zum Wiederaufbau nach dem Brand 2019 als Hilfe verwendet wurde
„Gris“ bei Wikipedia
Soundtrack des Spiels “Gris”
„Tell me why“ bei Wikipedia
Spoilerfreies Review von GamingClerks über “Tell Me Why”
„Spiritfarer“ bei Wikipedia
Spoilerfreies Review von Gameswelt über “Spiritfarer”
„To the Moon“ bei Wikipedia
Freebird Games bei Wikipedia
RPG Maker bei Wikipedia
Bildquellen:
Headerbild Ausschnitt Foto von Eugene Chystiakov auf Unsplash
Beispiel Schiff aus Spiritfarer
Titelbild Gris
Bild aus dem Spiel Gris
Titelbild Tell me why
Titelbild Spiritfarer
Titelbild To the Moon
Bild aus dem Spiel To the Moon
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