In ihrem aktuellen Artikel »Über die Partnerwahl mit einem Handicap« spricht Cornelia Schmitz (AlexOffice) über die Chancen und Herausforderungen rund um’s Thema Liebe bei Menschen mit Behinderung. In diesem Zusammenhang fragt sie sich: »… und was ist eigentlich mit Liebe, Lust und Leidenschaft?«


 

»… und was ist eigentlich mit Liebe, Lust und Leidenschaft?«

Über die Partnerwahl mit einem Handicap

Ein idealer Golfer hat ein Handicap von 0 – das heißt er braucht genauso viele Schläge wie vom Platz vorgegeben, um jeden Ball in einer idealen Flugbahn zu platzieren. Braucht er 10 Schläge mehr, hat er ein Handicap von minus 10, braucht er 20 mehr, eins von minus 20 usw.

Was für ein Handicap hat unsereine/r bei der Partnersuche? Immer vorausgesetzt, man will jemanden kennenlernen, ist kein überzeugter Single oder alleine glücklicher als zu zweit?

Also, da wären:

  • Eine schwerwiegende psychische Störung, die von der Öffentlichkeit zumeist mit Argwohn betrachtet wird
  • Armut (in vielen Fällen)
  • Tätigkeit in einer Behindertenwerkstatt (wie unsexy ist das denn?)
  • Ein manchmal derangiertes Äußeres (kommt im Zusammenhang von Traumata, Depression, Burn-out, allgemeiner Lust- und Perspektivlosigkeit und natürlich den Medikamenten, die oftmals dumpf machen)
  • Alkohol und Medikamentenmissbrauch
  • Mangelndes Selbstwertgefühl, welches nicht zuletzt aus den obigen Faktoren resultiert

Oh Gott, wir können auch gleich vom Platz gehen, sehen wir uns daneben den idealen Golfer an, wie er da steht in seinen Lacoste-Klamotten, braungebrannt, lässig, selbstsicher, gesund.

Doch – es gibt sie, die Liebesbeziehungen, die wir haben.

Frauen, ohnehin seltener anzutreffen in einer Werkstatt, haben bessere Chancen. Ihnen wird die Armut verziehen, auch das geringere Selbstwertgefühl. Manche meiner Kollegen haben ihre Partner, ihre Partnerin auch in der WfbM gefunden, die Werkstatt hat schon Ehen gestiftet.

Doch viele, gerade die Männer, bleiben allein, bleiben allein bei einem sehnlichen Wunsch nach einer Liebesbeziehung.

Man sagte früher, Männer heirateten „nach unten“, Frauen „nach oben“. Ich weiß nicht, wie sehr sich die Zeiten diesbezüglich geändert haben, aber auf jeden Fall dürfte ein geringer Status kein Vorteil bei der Partner(innen)suche sein.

Ist Sexualität gefährlich?

Oftmals wird auch im Umfeld der Psychiatrie die Sexualität (der Männer) als etwas Gefährliches betrachtet, als etwas Triebhaftes, potentiell Gewalttätiges – es passt diesbezüglich ins Bild, dass es bei den Alexianern eine Frauenbeauftragte, aber keinen Männerbeauftragten gibt; bei einer Überrepräsentanz des männlichen Geschlechts übrigens.

Dürfen psychisch erkrankte Menschen Kinder zeugen, sie gebären, sie großziehen? Natürlich, sie dürfen, kein Gesetz kann es verbieten, und tatsächlich haben viele Menschen mit Problemen Nachwuchs. Doch vielfach werden sie auch in dieser Hinsicht seitens der Helferszene mit Argusaugen betrachtet – es ist nicht selbstverständlich, dass behinderten Menschen ein Kinderwunsch zugestanden wird, dass man ihnen zutraut, die Kleinen mit Liebe und Sorgfalt aufzuziehen.

Mindestens eine der beteiligten Seiten, Vater oder Mutter, sollte dann am besten „stabil“ sein, heißt es dann oft. Und ja, das kann ja auch sinnvoll sein.

