In ihrem Artikel »Werkstatt weiterdenken« macht sich Cornelia Schmitz (AlexOffice) ausführlich Gedanken über die Situation von Beschäftigten in Behindertenwerkstätten hinsichtlich der Förderung auf den ersten Arbeitsmarkt, die ihrer Ansicht nach nicht zielstrebig genug verfolgt wird. Neben einer Bestandsaufnahme der Gegebenheiten erörtert Cornelia detailliert, wie aus ihrer Sicht eine Förderung aussehen könnte, was sich für die Beschäftigten ändern müsste und was von Seiten der Arbeitgeber bzw. der Gesetzgeber zu leisten wäre. Ihr Appell an alle lautet: „Denken wir weiter.“


 

Werkstatt weiterdenken

Zurzeit läuft es so:

Wir, die „Beschäftigten“, haben ein Recht auf Teilhabe an der Arbeit.

Sprich: Wir „dürfen“ arbeiten. In eigens für uns geschaffenen Betrieben, wo die meist sehr einfache Arbeit so weit heruntergebrochen ist, dass sie jede/r in jedem geistigen, seelischen oder körperlichen Zustand bewältigen kann. Oft – allerdings nicht immer – läuft das auf eine eintönige Arbeit hinaus.

Dennoch, manche, fast die meisten, finden sich damit ab, obwohl sie gerade bei einer psychischen Erkrankung als Werkstattgrund sehr viel mehr auf dem Kasten hätten. Viele schätzen das kleine, kuschelige Nest, die gemütlichen Gespräche mit den Kollegen, die Tatsache, dass sie keine Verantwortung zu tragen brauchen, dass sie keinem Stress ausgesetzt sind. Viele haben große Angst vor dem ersten Arbeitsmarkt, vor dem rauen Wind, der dort angeblich herrscht.

Wir haben also ein Leben. Eine Art Leben. Es könnte schlechter für uns laufen, das steht fest.

Allerdings könnte es auch besser laufen. Der Steuerzahler gibt eine Menge Geld dafür aus, dass unsereins arbeiten „darf“, bzw. dafür, dass wir einen Grund haben, morgens aus dem Bett aufzustehen. Denn trotz Rahmenplänen und beruflichen Zielsetzungen – so sehr viel mehr brauchen wir eigentlich nicht hinzukriegen, scheint mir. Unser Erscheinen wird verlangt, zumindest eine Krankmeldung. Aber vielleicht ist das auch nur eine persönliche Meinung; Kommentare sind gern gesehen.

Das Werkstattleben, es ist leider oft eine Sackgasse. Wir sitzen in einem durchaus hübschen und sehr sehr sehr ruhigen Seitenarm eines an uns vorbeifließenden Gewässers und etliche meiner Kollegen wollen es genauso haben.

Doch die Meisten von uns werden nie wieder (oder überhaupt einmal) anständig Geld verdienen, viele werden nie Karriere machen, wir werden kaum ein Gefühl von Macht und Stärke auf der Arbeit erreichen. Das großartige Gefühl von persönlicher Freiheit und Verantwortung – fällt es nur mir schwer, das so zu empfinden? Ich glaube nicht. Und das macht etwas mit dem Selbstwertgefühl.

Manche wollen und könnten nicht auf den ersten Arbeitsmarkt, sicher. Doch wenn ich mich in meiner Abteilung so umschaue, tippe ich, könnten es durchaus fast die Hälfte schaffen. Haben sie es versucht oder versuchen sie es noch? Oder sind sie gescheitert? Versuchen sie es weiter, vielleicht mit Hilfe eines Inklusionsassistenten? Das weiß ich nicht.  Ich arbeite in einer Office Abteilung; dort sitzen Leute mit ansehnlichen Berufen und durchaus anspruchsvoller Tätigkeit. Gerade die jüngeren Kollegen sollten unbedingt auf den ersten Arbeitsmarkt gefördert werden, aus persönlichen, und auch aus gesellschaftlichen Gründen.

Die Werkstätten, sie müssten durchlässiger werden, sie müssten eine Art sicherer Hafen sein, ein Rückzugsort, in den man bei Bedarf immer zurückkehren kann, aus dem aber kein Daueraufenthaltsort werden sollte.

Das Ziel einer WfbM, die Förderung der behinderten Menschen auf den ersten Arbeitsmarkt, wird m. E. momentan insgesamt nicht zielstrebig genug verfolgt. Klar, hin und wieder, selten, landet jemand diesen Erfolg. Aber von einer strukturellen, passgenauen Förderung sind wir kilometerweit entfernt.

Und wie könnte eine solche Förderung aussehen? Was müsste für die Beschäftigten geschehen, und was müssen die Arbeitgeber, was muss der Gesetzgeber leisten?

Nun, folgendes:

Im Hinblick auf die Beschäftigten:

  • Regelmäßiges Training folgender Grundvoraussetzungen:
    Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit, Disziplin, manchmal auch persönlicher Auftritt (Kleidung u. ä.)
  • Regelmäßiges Training der sozialen Kompetenzen
  • Regelmäßiges Stressbewältigungstraining
  • Regelmäßige, mindestens dreimal wöchentliche Kurse, in Englisch, ggfs. Mathematik
  • Regelmäßiges, mindestens dreimal wöchentliches Training am Computer
  • Regelmäßiges Bewerbungstraining
  • Wöchentliche Gespräche mit Zielvereinbarungen für den beschäftigten Arbeitnehmer
  • Regelmäßige Praktika auf dem ersten Arbeitsmarkt
  • Das Anstreben eines betriebsintegrierten Arbeitsplatzes
    Dieser BiAP sollte dann keinesfalls keine Dauerlösung sein, sondern in ein reguläres, sozial versicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis münden.
  • Ziel einer, sagen wir drei- oder vierjährigen Maßnahme, wäre IMMER die Aufnahme eines regulären Arbeitsverhältnisses, es sei denn, dem stünden ernsthafte Gründe gegenüber.

Nun zum Staat, bzw. zur Arbeitgeberseite:

Der hoch belastete, hoch verschuldete Staat wird es sich wohl bald nicht mehr leisten können, die Werkstätten, diese gemütlichen Nischen, in ihrer jetzigen Form aufrechtzuerhalten. Auch ist der Arbeitsmarkt zurzeit ein Arbeitnehmermarkt. Der Staat kann es sich nicht mehr leisten, das Potenzial, das in uns steckt, nicht zu bergen.

Was müsste folglich auf Arbeitgeber-, bzw. auf Staatsseite geschehen?

Die Arbeitgeber scheuen sich, einen psychisch kranken Mitarbeiter einzustellen aus folgenden Gründen:

  • Sie fürchten, dass der psychisch belastete Mensch die Arbeitsatmosphäre stören könnte.
  • Sie fürchten, dass der psychisch belastete Mensch zu oft, häufig monatelang, ausfällt.
  • Sie fürchten, dass sie den behinderten Kollegen „nie wieder los werden“.

Diese Sorgen sind berechtigt. Der psychisch erkrankte Mensch wird leicht zum Sündenbock gemacht, ist das schwarze Schaf im Betrieb. Oder muss sich erst eingewöhnen und eckt an. Und das, oder auch private Sorgen des Mitarbeiters, kann dazu führen, dass er oder sie es einfach nicht mehr aushält und lange fernbleibt. Doch man kann – und muss – gegensteuern.

Dazu gehören sehr viele Gespräche im Vorfeld, idealerweise ein Praktikum oder ein BiAP. Plus eine begleitende Supervision und oder Inklusionsbegleiter/innen. Der behinderte Kollege darf nicht zum Außenseiter werden – er sollte mit seinen etwaigen Problemen einen Ansprechpartner haben oder etwaige Missstände offen ansprechen können. Davon könnten auch die regulären Kollegen im Betrieb profitieren, die oft genug selbst mit seelischen Problemen zu kämpfen haben, ohne dass sie gelabelt sind.

Der Gesetzgeber wiederum fördert momentan den Übergang von einer WbfM auf den ersten Arbeitsmarkt. Der Arbeitgeber, der einen behinderten Menschen aus der Werkstatt regulär beschäftigt, erhält fünf Jahre lang 80 Prozent des Arbeitslohnes. Außerdem muss er keine Ausgleichsabgabe mehr zahlen (die ohnehin viel zu gering ist und den Arbeitgebern bisher „nicht weh tut“.) Danach ist allerdings Schluss. Nach fünf Jahren geht man davon aus, dass der entsprechende Kollege Fuß gefasst hat.

Das kann so sein, muss es aber nicht. Bei einer Wahnerkrankung etwa, gibt es womöglich immer wieder Krisen. In einer solchen Krise könnte es ggfs. auch zu einem peinlichen Auftritt im Betrieb kommen. Wird man das mit Supervision auffangen können? Vielleicht, vielleicht nicht. In einem solchen Fall sollte der Mensch vorübergehend in die Werkstatt zurückkehren können, sollte der Arbeitgeber ihn auch kündigen können. Der Kündigungsschutz in der jetzigen Form kann dazu führen, dass Betriebe die entsprechenden Menschen nicht einstellen wollen.

Weiter sollte der Gesetzgeber für monatelange Fehlzeiten einen finanziellen Ausgleich schaffen – er zahlt ja jetzt auch einen Batzen für die WfbM; dieses Geld könnte womöglich besser verteilt werden. Man könnte auch das Instrument des „Budgets für Arbeit“ besser einsetzen.

Es sollte allerdings in den Betrieben keine großen Abteilungen nur für die behinderten Menschen mit entsprechenden Gruppenleitern geben. Das wäre weit entfernt von Inklusion, es wäre eine WfbM im Betrieb mit der entsprechenden Außenseiterrolle ohne das Wohlfühlelement einer Werkstatt.

Es sollte auch keinen Zwang geben, die Werkstatt zu verlassen. Mancherorts, das möchte ich noch einmal deutlich sagen, sind die Werkstätten so etwas wie „das letzte Einhorn der Arbeitswelt“ – ein Ort, an dem man in Ruhe arbeiten und sich ausprobieren kann, ohne allzu viel Druck, in kollegialer Atmosphäre. Diesen Ort sollte man Menschen nicht ohne Not wegnehmen.

Vielleicht wären die Werkstätten auch ein guter Platz für all die drogenkranken Menschen, die man zunehmend in den Straßen sieht? Nach einer Entgiftung brauchen diese Leute doch eine Anlaufstelle, in der man von vorne anfangen kann; immer mit dem Ziel der vollständigen Rehabilitierung?

Die Werkstätten sind bereits Anlaufstellen für diesen Personenkreis; Voraussetzung ist allerdings, dass es vorher eine Art Behandlung, Reha oder dergleichen gegeben hat. Dann aber wäre eine WbfM ein idealer Ort zur langsamen, sorgfältig geplanten Rückkehr ins Leben.

Ein Sprungbrett. So wäre es gut.

Denken wir weiter.

Ein Beitrag von Cornelia Schmitz 

Foto (Ausschnitt) von Pexels auf Pixabay, weitergestaltet von Barbara Minnich (AlexOffice)


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