Es war jedenfalls eine Sichtweise, der ich mich angeschlossen habe. In jungen Jahren, bei Kinderwunsch, kam für mich nur ein „gesunder“ Mann in Frage. Ich hatte Angst, meinen potentiellen Partner nicht genügend unterstützen, nicht genügend halten zu können, wenn er in die Psychose rutscht. Und umgekehrt Angst davor, dass er mich nicht ausreichend begleiten können würde. Ich habe das auch schon von anderen Menschen mit psychischen Problemen gehört: mindestens eine Seite sollte eben nicht „krank“ sein.

Krank oder gesund? – Und was ist eigentlich „normal“?

Im Nachhinein denke ich, dass ich mir damit auch Chancen verbaut habe. Denn dieser Gedanke im Hinterkopf erschwert eine Partnerwahl. Überdies: Eine Liebesbeziehung mit einem ebenfalls erkrankten Partner hat den Vorteil, dass man die Gefühle, die manchmal so außergewöhnlich erscheinen, besser nachvollziehen kann, den Partner, die Partnerin besser versteht. Das Verhältnis von Nähe und Distanz – für jeden Menschen ein schwieriges Thema – kann für unsereinen noch schwieriger sein und das versteht derjenige besser, der das Problem unmittelbar nachvollziehen kann.

Außerdem ist es gar nicht so einfach, eine Beziehung auf Augenhöhe mit einem „stabilen“ Partner zu führen; man muss ja ebenbürtig sein können, darf sich nicht geringschätzen, darf nicht übergroße Angst haben, den Partner zu verlieren und es ihm oder ihr deswegen in allem recht machen wollen.

Was können wir tun, damit die Partnersuche, die Partnerschaft gelingt? Was können wir neben unserem Handicap in die Waagschale werfen?

Nun, wir haben viel zu bieten.

Neben der vielbeschworenen Kreativität – fast schon ein Klischee, aber ja, es ist was dran – sind Leute wie wir häufig sehr empathisch, gute Zuhörer(innen), fix im Kopf, bringen Bildung mit und verfügen über ungewöhnliche Sichtweisen. Viele meiner Kollegen und Kolleginnen nehme ich als äußerst sensitiv, feinfühlig und hilfsbereit wahr – sie sind, im übertragenen Sinne, wie die Elefanten, die lieber einen Umweg gehen, als auf eine Maus zu treten. Dank langjähriger Therapieerfahrung kennen sich viele von uns sehr gut, wissen um ihre Stärken und Schwächen, haben (hoffentlich) gelernt, sich abzugrenzen und sind (hoffentlich) wahre Experten in der Kunst der Gesprächsführung – das kann man in einer Liebesbeziehung weiß Gott gebrauchen.

Wo sollen wir suchen? Nun, überall da, wo die Anderen das auch tun, logisch, im Supermarkt, im Karneval, im Internet. Es gibt spezielle Foren, wo sich Menschen mit Behinderung treffen können, und das könnte eine Möglichkeit sein, weil man von vornherein mit offenen Karten spielen kann. Doch andererseits ist die psychische Störung nur eine Facette des Wesens und nicht die bedeutendste – schließlich kommt auch kein Mensch auf die Idee, Partnerschaftsforen für Schlaganfallgefährdete anzubieten.

Und wann sagt man „es“?

Ist es denn so ein Riesenproblem? Es wird jedenfalls größer, wenn man es selbst größer macht, wenn man nur auf das Handicap schaut, nicht auf all die anderen hoffnungsvollen Seiten des eigenen Wesens.

Es ist eine Binse, aber natürlich hat man umso größere Chancen auf dem Jahrmarkt der Eitelkeiten, je mehr man gelassene Selbstsicherheit ausstrahlt. Unser eingangs erwähnter Golfer dürfte auch gute und schlechte Tage haben; vielleicht verfliegt all sein Glanz, wenn er vom Platz tritt.

Wir haben, und das haben wir ihm möglicherweise voraus, gelernt, mit uns selbst umzugehen. Wir haben uns selbst kennengelernt.

Das ist unsere Chance.

Text von Cornelia Schmitz
Foto: Niewyrazisty  auf Pixabay


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